BaZ, 13.10.2006
Auf dem Weg zur Leaderfigur
Thomas Nüssli ist in der bisherigen Saison der auffälligste Spieler des EHC Basel
REMO MEISTER
Den Teamkollegen gerächt. «Ich glaube, es war die richtige Aktion zum richtigen Zeitpunkt.» Thomas Nüssli (l.) über seinen Fausteinsatz gegen Leblanc. Foto Keystone
Wenn der EHC Basel heute (19.45 Uhr) in der BernArena auf den Leader SC Bern trifft, läuft Thomas Nüssli erneut mit dem gelben Topskorer-Helm auf. Wie in den meisten bisherigen Spielen war der 24-Jährige auch am wichtigen 3:2-Sieg gegen Davos massgeblich beteiligt u2013 allerdings in anderer Rolle.
«Eigentlich wollte ich ja nur dazwischen gehen», erinnert sich Thomas Nüssli. «Doch Leblanc hat mich ins Gesicht geschlagen, und das reichte mir dann.» Der Basler Stürmer lässt noch einmal die 22. Minute der Partie zwischen dem EHC Basel und dem HC Davos Revue passieren. Jene Minute, als er eine bislang unbekannte Seite zeigte und Robin Leblanc im Stile eines Schwergewichtsboxers verprügelte. Dies, nachdem der Davoser Nüsslis Sturmlinienpartner Stefan Voegele von hinten niedergestreckt hatte. Zu diesem Zeitpunkt lag der EHC mit 1:2 Toren in Rückstand, und so wenig lobenswert Nüsslis Fausteinsatz grundsätzlich war, im Eishockey wirkt eine Szene wie diese nicht selten als Initialzündung. Für die eigenen Teamkollegen wie für die Zuschauer.
So war es auch am letzten Dienstag beim EHC. Nüssli musste mit einer Spieldauer-Disziplinarstrafe unter die Dusche, forderte auf dem Weg dorthin die Fans zur lautstarken Unterstützung auf und sah seine Mannschaft, als er wenig später wieder aus der Kabine kam, «wie einen umgekehrten Handschuh » auftreten. Die nötige Aggressivität war nun vorhanden, um den weiteren Spielverlauf in die vom EHC gewünschten Bahnen zu lenken und am Ende gegen den letztjährigen Playoff-Finalisten drei Punkte einzufahren. «Ich glaube, es war die richtige Aktion zum richtigen Zeitpunkt», ist Nüssli überzeugt. Dieser Ansicht waren auch seine Mitspieler, die den 24-Jährigen in der internen Abstimmung zum besten Spieler wählten, obschon er nur 22 Minuten auf dem Eis gestanden war.
GUTER KÖRPER, FEINE TECHNIK. Beim EHC Basel ist man aber nicht erst seit letztem Dienstag zufrieden mit dem Thomas Nüssli dieser Saison. «Er ist mittlerweile ein Topspieler, hat einen guten Körper und eine feine Technik», lobt Trainer Kent Ruhnke. «Zudem ist er als Mensch reifer geworden u2013 er ist auf dem Weg zum Leader.» Zumindest, was die Punkteausbeute in der laufenden Saison anbelangt, ist Nüssli bereits so weit. Mit sechs Punkten (fünf Tore, ein Assist) aus neun Spielen ist der Appenzeller Basels Topskorer. «Als Jugendlicher wollte ich später unbedingt einmal diesen Helm tragen », erinnert sich Nüssli, «doch heute ist für mich nur noch wichtig, dass wir mit dem EHC Basel als Team gut dastehen. » Wer am Ende die Tore schiesse und den gelben Helm trage, sei nebensächlich.
Diese Einstellung zeichnete den Stürmer in der Vergangenheit nicht immer aus. Als eines der grössten Talente gab Nüssli als 18-Jähriger von vielen Vorschusslorbeeren begleitet sein NLA-Debüt beim EV Zug. Damals waren ihm vor allem die persönlichen Statistiken wichtig, richtig durchsetzen konnte sich der NHL-Draft (2002 Vancouvers Nr. 277) in der Folge aber nicht. Auch nicht bei Rapperswil-Jona, wo er nach drei unbefriedigenden Saisons seine Schlittschuhe an den Nagel hängen wollte.
DER BESTE ENTSCHEID. Doch dann kam 2004 die Anfrage des EHC Basel, wo Nüssli seine Karriere in der NLB neu lancieren konnte. «Das war rückblickend betrachtet der beste Entscheid meiner Karriere», findet der 1,90-Meter-Mann. Es folgte der Aufstieg in die höchste Spielklasse und 2005/2006 mit 19 Punkten (9 Tore, 10 Assists) die beste NLA-Saison seiner Karriere. Mittlerweile stellt Nüssli auch den Anspruch an sich selbst, eine Leaderfunktion zu übernehmen: «Ich spiele jetzt meine dritte Saison in Basel und weiss langsam, wie alles läuft hier. Doch, ich versuche schon ein Leader zu sein.» Wie gut es ihm in Basel gefalle und wie sehr er sich mit dem Team identifiziere, merke er auch daran, «wie nahe mir heute eine Niederlage mit dem EHC geht».
