
Was meinet Ihr derzu, bim Birskopf isch leider au us der Mode cho

Einst war das Oben-ohne-Baden Ausdruck der Selbstbestimmung der Frau. Das ist vorbei. Auch die Feministinnen haben den Reiz nackter Brüste nicht ausschalten können.
Kürzlich im Zürcher Strandbad Mythenquai - ein kleines Mädchen sagt halb entsetzt, halb ungläubig zu seiner Mutter: «Schau mal, die Frau dort trägt keinen BH. Da sieht man ja den Busen!» Es zeigt auf eine Badibesucherin mittleren Alters, die sich ohne Bikini-Oberteil auf einem dicht besetzten Floss sonnt. Die einzige weit und breit. Quasi die Ausnahme, welche die Regel bestätigt, die da heisst: Zum Baden geht frau nicht (mehr) oben ohne.
Was in Zürich out ist, gilt auch in Bern als passé, wie ein Augenschein im berühmten Aarebad Marzili verdeutlicht. «Oben ohne sieht man nur noch ganz selten», bestätigt der langjährige Bademeister Peter Hager. Angesprochen auf das Phänomen, kann sich eine 21-jährige Besucherin gar nicht vorstellen, dass es einmal anders gewesen sein soll als heute.
Auflehnung gegen Modediktate
Angefangen hatte es irgendwann in den 70er-Jahren. Der Anstoss zum Oben-ohne-Baden kam aus der Frauenbewegung. «Es war die logische Folge der Auflehnung gegen Modediktate», sagt die Historikerin Elisabeth Joris. «Erst verbrannte man die BHs als Symbol für das Diktat, später befreiten die Frauen ihre Brüste.»
Für die Feministinnen war dies eine «hochpolitische» Angelegenheit, denn Modediktate galten als «gesellschaftliche Zwänge», betont Zita Küng, Mitbegründerin des Zürcher Gleichstellungsbüros. Die heute 51-jährige Unternehmerin erinnert sich: «Wir wollten selber bestimmen, wie wir auftreten.» Damit nicht genug: Frauen beharrten darauf, sich ausziehen zu dürfen, ohne gleichzeitig angestarrt zu werden. «Wir liessen uns nicht vorschreiben, was ein blutter Busen zu bedeuten hatte», sagt Küng. Wehe dem, der dies missverstand und die befreiten Brüste als erotische Aufreizung begriff.
Während in Zürich die neuen Badesitten von den Behörden schulterzuckend akzeptiert wurden, erregten sie in Bern die Gemüter von religiös-konservativen Politikern. Vertreter der damals noch jungen Eidgenössisch-Demokratischen Union (EDU) reichten im Berner Kantonsparlament eine Motion ein, um das Volk vor der «Auflösung der gesunden christlichen Moral» zu bewahren. Vergeblich. Eine «grosse Mehrheit» der Berner Politiker wollte das Rad nicht mehr zurückdrehen und lehnte das Ansinnen der EDU ab, wie in den Ratsprotokollen vom 26. Juni 1978 nachzulesen ist.
Von Zürich und Bern aus verbreitete sich der Oben-ohne-Trend Anfang der 80er-Jahre auch in andere Städte und Landesgegenden - und entwickelte sich zu einem regelrechten Boom. Frauen unterschiedlichen Alters beteiligten sich daran und genossen die neu gewonnenen Freiheiten.
Die Modeindustrie schlägt zurück
Wie viele andere Bewegungen sei auch diese sehr schnell vermarktet worden, erzählt Zita Küng. Mit einteiligen Bikinis passte sich die Modeindustrie dem Trend an. Ausgerechnet die Modeindustrie, gegen deren Diktate sich die Frauen einst aufgelehnt hatten, holte die Bewegung nun wieder ein. Immer häufiger praktizierten auch solche Frauen das Oben-ohne-Baden, die mit der Frauenbewegung nichts am Hut hatten. Frauen, die bewusst aufreizen wollten oder dies zumindest in Kauf nahmen.
Mit der Zeit verlor der feministische Anspruch des Oben-ohne-Badens zusehends an Bedeutung. Und als schliesslich auch die Mode änderte, ebbte der Boom ganz ab. Seit den 90er-Jahren sei das Oben-ohne-Baden stetig zurückgegangen, erinnert sich Marzili-Bademeister Hager.
Wer nach Antworten sucht, die das Verschwinden erklären, bekommt Unterschiedliches zu hören. Für die Gleichstellungsexpertin Zita Küng zeigt sich darin, dass die Forderung nach Selbstbestimmung der Frau von der Gesellschaft nicht wirklich akzeptiert worden sei. Historikerin Elisabeth Joris - auch sie eine ausgewiesene Feministin - widerspricht: «Es war ein bisschen naiv zu glauben, man könne weibliche Brüste völlig von ihrem aufreizenden Sinn befreien.»
Dass ein nackter Busen bloss anzügliche Blicke provozieren würde, das ist auch der Tenor in der Kurzumfrage im Marzili. Dem wolle sie sich nicht aussetzen, sagt eine 26-jährige kaufmännische Angestellte. Wie andere Frauen auch, zieht sie ihr Bikini-Oberteil nur im geschützten Frauenabteil aus. Eine 35-jährige Biologin sieht darin noch lange keinen Backlash. Die Selbstbestimmung könne man heute nicht mehr daran messen, ob frau sich jederzeit und überall oben ohne zeigen kann. Dem pflichten zwei junge Medizinstudentinnen bei. Viel wichtiger seien ihnen die Fortschritte im Bereich von Recht und Arbeit. Und da habe die Frauenbewegung doch einiges gebracht.