Ottmar Hitzfeld im Gespräch: "Die Verrohung der Sitten schreitet voran"
Verfasst: 26.12.2004, 10:29
http://www.wams.de/data/2004/12/26/379890.html
"Die Verrohung der Sitten schreitet voran"
Ottmar Hitzfeld im Gespräch über fallengelassene Idole, Jürgen Klinsmann und die Bundesliga
Im Sommer sollte Ottmar Hitzfeld, 55, Bundestrainer werden. Aus gesundheitlichen Gründen lehnte er damals ab. Seitdem beobachtet Hitzfeld die Entwicklungen im deutschen Fußball aus der Ferne. Der erfolgreichste deutsche Vereinstrainer lobt die Arbeit von Jürgen Klinsmann, spricht aber von gravierenden Problemen in der Gesellschaft.
Welt am Sonntag: Herr Hitzfeld, seit einem halben Jahr genießen Sie das Leben abseits des Fußballs. Haben Sie sich verändert?
Ottmar Hitzfeld: Ja, ich habe vier Kilogramm zugenommen. Das ist aber nicht weiter schlimm. Ich genieße die Pause, denn ich hatte sie bitter nötig. Der Substanzverlust war gerade in meinem letzten Jahr beim FC Bayern hoch. Darum habe ich auch die Handbremse gezogen und das Amt des Bundestrainers abgelehnt.
Die Nationalmannschaft ist derzeit in aller Munde. Bereuen Sie es nicht, daß Sie im Sommer nach dem Rücktritt von DFB-Teamchef Rudi Völler den Posten des Bundestrainers abgelehnt haben? Vor allem wenn man nach dem kläglichen Scheitern bei der Europameisterschaft sieht, welches Potential an guten Spielern auf einmal vorhanden ist.
Hitzfeld: Ich habe mir die Entscheidung schwergemacht, aber ich habe die Auszeit gebraucht. Wenn ich gleich wieder in die Belastung gegangen wäre, hätte ich nicht den Schwung und die Kraft gehabt, etwas zu bewegen. Die Entscheidung hing nicht damit zusammen: Was kann ich mit der Mannschaft erreichen? Denn ich weiß, daß Deutschland Chancen hat, Weltmeister zu werden. Das Team von Jürgen Klinsmann gehört zum Favoritenkreis.
Klinsmann wirkt frisch und dynamisch.
Hitzfeld: Und das ist eine optimale Ausgangsposition. Er hat nichts zu verlieren, ist neu im Job, kann nur gewinnen. Er ist voller Enthusiasmus, und diese Begeisterung überträgt er auf die Mannschaft. Seine Methoden kommen bei ihr an. Denn die Ergebnisse sind ein Spiegelbild dafür, wie wohl sich die Spieler unter Klinsmann fühlen.
Ist Klinsmann der Heilsbringer des deutschen Fußballs?
Hitzfeld: Als Rudi Völler nach dem Aus bei der Europameisterschaft 2000 antrat, war auch gleich eine Aufbruchstimmung vorhanden. Das ist immer so, wenn ein neuer Trainer kommt. Die Frage ist nur: Wie lange hält diese Stimmung an? Unter Klinsmann hat Deutschland einige Länderspiele gewonnen, dazu offensiven Fußball gespielt. Aber die schweren Gegner mit Argentinien und Holland kommen erst 2005. Hinzu wird im neuen Jahr der Konföderationenpokal ausgespielt. Erst dann weiß man genau, wo die Nationalmannschaft steht.
Also sollte man Klinsmanns Arbeit und dessen neue Methoden nicht überbewerten?
Hitzfeld: Ich finde, er macht einen sehr guten Job. Und er macht es sehr geschickt.
Inwiefern geschickt?
Hitzfeld: Es ist ein kluger Schachzug von ihm, immer wieder junge Leute ins kalte Wasser zu werfen, die den älteren Spielern Beine machen. Und die jungen rechtfertigen das Vertrauen, bringen gute Leistungen.
Überraschend war von Klinsmann, daß er vor seiner Premiere in Österreich den Konkurrenzkampf im Tor der Nationalelf zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann neu entfachte. Kein anderes Thema sorgte seitdem für soviel Zündstoff. War es Unbedarftheit, oder hat Klinsmann es bewußt gemacht?