Weniger nahe ging dem 24-Jährigen, dass ihn Ralph Krueger trotz seiner bislang erfolgreichen Saison nicht zum alljährlichen «Kickoff» der Schweizer Nationalmannschaft aufgeboten hat. Einem zukünftigen Angebot wäre er indes keineswegs abgeneigt, denn «der internationale Vergleich würde mich sehr reizen und sicher auch spielerisch weiterbringen», sagt Nüssli. Doch im Moment hat der Basler Topskorer «nach dem schwachen Start mit dem EHC ohnehin genug um die Ohren». Zum Beispiel das Auswärtsspiel heute Abend beim Tabellenführer SC Bern, wo es auch für Thomas Nüssli wieder alle Hände voll zu tun geben dürfte.
Ruhnkes Mittelfinger und mögliche Folgen
VERFAHREN ERÖFFNET. Die Geste war nicht nett: Von der Wut über vorangegangene Szenen getrieben, mochte sich Kent Ruhnke am Dienstag nach dem 3:2 gegen Davos nicht beherrschen und verabschiedete sich mit ausgestrecktem Mittelfinger von der gegnerischen Bank. Dies belegen Bilder des Schweizer Fernsehens u2013 Bilder, die höchstens mit viel Fantasie eine schönere Interpretation zulassen. Der Trainer des EHC Basel streitet dies nicht ab. Er legt allerdings Wert darauf, dass diese Geste «ein emotionaler Ausbruch war», der sich nicht auf irgendeine Person bezogen habe. Fakt ist, dass Nationalliga-Einzelrichter Reto Steinmann gestern ein Verfahren gegen Ruhnke eröffnet hat, bei dem er überprüft, ob der Kanadier gegen die Regel «Beleidigung von Spiel-Offiziellen und unsportliches Verhalten durch Team-Offizielle» sowie gegen die «Verhaltensgrundsätze im Rechtspflege-Reglement» verstossen hat. Kommt der Einzelrichter zu diesem Schluss, muss Ruhnke mit einer Spielsperre für eine Partie rechnen. Lange mochte sich Ruhnke gestern nicht damit aufhalten. Im Vordergrund stehen für ihn die heutige Partie in Bern und das samstägliche Heimspiel gegen die ZSC Lions (19.45 Uhr, St.-Jakob-Arena), in denen die jüngste Aufwärtstendenz bestätigt werden soll. Dabei stehen dem Trainer sämtliche Kaderspieler zur Verfügung.
Dem ZSC fehlt einer wie Nüssli
ANDREAS ZEHNDER*
Mein Interesse ist an diesem Wochenende vor allem auf die zweite Partie des EHC Basel gerichtet. Denn am Samstag empfangen die Basler die ZSC Lions u2013 und damit jenen Club, der wie kein anderer in der Krise steckt.
Um den Puls der Löwen zu fühlen, besuchte ich gestern meine einstige Heimat «Hallenstadion». Was ich dabei hörte und sah, stimmte mich nicht wirklich optimistisch: Viele Spieler schlichen kleinlaut an mir vorbei. Und jene, die mit mir sprachen, konnten mir auch nicht erklären, warum der «Zett» nach der schwarzen Vorsaison bereits wieder am Tabellenende steht.
Ich denke, dass sich nun definitiv zeigt, dass die Mischung in dieser hochdotierten Mannschaft nicht stimmt: Jene Teile, die vor eineinhalb Jahren geholt wurden, scheinen sich einfach nicht mit den langjährigen Elementen zum funktionierenden Puzzle zusammensetzen zu lassen. Deshalb mache ich weder dem neuen Trainer Harold Kreis noch dem designierten Sportchef Peter Iten einen Vorwurf. Sie ernten im Moment, was ihre Vorgänger gesät haben. Trotzdem muss ich das Umfeld kritisieren: Ich verstehe nicht, warum der langjährige TK-Chef Simon Schenk nun seinen Nachfolger Iten einarbeitet. Das ist Wischiwaschi. Entweder befindet man die alte Lösung für weiterhin tauglich. Oder man macht einen klaren Schnitt und vertraut voll dem neuen Mann.
Der ZSC spielt um mehr als die Playoffs. Es geht um die mittelfristige Zukunft des Clubs. Wird diese Saison so schlimm wie die letzte, dürften irgendwann nicht nur die Zuschauer, sondern auch die Sponsoren oder Geldgeber wie Walter Frey die Geduld verlieren.
Um in Schwung zu kommen, brauchen die Löwen einen wie Thomas Nüssli. Dessen Boxeinlage war am Dienstag massgeblich dafür verantwortlich, dass der EHC Basel die Partie gegen Davos wendete und einen wichtigen Schritt aus dem Tief machte. Auch wenn ich Gewalt nicht verherrlichen will: Ein Topskorer, der nicht an die eigene Statistik denkt, sondern den Restausschluss in Kauf nimmt, um den Kollegen zu schützen und ein Zeichen zu setzen, ist Gold wert.
* Der langjährige NLA-Spieler Andreas «Zesi» Zehnder kommentiert für die baz das Schweizer Eishockey und seinen früheren Club EHC Basel.