Der ganz normale italienische Wahnsinn

Alles über Fussball, ausser FCB.
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zul alpha 3
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Der ganz normale italienische Wahnsinn

Beitrag von zul alpha 3 »

18. Oktober 2005, Neue Zürcher Zeitung

Auf internationalen Fussballplätzen
Der ganz normale italienische Wahnsinn


In Ascoli Piceno, der Kleinstadt in der Region Marche, war das Spiel vorbei. (Ascoli hatte 2:1 gegen Sampdoria gewonnen.) In der Nordkurve, wo sich einige Dutzend Anhänger der Genuesen verloren, blieb Ambretta Piergiovanni, eine pensionierte Krankenschwester aus Fano, neben ihrem Sohn auf der Steintribüne sitzen, bis die Carabinieri die Ausgänge öffnen würden. Die Leuchtrakete, die aus dem Sektor der Ascoli- Ultras 150 Meter weit über das Stadion auf sie zuflog, hat sie nicht gesehen. Das Geschoss, dreissig Zentimeter lang, wie es in der Seefahrt als Notsignal verwendet wird, schlug auf eine Mauer, ein Splitter riss der Zuschauerin eine tiefe Wunde in die Stirne. Die Verletzung war nicht lebensgefährlich, aber die Bilder des blutüberströmten Opfers liefen auf allen Fernsehkanälen wie eine Metapher der Untergangsstimmung, die den italienischen Fussball erfasst hat.

Spät am Abend meldete sich ein Sechzehnjähriger begleitet von seinen Eltern und einem Anwalt bei der Polizei. Ein Junge aus gutem Hause, aber einschlägig registriert. Er wurde unter Hausarrest gestellt, sein 18-jähriger Komplize in Untersuchungshaft genommen. Die beiden waren vermutlich mit ihrer Rakete erst wenige Minuten vor Spielschluss aufgetaucht, als die Kontrollen abgezogen und die Tore bereits geöffnet waren. Erst drei Tage zuvor hatte der Senat in Rom das Anti-Gewalt-Dekret des Innenministers Pisanu zum Gesetz erklärt. Den Vandalen und Aufrührern drohen jetzt bis zu vier Jahren Gefängnis. Die organisierten Tifosi in Mailand und Rom erschienen aus Protest gegen die verschärften Sicherheitsmassnahmen, etwa die namentlich ausgestellten Tickets, ohne die sie nicht mehr in die Stadien gelangen, mit Verspätung auf den Rängen.

Doch das Problem sind nicht streikende Hitzköpfe, sondern das ausbleibende traditionelle Publikum, die Leere auf den Rängen, die erkaltete Leidenschaft für das Spiel. Das «Derby d'Italia» zwischen Juventus und Inter vor zwei Wochen im Turiner Stadio delle Alpi brachte kaum 30 000 Zuschauer auf die Beine. Die Zuschauerzahlen der Serie A sinken seit 1992 kontinuierlich: Von damals durchschnittlich 34 200 auf 24 900. Das hängt gewiss auch mit der Verwässerung durch die Aufstockung auf 20 Mannschaften zusammen und damit, dass Klubs wie Napoli, Genoa und Torino abgestürzt sind. Nur noch etwa 10 Prozent der Einnahmen stammen aus den Eintritten, die Erlöse aus den TV-Rechten sind auf 54,3 Prozent gestiegen, deshalb ist es auch sinnlos, den Einfluss des Fernsehens zu verteufeln. Pay-per-view- Angebote sind wie Peep-Shows: Mit 5 Euro ist man bei Murdochs Sky-Satelliten-Programmen ebenso dabei wie bei den terrestrisch verbreiteten Sendern La7 von Telecom Italia oder bei Berlusconis Mediaset.

