Etwas Steuerlehre zur SVP Familieninitiative oder der Steuerwert der freien Zeit
Publiziert am 3. November 2013 geschrieben von Monika Bütler
Monika Bütler
Erschienen in der NZZ am Sonntag vom 3. November 2013 unter dem Titel “Den Familienabzug gibt es längst”.
Sie ist die personifizierte Ungerechtigkeit in den Augen der Initiatoren der SVP Familieninitiative: Die Luxus-shoppende Zahnarztgattin, die zur Ausübung ihres Hobbys ihren Porsche Cayenne auf dem Zürcher Münsterhof und ihre traurigen Kinder in der Krippe parkiert. Und dafür erst noch die Betreuungskosten in der Steuerrechnung abziehen darf. Der bescheidenen Schreinergattin, die ihre Kinder immer selber betreut, ist dieser Abzug hingegen verwehrt. Das ist selbstverständlich ungerecht und widerspricht allen Grundsätzen eines effizienten Steuersystems.
Die Lösung wäre simpel: Der Fremdbetreuungsabzug wird nur dann gewährt, wenn die Fremdbetreuung im Zusammenhang mit einer Beschäftigung steht. Und sie würde erst noch zu den Forderungen der sonst so auf Budgetdisziplin bedachten SVP passen, einer Partei, die sich gemäss ihrer Homepage einsetzt für „eine Vereinfachung des Steuersystems mit mehr Pauschalabzügen und tieferen Steuersätzen statt einer Vielzahl von abzugsberechtigten Einzelinteressen“.
Weshalb also einen ungerechtfertigten Abzug durch einen anderen, ebenso ungerechtfertigten Abzug kompensieren, der erst noch neue Ungerechtigkeiten schafft? Natürlich geht es auch um die Bevorzugung eines bestimmten Familienmodells. Aber nicht nur: Die Argumentation auf beiden Seiten zeigt Missverständnisse auf. Zeit diese auszuräumen.
Kaum jemand, ob links oder rechts, wertkonservativ oder progressiv, würde das Prinzip der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit, einen fundamentalen Grundsatz unseres Steuersystems, ablehnen. Wenn zwei Leute die gleiche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit haben, sollen sie auch ungefähr gleich viel Steuern bezahlen. Wer wirtschaftlich leistungsfähiger ist, muss einen höheren Obolus entrichten. Soweit so gut. Der Streit beginnt dort, wo es um die Definition der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit geht. (Und, für die Familieninitiative weniger relevant, um wie viel mehr der wirtschaftlich leistungsfähigere zahlen soll.)
Wie schwierig die Beurteilung ist zeigt ein einfaches Beispiel: Der Vollzeit arbeitende Jurist bezahlt rund dreimal mehr Steuern als sein sonst identischer Kollege mit einer 50% Teilzeitstelle. Zum Lebensstandard des Teilzeitjuristen zählt allerdings nicht nur sein Einkommen, sondern auch die Zeit, in der er neben Faulenzen Arbeiten erledigen kann, die der Vollzeitjurist auf dem Markt teuer einkaufen muss. Hemden bügeln, zum Beispiel. Salopp gesprochen subventioniert der Vollzeitjurist den wirtschaftlich genau gleich leistungsfähigen Teilzeitjuristen. Aus diesem Grund zählen viele Steuertheoretiker die Zeit ebenfalls zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Die verfügbare Zeit müsste daher – wäre sie nicht so schwierig zu messen – Teil der Steuerbasis sein.
Was hat dies nun mit der Familieninitiative zu tun? Es geht eben genau um den Vergleich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Familienformen, sowie um die Zeitkosten, welche nicht arbeitende Mütter für ihren Nachwuchs aufwenden.
Zuerst einmal ist völlig klar, dass eine Familie eine geringere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hat als eine alleinstehende Person mit gleichem steuerbaren Einkommen. Doch genau dies berücksichtigt der – international relativ unübliche – Steuertarif für Verheirate bereits. Dieser beruht auf dem traditionellen Familienmodell, bei dem ein Elternteil (im folgenden Mutter genannt) zu Hause zu den Kindern schaut. Mit anderen Worten: Wir haben den Familienabzug bereits; die Steuerersparnisse sind für den Mittelstand etwa so hoch wie ein steuerlicher Abzug von rund 15‘000 Franken.
