1899 statt TSG - Vom Sieg des "modernen Fussballs"
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Mittwoch, den 27. August 2008 um 12:26 Uhr von Martin Stahlke
Die Saison 2008/09 laeuft erst seit zwei Spieltagen und die Liga hat ihr
erstes Politikum. Dass die TSG Hoffenheim polarisiert ist nicht neu. Doch die temporaere Spitzenreiterposition des Dorfvereins (Hoffenheim zaehlt 3300
Einwohner) aus Baden-Wuerttemberg und eine erste ruede, verbale
Auseinandersetzung zwischen gegnerischen Fans einerseits und Grossinvestor
und Multimilliardaer Dietmar Hopp sowie DFB Praesident Theo Zwanziger
andererseits forciert den Konflikt bereits jetzt.
Zwei neue Stadien und 20 Millionen Euro - von der Kreisliga in die
Bundesliga
Seit 1989 unterstuetzt der SAP Gruender Hopp den damals noch in der
Kreisliga spielenden Club, seinen Heimatverein. Ab da an ging es stetig
aufwaerts. 1999 baute der Maezen ein neues Stadion, das
Dietmar-Hopp-Stadion, das aber mittlerweile schon wieder zu klein geworden
ist und durch die sich im Bau befindliche Rhein-Neckar-Arena ersetzt werden
wird, was aus der TSG vermutlich die einzige Mannschaft der Welt macht, der
zwei mal innerhalb von zehn Jahren ein neues Stadion hingestellt wird. Doch
nicht nur in Steine investiert Hopp, auch in Beine: Zwar betonen die
Vertreter der TSG wieder und wieder, ihr maerchenhafter Aufstieg sei in
erster Linie zu verbinden mit der vorbildlichen Jugendarbeit, doch als der
Beginn der ersten Zweitligasaison im vergangenen Jahr nicht ganz so von
statten ging, wie man es sich vorgestellt hatte, wurden mit Carlos Eduardo,
Demba Ba und Chinedu Obasi drei Spieler fuer vermutlich 17 Millionen
eingekauft. Allein Eduardo kostete wohl acht Millionen u20AC, selbst im deutschen Erstligageschaeft eine betrachtliche Transfersumme, fuer die Zweite Liga ein absoluter Rekordeinkauf, die bis dahin teuersten Neueinkaeufe in der zweiten Spielklasse bewegten sich um die zwei Millionen Euro. Und auch in dieser Saison wurde noch einmal nachgelegt, der junge Brasilianer Wellington kam fuer rund 4,5 Millionen Euro. Ralf Rangnik, seines Zeichens Trainer der Hoffenheimer hatte bei kritischen Fragen lange darauf verwiesen, dass in dieser Saison nicht gross eingekauft werde ? ein Transfer in Hoehe von 4,5 Millionen waere bei der Haelfte aller Bundesligisten absoluter Rekordeinkauf.
Die sportliche Existenzberechtigung ist nicht von der Hand zu weisen
Spaetestens seitdem schwelt der Konflikt zwischen dem "Projekt" Hoffenheim,
wie Hopp und Mannen das Ganze gerne nennen und den Anhaengern anderer
Vereine. Dabei geht es weniger um sportliche Fragen als vielmehr um
Fussballkultur und die damit verbundene Identitaetsbildung. Nicht muede
werden die Hoffenheimer und deren Unterstuetzer in der Diskussion die
sportliche Leistung und die damit verbundene Daseinsberechtigung in der
hoechsten deutschen Spielklasse zu betonen. Ein Argument, das niemand vom
Tisch wischen kann: Wer sich sportlich qualifiziert hat, hat es verdient, in
der ersten Bundesliga zu spielen. Und nur dies spielt eine Rolle, Fragen nach Tradition, nach Fanaufkommen (letzte Saison belegte die TSG in der Zweiten Liga diesbezueglich mit 6000 Zuschauern im Schnitt den letzten Rang) und nach gewachsenen Strukturen spielen fuer die Entscheidung ueber Auf- oder Abstieg keine Rolle.
Ein in seiner Eitelkeit verletzter Investor und ein buckelnder Praesident
Doch Deutschlands Sport Nummer Eins ist mehr als nur das blosse sportliche
neunzigminuetige Tun auf dem Rasen. Jenseits dessen ist es ein komplexes
Gebilde aus wirtschaftlichen Interessen und gesellschaftlicher
Identitaetsbildung. Und waehrend ersteres dazu fuehrt, dass Medien und
Institutionen wie der DFB das "Projekt" Hoffenheim umbuhlen und Hopp den Hof
machen, ist zweiteres der Grund fuer die strenge Ablehnung, die die TSG in
bundesdeutschen Stadien erfaehrt, zuletzt geschehen am vergangenen
Wochenende im Mannheimer Carl Benz Stadion (Hoffenheim spielt hier bis das
eigene neue Stadion fertig ist), als Fans der Borussia aus Moenchengladbach
Dietmar Hopp unflaetig beschimpften. Der als eitel bekannte Hopp erklaerte
darauf hin beleidigt, er werde fortan nur noch zu Auswaertsspielen fahren,
bei denen er nicht gefaehrdet sei (in wie weit er durch Sprechchoere
gefaehrdet ist, muss dabei noch geklaert werden). DFB Praesident Zwanziger,
selbst Gast der Hoffenheimer am vergangenen Samstag, sprang dem solchermassen schwer gebeutelten Multimilliardaer zur Seite, die Moenchengladbacher Borussia musste sich offiziell im Namen ihres Anhangs entschuldigen bei Hopp.
