Lusti hat geschrieben: 17.11.2021, 14:51
Alles was ich nicht zitiert habe, sehe ich zu 100% wie Du. Danke für die ausführliche und trotzdem leicht lesbare Aufarbeitung des Themas.
Vielen Dank. Ich schätze deine Kommentare immer sehr. Das macht das Lob wertvoller.
Lusti hat geschrieben: 17.11.2021, 14:51
Zwei Anmerkungen habe ich noch:
Ich denke Du und ich bauen uns unser kohärentes Weltbild auf Basis des Naturalismus und der ensprechenden wissenschaftlichen Erkentnisse desselben auf. Wir akzeptieren wissenschaftliche Fakten (z.B. die Existenz von schwarzen Löchern) auch wenn wir selber nie eines gesehen haben oder entsprechendes Fachwissen zur Beweisführung derselben besitzen. Wir akzeptieren es deshalb, weil wir Vertrauen in die wissenschaftliche Methode und der geteilten und bewiesenen Expertenmeinung eines Fachgebietes haben. Wir tun dies auch ausserhalb der Naturwissenschaften z.B. bei den Geisteswissenschaften. Die Kohärenz wird also im Einklang unseres Verstandes mit der Realität erreicht.
Ich kann wissenschaftliche Fakten als solche akzeptiere, weil ich sie eben nicht für unumstössliche Wahrheiten halte, sondern als die nach aktuellem Wissensstand beste Erklärung der Wirklichkeit. Daher irritiert mich auch nicht, wenn Wissenschaft sich weiterentwickelt und zu neuen Erkenntnissen gelangt, welche bisherige Annahmen revidiert. Darauf begründet mein Vertrauen in die Belastbarkeit der «soliden» Basis, auf der die Wissenschaft ruht. Darum kann ich
glauben, dass sie mit ihren Methoden und Experimenten an die derzeit beste Erklärung von Phänomenen wie beispielsweise Schwarze Löcher gelangt.
Ich habe in meinem Text die Bildung von Kohärenz zu fest vereinfacht. Deine Aussage stimmt und Einklang ist ein sehr schöner Begriff dafür. Präziser wäre vielleicht, dass jegliche Form von Abgleich die Kohärenz steigert. Die Abgleiche von eigener Vernunft, Verstand und Wahrnehmung der Realität führt zu einer «eigenen» Realität. Im Abgleichen der eigenen Realität mit den Realitäten anderer, näher man sich einer allgemeineren Realität. Ziel ist der Einklang mit «der» Realität, also der Wahrheit. Dem, was «ist».
Hiervon ausgehend sehe ich den Verstand des «Schwurblers» schon in Kohärenz zu seiner eigenen (aus unserer Sicht verzerrten) Realität. Respektive zu den Realitäten Seinesgleichen. Da sich auch ein «Schwurbler» in der Wirklichkeit bewegt, kann er seine Kohärenz nur durch Isolation, Ignoranz, Vergessen, Verdrängung oder unter Seinesgleichen aufrecht halten.
Lusti hat geschrieben: 17.11.2021, 14:51
Du sagst "Aber seine Vernunft hat schon so viele verschiedene inkohärente Muster eingebaut, welche die Akzeptanz für Neues (neue Muster) extrem begrenzt." Ich glaube es ist weniger die "Akzeptanz neuer Muster" als die Unfähigkeit neue Muster in Einheit mit der Realität zu setzen. Der Verstand des Schwurblers findet tatsächlich Kohärenz, jedoch steht diese im Widerspruch mit der Realität ausserhalb des Denkprozesses. Auch deshalb betrachte ich Freikirchen als perfekter Saatboden, denn gerade dort wird die Vereinbarkeit (Wortwörtlicher glaube an den Inhalt der Bibel) des eigentlich unvereinbaren (Bibel vs. Realität) geradezu indoktriniert. Dem Verstand wird beigebracht Kohärenz "herzustellen", entgegen des Widerspruchs der Vernunft und der Wahrnehmung. Oder vereinfacht gesagt: Es weicht die Vernunft so weit auf, das der Verstand alles annimmt.