Den finanziellen Kosten einer traditionellen Familie steht andererseits der wirtschaftliche Nutzen der zeitlichen Verfügbarkeit der Mutter gegenüber, der auch in konservativen Kreisen unbestritten ist. Nicht von ungefähr heisst es, dass die Mutter dem hart arbeitenden Vater den Rücken freihält. Mit Hemden bügeln, zum Beispiel. Mehr Zeit heisst nicht nur mehr Zeit für die Betreuung der Kinder, sondern auch: mehr Zeit um sich um Haus und Herrn zu kümmern, günstigere Kinderkleider zu kaufen, selbst zu kochen und vieles mehr. Dieses Zeiteinkommen wird in der Steuerrechnung nicht berücksichtigt. Würde die frei verfügbare Zeit besteuert, müsste die zu Hause arbeitende Mutter ihre Zeitkosten für die Kinderbetreuung als Gewinnungskosten selbstverständlich abziehen können. Aber eben: nur dann.
So gut der Verheiratetentarif zur traditionellen Familie passt, so schlecht bildet er die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Familie mit zwei Einkommen ab. So unterliegt der Zweitverdienst einer dreifachen Progression. Zum einen durch die gemeinsame Veranlagung der Ehepartner, wodurch der Zweitverdienst viel höher besteuert wird als der Erstverdienst. Zum zweiten durch die Betreuungskosten, die mit zusätzlichem Einkommen oft stärker steigen als das Einkommen selber. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird, drittens, noch durch die reduzierte Freizeit eingeschränkt. Für viele Familien wird daher das Prinzip der Besteuerung nach wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit verletzt; der Abzug für die Fremdbetreuung von Kindern, sowie der Zweitverdienerabzug korrigieren dies nur teilweise. Wo es tatsächlich ungerechtfertigte Abzüge gibt (bei der Zahnarztgattin), könnten diese direkt und erst noch im Sinne der SVP kostensparend beseitigt werden.
Nicht einmal die oft beklagte Heiratsstrafe bei Steuern und AHV spricht für einen steuerlichen Abzug für die Heimbetreuung. Die Heiratsstrafe gibt es zwar – aber wiederum nur für Doppelverdiener. Für das Einverdienerehepaar ist es genau umgekehrt. So genügt ein Beitragszahler, um in der AHV eine zweite Rente (für die Mutter) auszulösen. Die als Gleichstellungsreform bekannte 10. AHV-Revision hat den Vorteil der Hausfrau gegenüber der erwerbstätigen Mutter bei den Sozialversicherungen sogar noch vergrössert.
Wenn es also nicht um steuerliche Gleichbehandlung geht, was bleibt? Man kann aus weltanschaulichen Gründen eine grössere finanzielle Bevorzugung des Modells Hausfrau wünschen. Für den Staat (und die Wirtschaft) wird es allerdings sehr teuer, wenn nicht mehr – wie früher – die junge Frau mit Primarschulabschluss zu Hause bleibt, sondern die Ärztin oder Informatikerin. Wenn sich also auf Staatskosten ausgebildete Frauen aus dem Erwerbsleben verabschieden. Und die Ungleichbehandlung will nicht so recht dazu passen, dass genau die Kreise, die sich die verheiratete Mutter zu Hause wünschen, dieselbe Mutter mit denselben Kindern nach der Scheidung zu möglichst viel Arbeit verpflichten wollen. Es scheint fast, als ob es weniger um die Kinder geht als um die Betreuung des Ehemannes.
Einer Person kann der Ausgang der Abstimmung egal sein: Der ungeliebten Zahnarztgattin. Bei einem Ja zur Initiative setzt sie einfach – statt der Fremdbetreuungskosten – den Heimbetreuungsabzug in die Steuerrechnung ein. Ohne eigenes Erwerbseinkommen erfüllt sie die Bedingungen klar. Während die Schreinerfamilie bei einem Abzug von 10‘000 Franken pro Kind bestenfalls 200 Franken pro Kind weniger Bundessteuern zahlt, spart die Zahnarztfamilie 1300 Franken pro Kind allein an Bundessteuern. Ein schöner Zustupf für die Shoppingkasse.
http://www.batz.ch/2013/11/etwas-steuer ... eien-zeit/