Neid als Beweggrund der Ablehnung ist zu kurz gedacht
Der pure Neid, so die Hoffenheimer, sei der Ursprung der Anfeindungen gegen
das "Projekt" Hoffenheim. Und kein Fussballfan der Welt wird bestreiten
koennen, dass eine Finanzspritze von knapp 20 Millionen Euro allein fuer
Transfers in einem Jahr beim eigenen Verein nicht gern gesehen waere. Dass
dies einem No-Name moeglich ist, dem eigenen Traditionsverein in der Regel
nicht, ist mit Sicherheit auch ein Beweggrund. Aber das Phaenomen der
Ablehnung damit erklaeren zu wollen, ist mit Sicherheit viel zu kurz
gesprungen. Und die Hoffenheimer wissen dies selbst: Nicht ohne Grund wurde
der Name des Vereins von TSG Hoffenheim in 1899 Hoffenheim geaendert, die
mangelnde Tradition als Spitzenverein ohne Legenden und Mythen, die bei
anderen Vereinen die Anhaengerschaft mobilisiert, soll so ueberdeckt werden.
"Gegen den modernen Fussball"
Obwohl der bezahlte Fussball laengst ein Millionengeschaeft geworden ist,
ist fuer die Anhaenger, die seit Jahr und Tag in die Stadien pilgern mit dem
Kick weit mehr verbunden als dicke Geschaefte und der blosse sportliche
Wettbewerb. Insbesondere in Zeiten sich aufloesender Sinnstrukturen und
wegbrechender sozialer Absicherung ist der eigene Verein ein Instrument zur
Identitaetsbildung geworden. Loyalitaet und tiefe Verbundenheit jenseits des
sportlichen Erfolges sind fuer viele Anhaenger eine staerkere Antriebsfeder,
sich allsamstaeglich in Bewegung zu setzen als Champions League und
Meisterschale. Daraus folgt ein schon seit Jahren schwelender Widerspruch
zwischen der Entwicklung im Geschaeft Profifussball und Anspruch der die
Stadien fuellenden Fussballfans. Mit Sorge wird dabei ins Mutterland des
Fussballs, nach England geblickt: Zwar ist die Premier League durch ihre
auslaendischen Stars zur Zeit wohl die teuerste und beste Liga der Welt, doch die dafuer zu zahlenden Eintrittspreise sind jenseits von Gut und Boese und sorgen fuer einen Austausch des Publikums.
Und so prangt in vielen deutschen Fankurven mittlerweile ein Plakat, das mit
"Gegen den modernen Fussball" beschrieben ist, und der Sorge Ausdruck
verleiht, Fussball verkomme zum blossen Geschaeft. Hoffenheim ist beredtes
Beispiel dafuer, dass die Sorge begruendet ist. Denn der Erfolg der TSG ist
ein weiteres Indiz dafuer, dass es fuer einen erfolgreichen Fussballverein
gar keine Fans braucht: Schon lange treiben die zuschauerarmen aber telegenen Werbemassnahmen aus Wolfsburg (VW) und Leverkusen (Bayer) recht erfolgreich ihr Unwesen, in der zweiten Liga waechst Ingolstadt (Audi) nach. Dass der Erfolg dieser Vereine wenig mit dem Anspruch erfolgreichen Sport zu betreiben und viel mit dem Wunsch der entsprechenden Firmen, ihr Logo samstaeglich deutschlandweit und mittwochlich europaweit ueber die Bildschirme zu schicken zu tun hat, ist kein Geheimnis.
Nun also noch das "Projekt" Hoffenheim, das den letztjaehrigen Zuschauerschnitt nur den vielen Gaestefans zu verdanken hat:
Im Wettstreit der Marken geht es auch ohne Fans und ohne gewachsene Strukturen. Und das trifft den Fan viel mehr als der Neid auf das aus der Portokasse bezahlte Transfervolumen von 20 Millionen Euro.
Hoffenheimer Schoenredereien
Dabei versucht Hoffenheim vieles schoen zu reden, was nicht schoen zu reden
ist: Die TSG sei Hopps Heimatverein und alles was er mache sei, seinem Klub,
bei dem er einst selbst die Fusballschuhe schnuerte, zu unterstuetzen:
Klittern wir also aus der Geschichte, dass Hopp noch vor Jahren versuchte,
aus den Vereinen TSG Hoffenheim, FC Astoria Walldorf und SV Sandhausen das
Kunstprodukt "FC Heidelberg 06" zu machen (Der Name und Standort Heidelberg
schien zukunftstraechtiger, sprich: besser zu vermarkten). Darueber hinaus
sei die Jugendarbeit Hoffenheims vorbildlich? Ignorieren wir also die Klagen
der Region, dass die TSG Jugendspieler fuer viel Geld aus ihren
Heimatvereinen wegkauft und ignorieren wir, dass die jungen Stars aus
Brasilien, dem Senegal und Nigeria stammen.
Der Kommerz frisst seine Kinder
Es hilft alles nichts, kein Klagen und kein Jammern. Am Ende steht die
sportliche Qualifikation und die Tatsache, dass diese unberuehrt ist von der
Kommerzialisierung die ihre Kinder frisst. Andere Regulierungsmassnahmen gibt es nicht und es steht nicht zu erwarten, dass ausgerechnet der Fussball einer anderen Ethik folgen sollte als dem herrschendem Darwinismus. Und waehrend sich fortan Wolfsburg, Leverkusen und Hoffenheim um die Meisterschaft streiten muss der gemeine Fussballfan wohl lernen, die unteren Ligen wert zu schaetzen. Da wo die Zahl der Cheerleader, der von Sponsor XY praesentierten Eckenverhaeltnisse und der zuschauerarmen Plastikprojekte noch gering ist und wo die TSG noch TSG hiess.