Dieser Markt wächst, mittlerweile schalten sich 12 Millionen Kunden zu. Der postmoderne Fussball der Beckhams und Ronaldinhos ist ein dramaturgisch zerdehntes Schauspiel mit eingestreuten Werbeschnipseln, dessen Unmittelbarkeit aufgehoben wird durch unzählige Wiederholungen. Es ist ein anderes Spiel. Deshalb greift die italienische Sinnkrise viel tiefer: Dem Calcio läuft die Jugend davon. «Der alte Mechanismus, dass sich die Liebe zum Fussball von den Vätern auf die Söhne überträgt, scheint gebrochen», mutmasst «La Repubblica». «Fussball ist der veraltete Sport eines überalterten Landes.» Die Eltern verbieten ihren Kindern «dieses grauenhafte, mafiose Klima der Gewalt» in den Stadien, die «zum Territorium von Ultra-Banden verkommen sind». «Fussball ist der Sport von aufgeblasenen Erwachsenen, komischen Streithähnen und blasierten Hauptdarstellern.» Marcello Lippi, der Nationalcoach, beklagt, dass «keine jungen Spieler mehr von der Strasse kommen». In seiner Jugend fuhren auf Italiens Strassen 8 Millionen Autos herum, heute 50 Millionen, und jeder Halbwüchsige hat ein Motorino.

Die Stars in den Arenen kommen aus dem Staub brasilianischer Favelas und dem «terrain vague» afrikanischer Riesenstädte. Der Held der italienischen Jugend ist der Motorradkünstler Valentino Rossi. Die Kinder spielen Basketball, und am Fernsehen amüsieren sie sich mit Wrestling-Shows (und kaufen 25 Millionen Bildchen von Eddie Guerrero und Rey Mistero und nicht mehr die Albumfotos von Totti und Vieri).

Da ist alles gespielt. Wenn am Fernsehen der alte Trainer Franco Scoglio den Herztod stirbt, mitten in einem Wortstreit, dann ist das eine Tragödie. Wenn der 28-jährige Lapo Elkann, der Lieblingsenkel des früheren Fiat-Patriarchen Gianni Agnelli und als künftiger Padrone von Juventus Turin ausersehen, nach einem Kokain- Trip in der Wohnung eines Transvestiten drei Tage ins Koma fällt, dann hat das mit Fussball nichts zu tun. Wenn der Inter-Stürmer Adriano vier Tage zu spät aus Brasilien nach Mailand zurückfliegt und auf der Tribüne von San Siro noch die letzte Viertelstunde zusieht, wie seine im Stiche gelassenen Kollegen Livorno 5:0 besiegen, in der gleichen Woche, in der sein Boss Moratti 50 Millionen Euro zuschiesst zur Deckung des Jahresverlustes, dann gilt, was Fellinis Drehbuchschreiber Ennio Flaiano sagte: «Die Lage ist, wie immer in Italien, hoffnungslos, aber nicht ernst.»

Peter Hartmann

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rotoloso
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Beitrag von rotoloso »

zul alpha 3 hat geschrieben:18. Oktober 2005, Neue Zürcher Zeitung

Auf internationalen Fussballplätzen
Der ganz normale italienische Wahnsinn


In Ascoli Piceno, der Kleinstadt in der Region Marche, war das Spiel vorbei. (Ascoli hatte 2:1 gegen Sampdoria gewonnen.) In der Nordkurve, wo sich einige Dutzend Anhänger der Genuesen verloren, blieb Ambretta Piergiovanni, eine pensionierte Krankenschwester aus Fano, neben ihrem Sohn auf der Steintribüne sitzen, bis die Carabinieri die Ausgänge öffnen würden. Die Leuchtrakete, die aus dem Sektor der Ascoli- Ultras 150 Meter weit über das Stadion auf sie zuflog, hat sie nicht gesehen. Das Geschoss, dreissig Zentimeter lang, wie es in der Seefahrt als Notsignal verwendet wird, schlug auf eine Mauer, ein Splitter riss der Zuschauerin eine tiefe Wunde in die Stirne. Die Verletzung war nicht lebensgefährlich, aber die Bilder des blutüberströmten Opfers liefen auf allen Fernsehkanälen wie eine Metapher der Untergangsstimmung, die den italienischen Fussball erfasst hat.

