«Endlich spricht man über Gewalt im Sport»
TAHIR CITAKU SIEHT DEN FC DARDANIA ALS POSITIVES BEISPIEL FÜR GEWALTPRÄVENTION

Ein positives Beispiel. Tahir Citaku ist mit seiner Integrationsarbeit beim FC Dardania erfolgreich. Foto Erwin Zbinden
Interview: Patrick Künzle
Der Fall sorgte für Aufsehen: Am 21. Oktober griffen fünf Junioren des FC Türkgücü einen Schiedsrichter an. Das Risiko, dass es zu solchen Vorfällen kommt, könnte man mit besserer Integrationsarbeit vermindern, sagt Tahir Citaku. Er verweist auf Erfolge beim albanischen Verein FC Dardania.
Als Tahir Citaku im Jahr 2001 dem Verein beitrat, kämpfte der FC Dardania mit Problemen. Der albanisch-baslerische Verein besass einen unvorteilhaften Ruf, weil Spieler Schiedsrichter und Gegner angegriffen hatten. Heute ist es um den FC Dardania ruhig geworden- im positiven Sinn. Er organisiert zudem jährlich ein Turnier gegen Gewalt und Rassismus im Sport.
Tahir Citaku (32), der 1994 aus dem Kosovo in die Schweiz kam, war von 2001 und 2004 Vereinspräsident und ist heute als Berater für Integrationsfragen für den Vorstand tätig. Er arbeitet beruflich als Betagtenbetreuer.
baz: Tahir Citaku, welche Gedanken kamen Ihnen, als Sie von den Ausschreitungen der Spieler des FC Türkgücü hörten?
Tahir Citaku: Es ist nie positiv, wenn so etwas passiert, insofern bedaure ich diesen Vorfall. Gleichzeitig kann ich ihm etwas Positives abgewinnen. Endlich spricht man in der Öffentlichkeit über Gewalt im Sport.
Weshalb ist dies wichtig?
Gewalt ist meistens das Resultat von fehlender Kommunikation. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Vereinsmitglieder beim FC Türkgücü waren offenbar völlig überrascht von der enormen Reaktion der Öffentlichkeit auf die Ausschreitungen ihrer Junioren. Hätte man zuvor im Verein intensiv über Gewalt gesprochen und wie schlechtes Benehmen von aussenstehenden Menschen wahrgenommen wird, dann wäre es wohl nicht zur Eskalation gekommen.
Wären ähnliche Ausschreitungen einzelner Spieler bei Ihrem Verein, dem FC Dardania, nicht auch möglich?
Man kann nie für jeden einzelnen Spieler die Hand ins Feuer legen. Ich kann aber darauf verweisen, dass wir seit Jahren keine grösseren Probleme mehr haben. Mit unseren Veranstaltungen sensibilisieren wir die Spieler und die Zuschauer des Vereins seit längerer Zeit für Themen wie Fairplay, Gewalt, Rassismus und Integration. Deshalb bin ich sicher, dass die Vereinsmitglieder bei Dardania wissen, wie wichtig anständiges Verhalten ist. Es ist ihnen bewusst, dass sie mit negativen Vorfällen allen Albanern einen Bärendienst erweisen. Wenn der FC Dardania negativ auffällt, fällt dies auf alle Landsleute zurück. Das sollten die Ausländervereine wissen.
Wie kann man bei Ausländervereinen dieses Bewusstsein schärfen?
Zentral scheint mir Folgendes: Die Schlüsselpositionen müssen mit Leuten besetzt werden, die in die hiesige Gesellschaft integriert sind. Das hilft innerhalb des Vereins, weil sie den Clubmitgliedern gewisse Werte mitgeben können. Zudem ist das auch gut für die Aussenwirkung. Ein Präsident, der deutsch spricht, kann sich besser artikulieren und die Interessen des Vereins vertreten. Zudem plädiere ich dafür, dass die Vereine nur mit ausgebildeten Trainern arbeiten. Das ist die beste Gewaltprävention.
Haben Sie denn den Eindruck, dass Randale von Fussball-Junioren in erster Linie mit deren Umfeld zu tun haben?
