03. November 2005 Druckversion | Versenden | Leserbrief
FRANKREICH
Neue Straßenschlachten in Pariser Vorstädten
Autos brennen, Steine fliegen - in den Pariser Vororten ist erneut Gewalt aufgeflammt. In der siebten Nacht in Folge kam es zu Krawallen. Dutzende Randalierer bewarfen Polizisten mit Steinen und verwüsteten ein Einkaufszentrum.
Bobigny - In Aulnay-sous-Bois im am schwersten betroffenen Département Seine-Saint-Denis nordöstlich der französischen Haupstadt besetzten Jugendliche vorübergehend eine Polizeiwache und versuchten, sie in Brand zu setzen. Ebenfalls in Aulnay überfielen Jugendliche ein Fernsehteam, nahmen den Journalisten ihr Auto ab und steckten es in Brand. In Bobigny verwüsteten rund 40 vermummte Angreifer ein Einkaufszentrum und griffen Verkäuferinnen an.
Auch eine Autowerkstatt und eine Sporthalle wurden in Brand gesetzt, zwei Schulen wurden beschädigt. Die Polizei berichtete von gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Randalierern und Beamten in zahlreichen Vorstädten. Allein im Département Seine-Saint-Denis gingen rund 40 Autos in Flammen auf.
Im Vorort Clichy-sous-Bois, wo die Krawalle Ende vergangener Woche begonnen hatten, blieb es dagegen verleichsweise ruhig. Am vergangenen Donnerstag waren in Clichy-sous-Bois zwei Jugendliche gestorben, als sie vor der Polizei fliehen wollten. Sie kletterten über die Mauer eines Transformatorenhäuschens und erlitten tödliche Stromschläge. In der Folge entspannen sich heftige Auseinandersetzungen zwischen aufgebrachten Jugendlichen und der Polizei, die sich auf weitere Teile der Hauptstadtregion ausdehnten und seit Tagen andauern. In der Nacht zum Mittwoch wurden in der Region nach Polizeiangaben etwa 180 Fahrzeuge in Brand gesetzt. In den betroffenen Vororten leben hauptsächlich Einwanderer, die Vorstädte haben eine hohe Arbeitslosenquote und eine hohe Armenrate. Kritiker werfen der französischen Regierung mangelnden Kampf gegen die soziale Verelendung vor.
Ausschreitungen in der siebten NachtPräsident Jacques Chirac mahnte die erhitzten Gemüter gestern zur Besonnenheit. In den Problemvierteln müsse "das Gesetz streng geachtet werden, allerdings im Geist des Dialogs und Respekts", sagte der konservative Staatschef. Beobachter sahen darin auch eine Zurechtweisung von Innenminister Nicolas Sarkozy, der wegen seiner harten Wortwahl für die Eskalation der Gewalt mitverantwortlich gemacht wird. Sarkozy hatte unter anderem angekündigt, die Problemviertel mit einem "Hochdruckreiniger" von dem "Gesindel" zu säubern. Statt "kriegerischer Worte" sei eine Beruhigung der Lage angebracht, sagte der Minister für Chancengleichheit, Azouz Begag.
Sarkozy forderte für die hauptsächlich von Einwanderern aus Nord- und Schwarzafrika bewohnten Viertel mit hoher Arbeitslosigkeit aber auch mehr soziale Gerechtigkeit. "Die Jugendlichen dort wollen keine Wohltätigkeit. Sie wollen Arbeit finden und etwas aus sich machen", sagte der Minister. Gleichzeitig müsse man durchgreifen: "Dort gilt allzu oft das Recht von Banden, Drogendealern und Schwarzhändlern." Soziologen erklärten den Gewaltausbruch mit der Verzweiflung junger Leute, die sich von der Gesellschaft und Arbeitswelt ausgeschlossen sähen. Im Fernsehen waren vermummte Jugendliche zu sehen, die nachts islamische Parolen riefen.
Premierminister Dominique de Villepin verschob eine Kanada-Reise kurzfristig und verteidigte seine Regierung gegen Kritik. Es gebe "keine Wunderlösung für die Lage in den Vierteln", sagte Villepin in der Nationalversammlung. Der Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit übte scharfe Kritik an Sarkozy. In einem Interview mit dem "Tagesspiegel" forderte der Fraktionsvorsitzende der Grünen im Europaparlament "mehr Selbstkritik". Die Strategie des Innenministers, allein auf die Härte des Staates zu setzen, sei erfolglos, sagte Cohn-Bendit.
http://www.spiegel.de
Grüsse gehen an alle die es verdienen...