"Die Verrohung der Sitten schreitet voran"
Ottmar Hitzfeld im Gespräch über fallengelassene Idole, Jürgen Klinsmann und die Bundesliga
Im Sommer sollte Ottmar Hitzfeld, 55, Bundestrainer werden. Aus gesundheitlichen Gründen lehnte er damals ab. Seitdem beobachtet Hitzfeld die Entwicklungen im deutschen Fußball aus der Ferne. Der erfolgreichste deutsche Vereinstrainer lobt die Arbeit von Jürgen Klinsmann, spricht aber von gravierenden Problemen in der Gesellschaft.
Welt am Sonntag: Herr Hitzfeld, seit einem halben Jahr genießen Sie das Leben abseits des Fußballs. Haben Sie sich verändert?
Ottmar Hitzfeld: Ja, ich habe vier Kilogramm zugenommen. Das ist aber nicht weiter schlimm. Ich genieße die Pause, denn ich hatte sie bitter nötig. Der Substanzverlust war gerade in meinem letzten Jahr beim FC Bayern hoch. Darum habe ich auch die Handbremse gezogen und das Amt des Bundestrainers abgelehnt.
Die Nationalmannschaft ist derzeit in aller Munde. Bereuen Sie es nicht, daß Sie im Sommer nach dem Rücktritt von DFB-Teamchef Rudi Völler den Posten des Bundestrainers abgelehnt haben? Vor allem wenn man nach dem kläglichen Scheitern bei der Europameisterschaft sieht, welches Potential an guten Spielern auf einmal vorhanden ist.
Hitzfeld: Ich habe mir die Entscheidung schwergemacht, aber ich habe die Auszeit gebraucht. Wenn ich gleich wieder in die Belastung gegangen wäre, hätte ich nicht den Schwung und die Kraft gehabt, etwas zu bewegen. Die Entscheidung hing nicht damit zusammen: Was kann ich mit der Mannschaft erreichen? Denn ich weiß, daß Deutschland Chancen hat, Weltmeister zu werden. Das Team von Jürgen Klinsmann gehört zum Favoritenkreis.
Klinsmann wirkt frisch und dynamisch.
Hitzfeld: Und das ist eine optimale Ausgangsposition. Er hat nichts zu verlieren, ist neu im Job, kann nur gewinnen. Er ist voller Enthusiasmus, und diese Begeisterung überträgt er auf die Mannschaft. Seine Methoden kommen bei ihr an. Denn die Ergebnisse sind ein Spiegelbild dafür, wie wohl sich die Spieler unter Klinsmann fühlen.
Ist Klinsmann der Heilsbringer des deutschen Fußballs?
Hitzfeld: Als Rudi Völler nach dem Aus bei der Europameisterschaft 2000 antrat, war auch gleich eine Aufbruchstimmung vorhanden. Das ist immer so, wenn ein neuer Trainer kommt. Die Frage ist nur: Wie lange hält diese Stimmung an? Unter Klinsmann hat Deutschland einige Länderspiele gewonnen, dazu offensiven Fußball gespielt. Aber die schweren Gegner mit Argentinien und Holland kommen erst 2005. Hinzu wird im neuen Jahr der Konföderationenpokal ausgespielt. Erst dann weiß man genau, wo die Nationalmannschaft steht.
Also sollte man Klinsmanns Arbeit und dessen neue Methoden nicht überbewerten?
Hitzfeld: Ich finde, er macht einen sehr guten Job. Und er macht es sehr geschickt.
Inwiefern geschickt?
Hitzfeld: Es ist ein kluger Schachzug von ihm, immer wieder junge Leute ins kalte Wasser zu werfen, die den älteren Spielern Beine machen. Und die jungen rechtfertigen das Vertrauen, bringen gute Leistungen.
Überraschend war von Klinsmann, daß er vor seiner Premiere in Österreich den Konkurrenzkampf im Tor der Nationalelf zwischen Oliver Kahn und Jens Lehmann neu entfachte. Kein anderes Thema sorgte seitdem für soviel Zündstoff. War es Unbedarftheit, oder hat Klinsmann es bewußt gemacht?