Lusti hat geschrieben:Bin ich völlig anderer Meinung. Ich denke dass die meisten hier im Forum auch gerne wieder mal etwa Dampf ablassen möchten, einige vielleicht sogar an der Leistungsgrenze sind. Und trotzdem reissen sie sich, im Sinne der Verantwortung gegenüber sich selbst und den Mitmenschen, am Riemen und üben sich in Selbstdisziplin. Sie stellen ihre persönlich Bedürfnisse zurück um Massnahmen umzusetzen welche, wenn richtig beachtet, dazu führen dass wir ALLE früher rauskommen. Dies hier, obwohl aktuell kaum als solches zu erkennen, ist ein Fussball-Fanforum. Wir alle möchten wieder einmal eine Schlacht zu St.Jakob sehen, mit Blut, Schweiss und Bier. Aber wir verzichten, weil es sinnvoll und notwendig ist.
Und dann gibt es jene Arschlöcher wie diese am Samstag. Wäre ihnen die Decke auf den Kopf gefallen, wäre ein Spaziergang im Wald oder ein Joggingrunde dringelegen. Oder 2 Tage warten und wieder mal ein Bier hinter die Binde giessen. Aber darum gings nicht. Man musste sich in zivilen Ungehorsam üben, musste unbedingt wahrgenommen werden, musste unbedingt sich und andere gefärden weil ... ja warum eigentlich? Damit man sein Schildchen mit Verschwörungstheorie X hochhalten kann? Damit man wieder mal mitteilen kann, das man dann im Fall gegen das Impfen ist? Das man Bill Gates durchschaut hat? Welche Botschaft genau hatten die drei meditierenden Filzläuse? Welche wichtige Mitteilung musste der halbnackte Depp mit etwas Fell bedeckt und durchlöchertem Stahlhelm den genau loswerden? Das ihm der böse Staat die Meinungs- und Versammlungsfreiheit wegnehmen will? Die Diktatur um die Ecke ist? Wir bald in einem System à la Nordkorea leben?
Im besten Fall war es ein Sturm im Wasserglas, im schlechtesten der Auftakt für ein Aufflammen der Neuinfektionen und eventuell wieder notwendige Einschränkungen für ALLE. Du sprichst von zumutbarer Verantwortungslosigkeit, he da bin ich völlig bei dir. Die Gesetze etwas beugen wo niemand zu schaden kommt? Völlig in Ordnung. Beispielsweise am Rhein einen Kiffen, tut niemandem weh, deine kleine Insel des zivilen Ungehorsams sein dir gegönnt. Das am Samstag war aber Verantwortungslosigkeit die ich nicht zu tolerieren bereit bin. Sorry ich bin der persönlichen Meinung das Feuer nicht schadet sondern reinigt, ist es demzufolge richtig wenn ich den Demonstranten morgen die Hütte anzünde? Wohl kaum. Und genau das sind diese Kleingeister, ideologische Brandstifter die einfach nicht fähig sind klar zu denken. Und wenn man sich unmündig verhält, ist der Staat in der Pflicht.
Ich merke gerade, dass ich auf einen Teil zu wenig eingegangen bin. Den Druck und angestauten Dampf beziehe ich auf mehr, als nur die durch die Massnahmen eingeschränkten Freiheiten. Für mich ist es ein Sammelsurium von gesellschaftlichen Entwicklungen, welche den Menschen immer mehr aus dem Blick verlieren. Diese Menschen fühlen sich ungehört, vernachlässigt, abgehängt, in eine Richtung getrieben, die sie nicht gehen wollen und können sich diese Entwicklungen nur noch mit Hilfe von abstrusen Verschwörungstheorien erklären. Ich bin mir sicher, dass sie keine einheitliche Argumentation liefern können, warum sie gegen 5G, Bill Gates, Impfungen, Globalisierung, linke oder rechte Politik oder was auch immer sind. Sie werden sich wohl einzig darin einig sein, dass die Argumente für diese Entwicklungen oft Lügen beinhalten.
Du hast keine Mühe damit, den Virus einzuschätzen. Dementsprechend kannst du dich damit arrangieren, dich entsprechend zu verhalten. Aber es gibt sehr viele, die sich selbst nur äusserst widerwillig an die Massnahmen und Empfehlungen halten können, weil sie selbst eine andere Vorstellung davon haben, was sie vom Leben erwarten. Sie lechzen förmlich nach einem Grund, sich nicht mehr daran halten zu müssen. Ob es richtig oder falsch ist, sei mal dahin gestellt. Aber dieses Potenzial existiert, das siehst du in diesem Thread.
Weil ein Virus und seine Auswirkungen nicht direkt sichtbar sind, wie es beispielsweise ein Erdbeben oder Vulkanausbruch wäre, lässt er sich einfacher ignorieren oder verdrängen. Man muss der Wissenschaft glauben, um seine Wirkung zu verstehen oder man kann sich einfach weigern der Wissenschaft zu glauben, weil sie in der Vergangenheit einmal gelogen hat. Kombiniert man dies mit «There's no glory in prevention» und man sieht, wie einfach sich die Auswirkungen des Virus verdrängen lassen.
Die Grenze zwischen den Narrativen der Verschwörungstheoretiker und beispielsweise jenem, dass der Staat in zu viele Freiheiten eingreift und das individuelle Wohl nicht mehr berücksichtigt, ist leider fliessend.
Das sind in etwa die Prämissen, von denen ich ausgehe.
Was ich in meinem Beitrag ausdrücken wollte war, dass ich die Aussicht auf einen Wiederanstieg des Infektionsgeschehens, ausgelöst von ein paar Hundert Demonstranten lieber in Kauf nehme, als die Aussicht auf einen Anstieg der Anzahl Unzufriedenen, welche dem Staat nicht mehr trauen und darum auf die Strasse gehen.
Ich sehe dieses Potenzial der Zunahme darin, weil die Grenzen so fliessend sind und weil die Pandemie so schwer nachzuvollziehen ist.
Wenn du die Grenze, ab der der Staat autoritär durchgreifen soll, genau da ziehst, wo es für dich noch stimmt – dass du freiwillig und nicht aus Zwang handelst – musst du davon ausgehen, dass es für viele unterhalb deines Erkenntnisstandes unverständlicher Zwang wird. Und diese nicht verstandenen Zwänge erzeugen den von mir erwähnten Druck. Ich meinte mit «Dampf ablassen» nicht, dem der eigenen Opferbereitschaft einhergehenden Unmut abzubauen. Den gilt es zu ertragen, weil man ihn nachvollziehen und verstehen kann. Ich meinte mit Druck und Dampf den aus nicht nachvollziehbaren Zwängen entspringen Unmut. Denn dieser würde nur das Misstrauen in die Politik erhöhen.
Eine Demokratie erblüht, wenn der kollektive Erkenntnisstand und das Vertrauen in die Politik hoch sind. Aber man muss davon ausgehen, mal über und mal unter dem Durchschnitt oder Median zu liegen. Zu Gunsten der Gemeinschaft mal ein Opfer zu bringen oder mal einen Zwang auszuhalten. Diese Demonstranten zeigen nur, wie gross die Erkenntnisunterschiede sind, wie viel Mühe es einigen bereitet, neue Sachverhalte einordnen zu können.
Nobilissa hat die Quintessenz meines Beitrags kürzer gefasst: Es sollte mehr in Bildung investiert werden.
Und vielleicht sollte man sich dabei auch gleich überlegen, was Bildung denn erfüllen soll. Aus meiner Sicht müsste unsere Bildung die Lernfähigkeit erhalten und erhöhen, nicht nur die Menge des Gelernten.