Spät am Abend meldete sich ein Sechzehnjähriger begleitet von seinen Eltern und einem Anwalt bei der Polizei. Ein Junge aus gutem Hause, aber einschlägig registriert. Er wurde unter Hausarrest gestellt, sein 18-jähriger Komplize in Untersuchungshaft genommen. Die beiden waren vermutlich mit ihrer Rakete erst wenige Minuten vor Spielschluss aufgetaucht, als die Kontrollen abgezogen und die Tore bereits geöffnet waren. Erst drei Tage zuvor hatte der Senat in Rom das Anti-Gewalt-Dekret des Innenministers Pisanu zum Gesetz erklärt. Den Vandalen und Aufrührern drohen jetzt bis zu vier Jahren Gefängnis. Die organisierten Tifosi in Mailand und Rom erschienen aus Protest gegen die verschärften Sicherheitsmassnahmen, etwa die namentlich ausgestellten Tickets, ohne die sie nicht mehr in die Stadien gelangen, mit Verspätung auf den Rängen.

Doch das Problem sind nicht streikende Hitzköpfe, sondern das ausbleibende traditionelle Publikum, die Leere auf den Rängen, die erkaltete Leidenschaft für das Spiel. Das «Derby d'Italia» zwischen Juventus und Inter vor zwei Wochen im Turiner Stadio delle Alpi brachte kaum 30 000 Zuschauer auf die Beine. Die Zuschauerzahlen der Serie A sinken seit 1992 kontinuierlich: Von damals durchschnittlich 34 200 auf 24 900. Das hängt gewiss auch mit der Verwässerung durch die Aufstockung auf 20 Mannschaften zusammen und damit, dass Klubs wie Napoli, Genoa und Torino abgestürzt sind. Nur noch etwa 10 Prozent der Einnahmen stammen aus den Eintritten, die Erlöse aus den TV-Rechten sind auf 54,3 Prozent gestiegen, deshalb ist es auch sinnlos, den Einfluss des Fernsehens zu verteufeln. Pay-per-view- Angebote sind wie Peep-Shows: Mit 5 Euro ist man bei Murdochs Sky-Satelliten-Programmen ebenso dabei wie bei den terrestrisch verbreiteten Sendern La7 von Telecom Italia oder bei Berlusconis Mediaset.

Dieser Markt wächst, mittlerweile schalten sich 12 Millionen Kunden zu. Der postmoderne Fussball der Beckhams und Ronaldinhos ist ein dramaturgisch zerdehntes Schauspiel mit eingestreuten Werbeschnipseln, dessen Unmittelbarkeit aufgehoben wird durch unzählige Wiederholungen. Es ist ein anderes Spiel. Deshalb greift die italienische Sinnkrise viel tiefer: Dem Calcio läuft die Jugend davon. «Der alte Mechanismus, dass sich die Liebe zum Fussball von den Vätern auf die Söhne überträgt, scheint gebrochen», mutmasst «La Repubblica». «Fussball ist der veraltete Sport eines überalterten Landes.» Die Eltern verbieten ihren Kindern «dieses grauenhafte, mafiose Klima der Gewalt» in den Stadien, die «zum Territorium von Ultra-Banden verkommen sind». «Fussball ist der Sport von aufgeblasenen Erwachsenen, komischen Streithähnen und blasierten Hauptdarstellern.» Marcello Lippi, der Nationalcoach, beklagt, dass «keine jungen Spieler mehr von der Strasse kommen». In seiner Jugend fuhren auf Italiens Strassen 8 Millionen Autos herum, heute 50 Millionen, und jeder Halbwüchsige hat ein Motorino.

Die Stars in den Arenen kommen aus dem Staub brasilianischer Favelas und dem «terrain vague» afrikanischer Riesenstädte. Der Held der italienischen Jugend ist der Motorradkünstler Valentino Rossi. Die Kinder spielen Basketball, und am Fernsehen amüsieren sie sich mit Wrestling-Shows (und kaufen 25 Millionen Bildchen von Eddie Guerrero und Rey Mistero und nicht mehr die Albumfotos von Totti und Vieri).