Ich unterscheide religiösen Glaube vom Glaube an Wissenschaft vor allem darin, dass die Wissenschaft sich bereit erklärt hat, den eigenen Glauben (Thesen) stets zu hinterfragen und entweder zu begründen (Herleitung) oder auf die Probe zu stellen (Experiment). Diese Überprüfungsmechanismen fehlen dem religiösen Glauben, daher verharrt er an einem Punkt und entwickelt sich nicht weiter. Es gab bestimmt einen Zeitpunkt, an dem er – nach damaligem Wissensstand – DAS beste Modell zur Erklärung der Realität lieferte. Dieser Zeitpunkt ist aber nur von kurzer Dauer. Sobald eine bessere Erklärung existiert, ist er überholt. Der dogmatische Charakter verhindert, dass die Religion Schritt halten kann. Heute trifft die generelle Erklärung der Welt überhaupt nicht mehr zu. Ich sehe in der Religion höchstens vereinzelte spezifische Bereiche (vor allem bei Sinnfragen aus Spiritualität und Philosophie, der Frage nach Bewusstsein, dem Seelenbegriff, etc.) das Potenzial den Geisteswissenschaften ebenbürtiges Erklärungsmodell bieten zu können, …
vorausgesetzt dass sie sich bereit erklärte, die eigenen Erzählungen als Geschichten für Gedankenexperimente zu betrachten statt als Gechichte. Die Festlegung zur unverrückbaren Tatsache verhindert die Fähigkeit zur Entwicklung. Die «wortwörtliche» statt sinngemässe Auslegung der Bibel führt zu Irrglauben wie Kreationismus und dergleichen.
Lusti hat geschrieben: 17.11.2021, 14:51
Zu Okhams Rasiermesser:
In der wissenschaftlichen Methode wäre die Anwendung möglichst wenig Annahmen zu tätigen. Annahmen sind bisher unbewiesene aber mögliche Erklärungen als Voraussetzung der These. Übertragen auf unser Thema ist "unbewiesene aber mögliche Erklärungen" gleichbedeutend deiner "inkohärenter Annahmen" und somit ist deine Definition als Grundlage für dieses Thema zu bevorzugen.
Wir meinen im Prinzip das Gleiche.
Die «unbewiesene aber mögliche Erklärung» hält dem Rasiermesser weniger stand, als die «von der Wissenschaft gelieferte Erklärung», da diese diverse Überprüfungsmechanismen voraussetzt. Das selbstauferlegte rigide Regelwerk sorgt aber dafür, dass die Annahmen nicht willkürlich und nach aktuellem Wissensstand belegt sind. Es gewährleistet somit längere Beständigkeit. Derart erhärtete Annahmen bilden eine «solide» Basis als Grundlage. Ich bin nur der Ansicht, dass die wissenschaftlich belegten Annahmen der Wirklichkeit am nächsten kommen, aber trotz jedes wissenschaftlichen Beweises immer noch Annahmen bleiben. Aber da bin ich mir meiner begrifflichen Haarspalterei absolut bewusst und ich weiss, dass nur diese Differenzierung dazu führt, dass ich Annahmen unterschiedliche gewichte, statt sie in Annahme und Wahrheit zu unterteilen.
Gäbe es die scharfe Trennlinie zwischen Wahrheit und Annahme in der Wissenschaft, statt dem Spektrum der Nähe zur Wahrheit, würde man auch der Wissenschaft die Möglichkeit nehmen, sich selbst in Frage zu stellen und darüber hinaus zu entwickeln. Die Möglichkeit, eigene Fehlannahmen zu überwinden, muss erhalten bleiben, sonst droht die Gefahr, zum Dogma zu verkommen. Indem Wissenschaft sich offen lässt, dass Wahrheit nicht feststellbar ist, man sich ihr aber gewissenhaft nähern kann, findet sie schlussendlich den besten Weg dorthin. Würde eine belegte These Wahrheit
beweisen, führte dies in eine Sackgasse. Wahrheit liesse sich nicht mit neuen Erkenntnissen und besseren Methoden
falsifizieren, nur Annahmen können
falsifiziert werden.
Aber schon alleine die Annahmen der Wissenschaft darüber, was unter Begriffen wie «solide» oder «fest», resp. «Materie» generell zu verstehen ist, musste laufend revidiert und überholt werden, damit wir an der heutigen Erklärung – dass Materie grösstenteils aus
Nichts besteht und bloss Ausdruck eines energetischen Zustandes in einem Feld abbildet – angelangen konnten.
… Hätte nie gedacht, über Corona und Schwurbler in einem Fussballforum philosophieren zu können. Merci Lusti.
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Korrekturen, Präzisierung