Der Aufstieg und Fall des Davide Chiumiento
Verfasst: 10.06.2007, 10:46
Der Schweizer Davide Chiumiento war mit 15 Jahren der beste Nachwuchsfussballer in Italien. Die grosse Karriere schien lanciert. Jetzt will man ihn nicht einmal mehr bei YB. Ist er zu verwöhnt, zu bequem? Zu weich für das harte Fussballbusiness? Die Geschichte eines von seinem Talent Gepeinigten.
Das war jetzt also das Paradies. 15 Quadratmeter, zwei Betten, ein kleiner Schrank, auf einem Tischchen ein Mini-TV, ein winziges Badezimmer mit Dusche und WC. Davide Chiumiento war am Ziel, zusammen mit seinem Kumpel Gerardo Clemente. 14 Jahre alt waren sie, die beiden Schweizer, aber bereits bei Juventus Turin unter Vertrag, ihrem Lieblingsklub, dessen Trikots sie bereits als Fünfjährige den ganzen Tag getragen, in dessen Bettwäsche sie jahrelang geschlafen hatten. Jetzt waren sie im Internat des wichtigsten italienischen Fussballvereins, 30 Talente aus der ganzen Welt, nur der Beste hatte eine realistische Chance, den Sprung in die erste Mannschaft zu schaffen.
Und er, Davide Chiumiento, der kleine Junge aus dem Appenzell, er war der Beste. Das sagten alle.
4500 Franken mit 14
1999 war das, der Lohn im ersten Jahr betrug 4500 Franken pro Monat, viel Geld für einen 14-Jährigen. Aber hart verdientes Geld. Achtmal in der Woche trainierte Chiumiento, dazu kamen die Spiele, die langen, einsamen Nächte in der kühlen norditalienischen Metropole, daneben die fünfjährige KV-Ausbildung, die Isolation in der Fremde, die fehlende familiäre Geborgenheit. Das alles war Davide egal. Draussen schien die Sonne, drinnen sass er im kleinen Appartement, zusammen mit seinem besten Freund Gerardo, und weinte vor Freude und Stolz. Er hatte es geschafft. Er war am Ziel seiner Träume. Und er war im Theater der Illusionen gelandet. Acht Jahre später, es ist ein kühler, regnerischer Frühlingstag. Man verabredet sich in der Kantine des Inselspitals. Davide Chiumientos Wohnung in Bern ist gleich um die Ecke. Alte, gebrechliche Menschen sitzen an den Tischen, müde, traurige Gestalten schleppen sich durch die Gänge. Chiumiento passt gut hierhin. Er ist ein Patient. Ramponiert vom erbarmungslosen Geschäft Fussball.
Die Begrüssung ist herzlich. Chiumiento will die Getränke unbedingt bezahlen. Dann setzt er sich auf einen Stuhl. Der 1,73 Meter kleine, feine Sportler wirkt traurig, die Schultern hängen tief. Zuerst stockend und zurückhaltend, später befreit und offen erzählt er aus seinem Leben.
Ein Leben, das eigentlich ausschliesslich auf dem Fussballrasen stattfinden müsste. Wer Davide Chiumiento an einem guten Tag im Stade de Suisse spielen sah, musste das Gefühl erhalten, der Kunstrasen in Bern sei nur zu seinen Ehren verlegt wurden. Es war wie im Zirkus. Der 22-Jährige ist ein Künstler, der Ball klebt wie selbstverständlich an seinem Fuss, komplexe Körpertäuschungen fliessen mühelos aus seinem Körper. Wenn er seine Gegner ins Leere laufen lässt, hätte er fast Zeit, sich vor dem Publikum zu verbeugen. Chiumiento strahlt die Illusion aus, Fussball sei ohne Anstrengung möglich. Aber solche Auftritte sah man von ihm bei YB selten. Viel zu selten.
