5. Oktober 2005, Neue Zürcher Zeitung
Schmarotzer unterm Hakenkreuz
Spät, aber schonungslos - Studie zum Verhalten des DFB während des Naziregimes
Mehr als zwei Jahrzehnte lang hat der Deutsche Fussball-Bund (DFB) das Drängen von Kritikern ignorieren können, sich der eigenen Vergangenheit während der Nazi-zeit zu stellen. Eine vom Verband bestellte Studie, dieser Tage in Buchform erschienen, bescheinigt dem Auftraggeber kein freundliches Zeugnis.
sos. Das Verhalten des Deutschen Fussball- Bundes in den Jahren von 1933 bis 1945 hat der Mainzer Historiker Nils Havemann in «Fussball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz»* untersucht - mit dem Anspruch, die erste umfassende Darstellung auf wissenschaftlicher Grundlage zu liefern. Dies ist Havemann gelungen, auf 473 eng bedruckten Seiten, versehen mit einem umfänglichen Anmerkungsteil, der ein imponierendes Quellenverzeichnis offenbart. Doch es hatte erst einiges geschehen müssen, damit dieses Buch erscheinen konnte.
Kritik vom Bundeskanzler
Bereits im Jahr 1999 war die NS-Vergangenheit des DFB zur Streitsache geworden. Der Verband edierte gerade die Chronik zum 100-Jahr-Jubiläum im Folgejahr. Erst auf Nachfrage von Journalisten nahm man sich überhaupt des Themas an, doch die Festschrift, ein opulenter Band mit manchen lesenswerten Beiträgen, gestattete sich ausgerechnet in Sachen Nazivergangenheit einen Ausreisser. Der Autor Karl-Adolf Scherer, ein ehemaliger Journalist der Nachrichtenagentur Sportinformationsdienst, beliess es denn auch nicht bei einer schmeichelhaften Darstellung. Vielmehr schalt er in einem Beitrag für seinen alten Arbeitgeber die Publikation «Stürmer für Hitler», verfasst von den Autoren Gerard Fischer und Ulrich Lindner, die zeitgleich erschienen war, als ein Machwerk, das bloss nicht an Fritz Walter «hängen bleiben» solle.
Scherers Schelte geriet zum Bumerang, der DFB fand sich in der Defensive wieder und sah sich der Frage ausgesetzt, warum sich ausgerechnet der grösste Sportfachverband der Welt einen derart defizitären Umgang mit seiner keineswegs unproblematischen Vergangenheit leistet. Im Chor der Kritiker fanden sich Gerhard Schröder und der damalige Bundespräsident Johannes Rau wieder. So sah man sich angesichts der breiten Opposition genötigt, jene Studie in Auftrag zu geben, die nun dem Thema tatsächlich gerecht wird. Man war ja nicht zum ersten Mal in aller Deutlichkeit darauf gestossen worden. Bereits zum 75. Verbandsjubiläum hatte ein Festredner Unmut im Saal provoziert: Anders als bestellt, klagte der Tübinger Rhetorik-Professer Walter Jens, ein ausgesprochener Fussballfreund und damals noch so etwas wie eine moralische Instanz, gegen den schwarzen Fleck in der Verbands-Historie: «Auschwitz aber, Buchenwald. Emigration, der Widerstand der Antifaschisten, davon hätte doch auch die Rede sein müssen. Nichts über das Echo in den eigenen Reihen: die Anpassung und die Verweigerung.» Da passte es bloss ins Bild, dass sich die Jahre von 1975 bis 2000 ereignislos gestalteten; ein Vierteljahrhundert des Stillstands. Zur 100-Jahr-Feier musste Jens seine Kritik nur runderneuert präsentieren: «Es ist nichts passiert», sagte er damals.
