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DER EHEMALIGE FCB-VERTEIDIGER STAND NIE IM ZENTRUM DES INTERESSES, DOCH SEINE VERDIENSTE SIND GROSS

Hart am Ball. Walter Geisser - heute und damals. Fotos Dominik Plüss/René Grossenbacher
Walter Geisser - gewissenhaft an der Aussenlinie
ANDREAS W. SCHMID
Bevor Walter Geisser vor dem Training auf dem Landhof über seine lange Karriere beim FCB erzählt, wirft er im Auto nochmals einen Blick in ein dickes Album mit Erinnerungsfotos aus jener Zeit. Die Gewissenhaftigkeit, die ihn schon früher als Spieler auszeichnete, ist geblieben. Rund 250 Meisterschaftspartien hat Geisser in seinen neun Saisons beim FCB bestritten, dazu etwa 150 sonstige Spiele. Eine stolze Bilanz für einen, der heute von sich sagt, dass alles eher zufällig zustande kam.
Anfang der siebziger Jahre zügelte der Glarner berufshalber von Genf nach Basel und verspürte nach zweijähriger Pause Lust, wieder regelmässig Fussball zu spielen. «Ich nahm den Stadtplan hervor und schaute, welcher Verein am nächsten bei mir zu Hause kickt.» Es handelte sich um den damaligen Erstligisten FC Nordstern. Geisser trainierte in der zweiten Mannschaft mit, bis ihm Zvezdan Cebinac, der Betreuer des 1.-Liga-Teams, einmal bei einer Übungseinheit ein paar Minuten zusah und sogleich befahl: «Du kommst zu uns.»
Von null auf hundert.
Cebinac war es, der Geisser jenen «Tritt in den Hintern gab, den ich damals brauchte». Als einen «Start von null auf hundert» bezeichnet der 56-Jährige seinen Einstieg in den Spitzenfussball, statt einmal trainierte er nun viermal die Woche. Mit Nordstern stieg Geisser in die Nationalliga B auf, schliesslich holte ihn Helmut Benthaus auf die Saison 1975/76 hin - dem Jahr eins nach Karl Odermatt - zum FCB. «Jeder, der in Basel gut Fussball spielte», sagt Benthaus, «wurde für uns automatisch zum Thema.»
Der Einstieg war hart. In der Alpencup-Partie gegen Stade Reims sollte er einen Argentinier abmelden, «doch der spielte Katz und Maus mit mir». Im Nachhinein ist Geisser über diesen «Lehrblätz», wie er ihn nennt, froh. «In keinem anderen Spiel habe ich mehr gelernt.» In der ersten Saison kam Geisser noch nicht regelmässig zum Einsatz, auch weil er zu Anfang durch eine Knöchelverletzung handicapiert war. Danach wurde er jedoch zum Stammspieler. Geisser kam zumeist auf der Aussenverteidigerposition zum Einsatz, wo er seine Laufstärke ausspielte. Helmut Benthaus schätzte vor allem «seine Fähigkeit, blitzschnell von der Defensive in die Offensive umschalten zu können. Er wäre der ideale Mann für die heutige Viererkette im modernen Fussball gewesen».
Dass Geisser trotz seiner Verdienste nie übermässig im Mittelpunkt des Interesses stand, mag mit seiner zurückhaltenden Art zusammenhängen. «Er war auf dem Feld nie ein Mann der grossen Worte», heisst es in einem Artikel der Basler Zeitung, der 1984 zu seinem Karrierenende erschien. Zudem schoss er während seiner Aktivzeit nur eine Handvoll Tore. Doch seine Aufgabe war auch eine andere. «Die Liste jener Stürmer», heisst es deshalb in besagtem Artikel, «die sich wohl über Geissers Rücktritt freuen, ist lang.» Einen Angstgegner hatte Geisser nicht. Am liebsten spielte er gegen Stürmer, die ihm bei seinen Offensivaktionen folgten. «Die habe ich dann richtiggehend zerschlissen», lacht Geisser.
Unvergessliche Reisen.
Zwei Meistertitel gewann er mit dem FCB. Das eindrücklichste Erlebnis war das Europacup-Spiel in der Saison 1979/80 gegen Roter Stern Belgrad. «100 Meter mussten wir in den Katakomben zurücklegen, dann standen wir plötzlich im Stadion vor einer Wand von Zuschauern.» Fast 100000 sind es nach seiner Erinnerung gewesen. Angst verspürte er keine, vielmehr eine riesige Freude, «in diesem Moment dabei sein zu dürfen». Unvergesslich sind auch die Reisen mit dem FCB nach Asien oder in die Karibik. «Damals waren solche Trips noch etwas Besonderes, heute reist jeder.»
Nach seinem Karrierenende wollte Geisser vor allem eins: Ruhe. Während seiner ganzen Zeit beim FCB hatte der Speditionsdisponent voll weitergearbeitet. «Das ging mit der Zeit brutal an die Substanz.» Geisser, der heute in Pratteln wohnt, ist dem FCB jedoch eng verbunden geblieben. Er geht regelmässig an die Matches, zudem spielt er bei den FCB-Senioren mit. Noch bis vor ein paar Jahren trat dieses Team mit Repräsentationscharakter pro Saison rund 15-mal an, in diesem Jahr war dies gerade noch einmal der Fall. «Wir sind überaltert», sagt Geisser, «es kommt nichts mehr nach.» Früher ging ein FCB-Spieler nach seinem Rücktritt automatisch ins Seniorenteam, heute ist dies nicht mehr der Fall. Trotzdem reicht es an diesem Abend auf dem Landhof locker, um aus den anwesenden «Altstars» zwei Mannschaften zu bilden. Walter Geisser stellt sich zu Beginn an die Aussenlinie - wie vor dreissig Jahren.
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