Da ist alles gespielt. Wenn am Fernsehen der alte Trainer Franco Scoglio den Herztod stirbt, mitten in einem Wortstreit, dann ist das eine Tragödie. Wenn der 28-jährige Lapo Elkann, der Lieblingsenkel des früheren Fiat-Patriarchen Gianni Agnelli und als künftiger Padrone von Juventus Turin ausersehen, nach einem Kokain- Trip in der Wohnung eines Transvestiten drei Tage ins Koma fällt, dann hat das mit Fussball nichts zu tun. Wenn der Inter-Stürmer Adriano vier Tage zu spät aus Brasilien nach Mailand zurückfliegt und auf der Tribüne von San Siro noch die letzte Viertelstunde zusieht, wie seine im Stiche gelassenen Kollegen Livorno 5:0 besiegen, in der gleichen Woche, in der sein Boss Moratti 50 Millionen Euro zuschiesst zur Deckung des Jahresverlustes, dann gilt, was Fellinis Drehbuchschreiber Ennio Flaiano sagte: «Die Lage ist, wie immer in Italien, hoffnungslos, aber nicht ernst.»

Peter Hartmann
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crazychillbär
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Beitrag von crazychillbär »

Ist ja alles schön und gut,aber wenn man mit Seenotsignalen Leute abwirft,wenn auch nicht bewusst,dann ist das einfach nur noch scheisse.
Wenn der Rubel rollt, ist die Ethik am Arsch!!

Freeride isch me wie numme e Sport, es isch e Lydeschaft!!!

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alduccio
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Beitrag von alduccio »

Dai vieni in curva sud
divertiti anche tu
accendi la passione
e spegni la TV!!!!!!!
Noi siamo quelli che
combattono per te
amici di nessuno
per noi c'è solo la JUVE!!

:D

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örjan berg
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Serie A news

Beitrag von örjan berg »

es git scho e bundesliga-news fred. worum also nit e sammelfred über d serie A. no muess me nit für jedes thema über de italienischi fuessball e neue fred eröffne.

Ascoli vor leeren Rängen

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Der italienische Erstliga-Aufsteiger Ascoli Calcio muss seine beiden kommenden Heimspiele in der Serie A unter Ausschluss von Publikum bestreiten. Beim 2:1-Heimsieg über Sampdoria Genua war eine Gästeanhängerin durch einen Feuerwerkskörper im Gesicht verletzt worden.
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Gewalt regiert in italienischen Stadien, auch am vergangenen Sonntag in Ascoli.Das Sportgericht entschied am Mittwoch über das Strafmaß. Zudem wird eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 Euro fällig.

Nach Abpfiff der Partie hatten noch einige Hundert Gästefans im Stadion des Liganeulings darauf gewartet, dass die Sicherheitskräfte den Block öffnen würden, damit die Fans die Heimreise nach Ligurien antreten konnten.

Unter den Genuesern weilte auch die pensionierte Krankenschwester Ambretta Piergiovanni. Aus dem gegenüberliegenden, rund 150 Meter entfernten Sektor der Ascoli-Ultras wurde eine Seenot-Rakete abgefeuert, die mitten im Gästeblock auf eine Mauer traf. Piergiovanni wurde von einem Splitter im Gesicht getroffen. Das Bild von der blutüberströmten Frau war auf allen Fernsehkanälen in Italien zu sehen.

Noch am gleichen Abend meldeten sich ein 16- und ein 18-Jähriger, die zugaben, das Geschoss abgefeuert zu haben. Die beiden Ascoli-Fans waren erst kurz vor Spielende damit ins Stadion gelangt. Der jüngere wurde danach unter Hausarrest gestellt, der ältere sitzt in U-Haft.

Der Vorfall ereignete sich nur wenige Tage, nachdem der Senat in Rom das Anti-Gewalt-Dekret zum Gesetz erklärte. Danach drohen Gewalttätern inzwischen bis zu vier Jahre Gefängnis.

http://www.kicker.de
[CENTER](c) by örjan berg 2007 - alle Rechte vorbehalten[/CENTER]

Lüüter singe, immer lüüter singe, bis dr FCB s goal gschosse het!!:)

[CENTER] :mad: FUSSBALLMAFIA SFV!!:mad:[/CENTER]

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