Womöglich würde «Fussball unterm Hakenkreuz» ihn zufriedenstellen, wenngleich Skeptiker einwenden könnten, eine Auftragsarbeit habe per se viel eher die Tendenz, gefälliger zu klingen als ein unabhängiges Gutachten. Doch bereits die ersten Seiten widerlegen diesen Verdacht, und Havemann wurde vom DFB während dreier Recherche-Jahre nicht nur in Ruhe gelassen, nein, er ist vom DFB nicht einmal direkt auserwählt worden. Die Organisation hatte sich seinerzeit an den Deutschen Historikerverband gewandt, der wiederum Havemann das Projekt antrug. Lediglich ein anfängliches Gespräch habe es gegeben, sagt der Autor: «Danach habe ich drei Jahre lang nichts vom DFB gehört.» Kein einziger Kontakt mit dem Präsidenten Gerhard Mayer-Vorfelder; das erste Treffen mit dem jetzigen Mit-Amtsinhaber Theo Zwanziger ergab sich zur Präsentation des Buches. «Im DFB sitzen ja durchaus clevere Leute, die wissen, dass es bloss ein Eigentor wäre, wenn man versuchen würde, Einfluss auf das Ergebnis der Studie zu nehmen», sagt Havemann.
Die Ruhe zahlte sich aus. Havemann genoss «für einen Historiker paradiesische Arbeitsbedingungen». Finanziell solide ausgestattet, konnte er sämtliche Archive aufsuchen, um die Quellenlage zu sondieren. Und eben das macht die Qualität von «Fussball unterm Hakenkreuz» gegenüber allen bisherigen Veröffentlichungen aus. Vielversprechende Versuche wie etwa derjenige von Fischer und Lindner in «Stürmer für Hitler» blieben auf halbem Wege stecken, weil den Autoren die massgeblichen Quellen nicht zur Verfügung standen. Der DFB konnte keinen Teil beitragen: Dokumente aus der NS-Zeit lagern nicht einmal mehr im «Giftschrank» des Verbandes.
Deutliches Urteil
Angesichts des langen Anlaufes erscheint es nur konsequent, dass Havemanns Publikation prompt zum Streitfall gerät: Der Autor Arthur Heinrich ficht in der «Welt» die Hauptthese an, die verkürzt dargestellt, auf den ersten Blick tatsächlich ein wenig provokant klingt: Im Falle des DFB habe es sich um eine nicht sonderlich politische Organisation gehandelt, die der NS-Ideologie keineswegs in dem Masse frönte, wie es Autoren wie Heinrich sowie Fischer und Lindner angenommen hatten. Vielmehr habe es sich beim DFB um einen Schmarotzer gehandelt, der sich verhalten habe wie viele Unternehmen im NS- Staat auch: Die Ideologie kam dann gelegen, wenn es den eigenen Zielen dienlich war. Was vordergründig recht harmlos klingt, liest sich im Detail so: Massgebliche Funktionäre des Verbandes «identifizierten sich sogar derart stark mit der NS-Herrschaft, dass sie über Denunziantentum oder Hetze gegen Andersdenkende in ihrem Lebensbereich die Niedertracht des Systems mit verkörperten». In einer Art vorauseilendem Gehorsam wären manche recht schnell zu «begeisterten Anhängern von Hitler geworden», und das eigentliche Versagen des DFB sieht Havemann vor allem in dem Umstand, keine Auswege aus der Wirtschaftskrise gesucht zu haben, sondern stattdessen einem «Konkurrenz-Antisemitismus» gefrönt zu haben. Man gaukelte vor, den Amateurgedanken zu pflegen, und leugnete somit die «hochmoderne Ausrichtung des Verbandes».
Entlastungszeugnisse klingen anders. Havemann kommt vielmehr zu einem Ergebnis, das an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig lässt. Mit dem DFB verhielt es sich nur wenig anders als mit weiten Teilen der damaligen Gesellschaft, frappierend in seiner Spiegelbildlichkeit. Dass Havemann sich gegen diverse Anwürfe wird verteidigen müssen, kann dem Thema nur dienlich sein: Zu lange ist keine Diskussion über diese dunkle Dekade des Fussballs geführt worden.
* Nils Havemann: Fussball unterm Hakenkreuz. Der DFB zwischen Sport, Politik und Kommerz. Campus-Verlag, 473 S., Frankfurt/New York 2004.