Ich bin davon überzeugt. Nun hat man die fünf Junioren des FC Türkgücü sehr lange gesperrt, doch was passiert mit den Eltern, den Trainern, die involviert waren? Sind sie nicht mindestens ebenso schuldig? Den Junioren dagegen hat man vielleicht eine verheissungsvolle Perspektive als Sportler zerstört. Das kann nicht im Sinne einer gesamtgesellschaftlichen Gewaltprävention sein.
Macht es sich der Fussballverband zu einfach, indem er die fehlbaren Jugendlichen sperrt?
Ich meine ja. Ich bin der Meinung, er müsste aktiver die drängenden Probleme thematisieren, müsste Diskussionen über Gewalt und Integration in die Vereine hineintragen. Das tut er zu wenig.
Was würden Sie dem Fussballverband empfehlen?
Ich wünsche mir, dass er mehr Verantwortung übernimmt und zusammen mit den Sport- und Integrationsämtern sowie den Vereinen regelmässig Informations- und Präventionsanlässe organisiert.
Alle Interessierten an oben genannten Themen können sich beim FC Dardania melden - unter
info@fcdardania.ch oder beim Clubpräsidenten Nehat Sabedini (Telefon 0763170323).
Der Integrationsbeauftragte fordert mehr Unterstützung
Basel. Wenn sich Tahir Citaku im oben stehenden Interview mehr Engagement vom Fussballverband Nordwestschweiz (FVNWS) erhofft, dann stösst er bei Hasan Kanber auf offene Ohren. Der Schweizer mit türkischen Wurzeln ist Integrationsbeauftragter beim FVNWS und bekleidet damit ein schweizweit einzigartiges Amt. Er ist zum einen die Anlaufstelle für ausländische Spieler und Clubs, hilft ihnen beispielsweise beim Erledigen des (fremdsprachigen) Papierkrams, steht aber auch als Ansprechperson bei Problemen aller Art zur Verfügung. Zum anderen vertritt er die Anliegen der ausländischen Spieler und Clubs gegenüber dem Fussballverband und den Behörden.
Seit fünf Jahren ist Hasan Kanber in dieser Funktion tätig, nun hat er die strengsten drei Wochen hinter sich. Auslöser dafür waren die Übergriffe von Junioren des FC Türkgücü auf einen Schiedsrichter am 21. Oktober. Der Fall fand schweizweite Beachtung. Seither ist Kanber in erster Linie damit beschäftigt, den Verantwortlichen des FC Türkgücü unter die Arme zu greifen, die von der heftigen Reaktion der Öffentlichkeit überrascht waren und nach dem Imageverlust ihres Vereins um Wiedergutmachung bemüht sind. Kanber ist aber auch - noch viel stärker als zuvor - die Anlaufstelle für alle Menschen, die Integrationsprojekte und Aktionen zur Gewaltprävention vorantreiben wollen.
Damit stösst er an zeitliche Grenzen. Kanber ist lediglich im Ehrenamt beim FVNWS tätig. «Ich habe mich in den letzten drei Wochen insgesamt eine Woche allein mit dem Fall Türkgücü beschäftigt. Dauerhaft kann es nicht so weitergehen, ich bin zeitlich überfordert», sagt Kanber, der sich auch als Basler SP-Grossrat betätigt.
Er wünscht sich deshalb mehr Unterstützung - und zwar sowohl vom Fussballverband als auch von staatlichen Stellen. «Sinnvoll wäre es, eine zwanzig- oder dreissigprozentige Integrationsstelle zu schaffen», glaubt er. Dies könne jedoch nicht primär die Aufgabe des Fussballverbandes sein. «Hier wünsche ich mir auch ein Bekenntnis der Politik, dass ihr Gewaltprävention und Integrationsarbeit wichtig ist.» Im Fussballverband und bei den Vereinen werde enorm viel ehrenamtliche Arbeit geleistet, die sehr viel Positives zur Integration von jungen Ausländern beitrage. «Das dürfte man ruhig auch mit finanzieller Unterstützung honorieren», findet Kanber. Er selber steht derzeit mit einigen regionalen Regierungsräten in persönlichem Kontakt und hofft, dass er - dank der aktuellen öffentlichen Aufmerksamkeit für das Thema - dabei auf offene Ohren für sein Anliegen stösst.
pak