Die Kopfschmerzen kommen und gehen
Markus Wüthrich, Verteidiger des EHC Basel, leidet noch immer an den Folgen einer schweren Hirnerschütterung
REMO MEISTER

Verschwommene Aussichten. Markus Wüthrich, verletzter Eishockey-Profi mit unbestimmter Erholungszeit. Foto Peter Mosimann
Wenn der EHC Basel heute (19.45 Uhr, Diners Club Arena) bei den Rapperswil-Jona Lakers antritt, verfolgt Markus Wüthrich das Spiel zuhause am Teleclub. Eine schwere Hirnerschütterung setzt ihm seit einem Monat arg zu.
Anzusehen ist ihm nichts, als Markus Wüthrich auf der Autobahnraststätte Grauholz zum Treffen erscheint. Er macht einen munteren Eindruck, so ähnlich, wie wenn er jeweils nach dem Training frisch geduscht aus der Kabine kommt und nach Hause geht.
Doch trainiert hat der Verteidiger des EHC Basel schon lange nicht mehr. Vor vier Wochen erlitt er im Auswärtsspiel in Zug eine schwere Hirnerschütterung. Paolo Duca hatte seinen Kopf mit dem Ellbogen ans Plexiglas gewuchtet, worauf Wüthrich bewusstlos zu Boden ging. Was genau passierte, weiss er nur vom Hörensagen: «Dieser Freitag fehlt komplett in meinem Gedächtnis. Ich weiss nur, dass ich tags darauf im Zuger Spital aufwachte und keine Ahnung hatte, wo ich war.»
KEINERLEI ANSTRENGUNG. Sicher ist hingegen, dass die Kopfschmerzen seither kommen und gehen. «Sobald ich mich konzentriere oder anstrenge, spüre ich einen Druck», erklärt der 27-Jährige. An Eishockey ist im Moment nicht zu denken.
«Ich dachte, der Heilungsprozess verläuft schneller», so der Langnauer. Nach gut einer Woche, sagte ihm der Arzt, könne er vermutlich mit einem leichten Training beginnen. Das stellte sich als unmöglich heraus, die Hirnerschütterung liess keinerlei Anstrengung zu. Trotzdem kam Wüthrich eine Woche nach dem Vorfall erstmals wieder von seinem Wohnort Einigen am Thunersee nach Basel, um die Kollegen in der Kabine zu besuchen. «Wegen der lauten Musik dort fing mein Kopf sofort an zu dröhnen », erinnert er sich. Seither ist in Wüthrichs Alltag vor allem eines angesagt: Ruhe.
Jeden zweiten Tag geht er in die Therapie, um seine stark verspannte Halsmuskulatur zu behandeln. Der Arzt rät Wüthrich, wenn immer möglich an die frische Luft zu gehen. «Das ist sogar während den Drittelpausen der Partien des EHC Basel nötig, die ich mir im Teleclub ansehe», erzählt er. Draussen ist er auch, wenn er mit seinem zehn Monate alten Sohn Sander Markus spazieren geht und ihm jeweils ein kleiner Anstieg bereits arg zusetzt. Andere Beschäftigungen, etwa konzentriert Zeitung lesen oder lange alleine Auto fahren, gehen gar nicht. Man müsse schon aufpassen, dass man nicht in ein Loch falle, sagt er. «Das Schlimme ist ja, dass es keine Prognose gibt.» Das Leiden kann plötzlich vorbei sein, oder aber auch noch sehr lange dauern. «Ich muss geduldig sein», sagt Wüthrich, «etwas anderes bleibt mir nicht übrig.»
GROLL GEGEN DUCA? Während er sich in Geduld übt und jeden Tag auf Fortschritte hofft, hat Wüthrich viel Zeit, um nachzudenken. Etwa darüber, ob er gegen den Zuger Stürmer Paolo Duca Groll hegen soll. Ob er wütend sein will auf jenen Spieler, der sich zwar per SMS bei ihm entschuldigt, letztlich aber seinen fragilen Zustand zu verantworten hat. Wüthrich, der bescheidene Emmentaler, eher ein Mann der leisen Töne, sagt: «Es bringt nichts, Rache zu schwören. Solche Dinge passieren eben.» Fügt aber an, dass «es nicht unbedingt hätte sein müssen, der Puck war ja bereits weg». Die Bilder der verheerenden Aktion hat sich Wüthrich bisher noch nicht angesehen. «Vielleicht tue ich das, wenn ich wieder auf dem Eis stehe.»
Der Familienvater hofft darauf, dass dies bald möglich sein wird. Rücktrittsgedanken hat er trotz des schweren Schlags keine gehabt. Der Fall des Kanadiers Andrew McKim (ZSC), der im Oktober 2000 nach einem rüden Foul von Kevin Miller (Davos) eine derart schwere Hirnerschütterung erlitten hatte, dass er sportinvalid wurde, ist indes auch Wüthrich bekannt: «Je länger meine mühsame Geschichte dauert, desto mehr Sorgen mache ich mir, das ist klar.» Der Emmentaler weiss aber auch, dass er trotzdem nicht zu früh aufs Eis zurückkehren darf, weil sonst ein gefährlicher Rückfall drohen könnte. «Ich schätze es sehr, dass mich der Club diesbezüglich nicht unter Druck setzt», sagt er. «Die Verantwortlichen stehen hinter mir und lassen mir Zeit.»
