30. Januar 2005, NZZ am Sonntag
Doch wehe, der neue Star patzt
Hakan Yakin muss bei Galatasaray schnell Erfolg haben.
Von Jürgen Gottschlich
«Für wen sind Sie?» Wer in einem Smalltalk in Istanbul jetzt ausholt, um zu erklären, warum er die Sozialdemokraten den Islamisten vorzieht, hat bereits gezeigt, dass er die Stadt nicht kennt. Auf diese Frage kann es nur drei mögliche Antworten geben: Galatasaray (die Löwen), Besiktas (die Adler) oder Fenerbahce (die Kanarien). Istanbuler sein bedeutet, Anhänger eines der drei Traditionsklubs zu sein.
Weil man wissen muss, was in seinem Klub, der schliesslich so etwas wie ein Teil der Familie ist, vor sich geht, versorgen zwei täglich erscheinende Fussballzeitungen die Anhänger mit allen notwendigen Infos. «Fotomac» und «Fanatik» verkaufen täglich mehr als die meisten normalen Tageszeitungen. Es gibt mehrere Journalisten, die sich mit nichts anderem als einem der drei Klubs beschäftigen. Beruflich und privat wird jeder Spieler, Trainer, Präsident und wer sonst noch zum Umfeld des Vereins gehört, hautnah unters Teleobjektiv genommen. Der neue Stern von Galatasaray, wie «Fotomac» Hakan Yakin in ihrer Ausgabe von Freitag begrüsste, konnte in den Augen der Galatasaray-Fans schon punkten, bevor er den ersten Ballkontakt hatte. Obwohl Galatasaray-Präsident Özkan Canaydin ihn am Freitag noch zur Erholung freigestellt hatte, begleitete der Schweizer die Mannschaft zu ihrem Rückrunden-Auftaktspiel nach Konya. «Ich bin jetzt Teil von Galatasaray und möchte die gleiche Luft wie die Mannschaft atmen», soll Hakan Yakin gesagt haben.
Das hören die Fans gern, und wenn er die von ihm erwartete Rolle als Spielmacher ausfüllen kann, werden sie ihn in den Himmel heben. Denn «Cimbom», so der Schlachtruf für Galatasaray, muss in diesem Jahr Meister werden. Der Klub feiert 2005 sein 100-jähriges Bestehen, und wenn die Mannschaft jemals die Pflicht zum Sieg hatte, dann in diesem Jahr. Trotz gigantischen Schulden - man munkelt von 100 Millionen Dollar - öffnete deshalb Özkan Bay, ein reicher Industrieller, seine Privatschatulle, um Hakan Yakin von Stuttgart nach Istanbul zu holen. Doch wehe, dieser patzt. Selbst für Istanbuler Verhältnisse gilt Galatasaray als Intrigantenstadl erster Güte. Der rumänische Trainer George Hagi, in seiner aktiven Zeit selbst Spielmacher von Galatasaray, Präsident Özkan Canaydin und Vizepräsident Ergün Gürsoy sind dafür bekannt, sich gegenseitig nichts zu schenken. Auch im Kader gärt es, weil einige der Spieler monatelang kein Geld bekamen. Neue Stars müssen schnell überzeugen, wollen sie die Gunst von Präsident und Publikum behalten. Im Moment wackelt angeblich der Stuhl von Hagi, weil Galatasaray hinter dem Titelverteidiger Fenerbahce nur auf dem zweiten Platz liegt und Fachleute Fenerbahce als die eindeutig stärkere Mannschaft einschätzen.
Alle drei grossen Istanbuler Klubs haben zahlreiche Ausländer in ihren Reihen. Da sie bereit sind, für ihre Stars fast ebenso schwindelerregende Summen wie in Spanien oder Italien zu zahlen, kicken am Bosporus bunt gemischte Mannschaften, in denen sich über Brasilianer, Afrikaner bis zu Skandinaviern die halbe Welt tummelt. «Wer bei uns nur Türkisch spricht», erzählte einmal ein Spieler von Fenerbahce, «hat schlechte Karten.» Trotzdem machen sich ein paar Brocken Türkisch und womöglich eine Reverenz an die grosse türkische Nation immer gut.
Der durch seine Kokain-Affäre in Deutschland als Nationaltrainer gescheiterte Christoph Daum leitet die Mannschaft von Fenerbahce denn auch mit einem Gemisch von Deutsch, Englisch und Türkisch. Daum kennt sich im türkischen Fussball mittlerweile bestens aus und weiss auch, wie man mit dem Publikum umgehen muss. Als er vor einiger Zeit in einem Popularitätsloch steckte, kündigte der Deutsche bei einer Pressekonferenz grossspurig an, er werde demnächst die türkische Staatsbürgerschaft annehmen. Alle waren wieder begeistert. Dass auf die Ankündigung keine Taten folgten, war dann nicht mehr so wichtig.
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