TORE UND ECKFAHNEN. Wüthrich fällt dieser Tage nicht nur in der EHC-Verteidigung aus, sondern auch in der Generalvertretung für Sportgeräte, die der 27-Jährige betreut. Mit der kaufmännischen Unterstützung seiner Frau beliefert er Sportvereine mit Toren, Eckfahnen, Körben und Ähnlichem. Angefangen hat er damit vor fünf Jahren, um sich ein zweites Standbein aufzubauen. Damals spielte er noch bei Ajoie in der NLB. Nach seinem Wechsel zum EHC 2003 führte er den Betrieb weiter. «Das ist eine gute Ergänzung zum Eishockey, so bleibt man frisch im Kopf», sagt Wüthrich.
Apropos frisch: Das Gespräch im Restaurant der Raststätte Grauholz dauert eine gute Stunde. Dann setzt er wieder ein, der Druck im Kopf. «Ein wenig frische Luft wäre jetzt nicht schlecht», sagt Markus Wüthrich. Ein harter Check im falschen Moment, und alltägliche Dinge werden plötzlich zum Spiessrutenlauf.
«Ist der Spieler nicht bereit, wird es gefährlich»
EHC-Arzt Anton Sebesta über Hirnerschütterungen
INTERVIEW: OLIVER GUT
Seit diesem Jahr ist die Hirslanden Klinik Birshof offizieller Medical Partner des EHC Basel.
Leiter der Klinik ist der orthopädische Chirurg Anton Sebesta (39), der im Eishockey viel Erfahrung hat: Seit der WM 2002 betreut er die Schweizer Nationalmannschaft.
baz: Anton Sebesta, wie lange wird Markus Wüthrich noch ausfallen?
ANTON SEBESTA: Bei Hirnerschütterung kann man keine Prognosen abgeben. Untersuchungen nützen diesbezüglich nichts. Ein Beispiel: In dieser Saison erlitten fünf EHC-Spieler diese Verletzung u2013 vier waren nach einer Woche zurück. Darunter der 36-jährige Régis Fuchs, den es in der Vorbereitung erwischte: Er war eine Minute lang bewusstlos, Wüthrich nur während Sekunden. Doch Fuchs spielte sieben Tage später wieder u2026 Die Erfahrung zeigt aber, dass ein Spieler bei einer Hirnerschütterung entweder nach einer Woche zurückkehrt oder sonst gleich einen oder zwei Monate ausfällt.
Wie wird diese Verletzung behandelt?
Das ist klar vorgeschrieben. Am ersten Tag danach ist Ruhe angesagt, am zweiten geht man spazieren, am dritten aufs Trainingsvelo u2013 immer vorausgesetzt, dass die vorangegangene Stufe ohne Probleme verläuft. Treten Symptome wie Kopfschmerzen auf, muss der Patient eine Stufe zurück. Wüthrich bewegt sich immer noch auf Stufe «Spaziergang». So lange, wie er schon ausfällt, wird er auch für die Stufe «Velo» länger brauchen als einen Tag. Das Hirn muss sich wieder an die Belastung gewöhnen.
Früher spielte man trotz Kopfweh.
Hirnerschütterungen müssen vollständig auskuriert werden. Geschieht dies nicht und kommt es zu einer zweiten Hirnerschütterung, ist diese schwerer u2013 und es kann zu bleibenden Schäden kommen.
Wie kann man Hirnerschütterungen im Eishockey vorbeugen?
Ein Mundschutz federt einen allfälligen Aufprall ab, ist aber keine Garantie. Es gibt auch die Theorie, dass ein Vollvisier-Helm hilft, weil ein Aufprall da über den ganzen Kiefer abgefedert wird.
Eishockey ist schnell und kampfbetont. Sträuben sich da beim Arzt nicht regelmässig die Nackenhaare?
Vor allem bei unerwarteten Aktionen. Ist ein Spieler nicht auf eine Attacke vorbereitet, wird es gefährlich. Erkennt er eine Attacke nur einen Bruchteil von einer Sekunde im Voraus, bereitet sich sein Körper reflexartig darauf vor, spannen sich die Muskeln an. Wüthrich sah den Check nicht kommen, sein Körper traf keine Vorkehrungen u2013 entsprechend verheerend waren die Folgen.
Saisonende für Corey Ruhnke
SCHULTEROPERATION. Markus Wüthrich ist nicht der einzige Langzeit-Verletzte beim EHC Basel: Auch sein Verteidiger-Kollege Mark Astley (Innenband-Abriss) ist noch immer rekonvaleszent und wird fehlen, wenn der EHC heute Samstag in Rapperswil antritt und tags darauf zuhause den HC Davos (19.45 Uhr, St.Jakob-Arena) empfängt. Immerhin ist Astleys Rückkehr absehbar, steht er doch seit dieser Woche wieder auf dem Eis. Für einen anderen EHC-Spieler wird das in dieser Saison nicht mehr in Frage kommen: Trainersohn Corey Ruhnke musste sich gestern an der Schulter operieren lassen; bereits seit längerem bekundete er Probleme, nun wurde ein Kapselriss festgestellt, der einen arthroskopischen Eingriff nötig machte. Die Rehabilitationsphase dauert sechs Monate, Ruhnkes Saison ist damit vorzeitig beendet.