Vielleicht muss man wissen, wie Davide Chiumiento in Bern gelandet ist. Er selber spricht von der Ehre, die er dabei verloren habe, im letzten Sommer. Anfang August 2006 reiste Chiumiento in die Hauptstadt, um einen Vertrag zu unterschreiben. Doch er musste medizinische Untersuchungen machen und Fitnesstests. Es hiess, er sei nicht austrainiert. Peter Jauch, ehemaliger Wankdorf-Stadiongeneral, wollte der Spielervermittlungsagentur «4sports» einen Freundschaftsdienst erweisen und deren Klienten Chiumiento bei YB platzieren.
Die YB-Verantwortlichen aber wollten den Spieler nicht. Der begnadete Dribbler Chiumiento wurde zum Spielball der Interessen. Schliesslich, als er drei Wochen später immer noch ohne Verein dastand, wärmte sein Berater Giacomo Petralito, eine illustre Figur, die Option YB noch einmal auf. Chiumiento musste sich entscheiden. Er, der immer noch Juventus gehört, wusste: Ohne Klub sitze ich das nächste halbe Jahr in Italien auf der Ersatzbank. In einem Hotelzimmer in Turin, einsam und verzweifelt und hilflos, entschied er: «Ich probiere es in Bern.»
Der Pate Luciano Moggi
Mit Fussballspielen hatte Davide als Fünfjähriger begonnen, bei seinem Vater Gerardo, der Juniorentrainer im lokalen Verein war. Überhaupt: Der Vater – Italiener, Lackierer aus Heiden – hatte grossen Einfluss auf die Leidenschaft seines Sohnes. «Ich bin ihm und meiner Mutter unendlich dankbar», sagt Davide Chiumiento. «Ohne meine Eltern hätte ich schon längst aufgegeben.» Vermutlich aber war auch der Vater den Einflüssen nicht gewachsen, die mit zunehmendem Talent des Jungen immer mächtiger wurden. An einem U15-Turnier in Südfrankreich brillierte Davide, klein und fein, schnell und frech, trickreich und torgefährlich. Als das Angebot von Juventus Turin den Haushalt der bescheidenen Familie erreichte, da gab es keine langen Diskussionen.
«Das war der schönste Tag in meinem Leben», sagt der Fussballer über seine Vertragsunterschrift in Turin. Juves Sportchef Luciano Moggi, der Pate des italienischen Fussballs, der Jahre später wegen seinen mafiösen Machenschaften zu Fall kommen sollte, war persönlich anwesend, als der 14-Jährige in die Vereinigung Juventus eintrat.
Doch ausgerechnet im Moment des grössten Glücks begannen die Schwierigkeiten. Zuerst war das Talent erst einmal ein halbes Jahr gesperrt. Es gab Probleme mit der Freigabe aus der Schweiz. Sechs Monate nur trainieren und lernen, lernen und trainieren, erst dann durfte er zum ersten Mal in einem Fussballspiel für Juventus antreten. «Das war hart», sagt er. «Ich war oft einsam und hatte grausam Heimweh.» Die Kollegen gingen in den Ausgang und erzählten von den hübschen Mädchen. Er ging jahrelang früh zu Bett, stand früh wieder auf, hatte nur eines im Sinn: Den Durchbruch bei Juventus Turin.
«Ein Jahrhunderttalent»
Es schien gut zu kommen. Als er spielen durfte, war Chiumiento überragend. Er steigerte sich von Jahr zu Jahr, die ersten Schlagzeilen in den Medien erschienen, er war auf dem Weg zu einem Star.
Chiumiento hat ein Album ins Inselspital mitgebracht. Die Mutter hat alle Zeitungsberichte über ihren Sohn fein säuberlich eingeklebt und mit liebevollen Kommentaren versehen. Die Zeitungen in Italien sind nicht für ihre Zurückhaltung bekannt, wenn es um Fussball geht – aber so schwärmerisch schreiben selbst sie selten.
Chiumiento mit 15 Jahren: ein Wunderknabe; Chiumiento mit 16 Jahren: ein Jahrhunderttalent; Chiumiento mit 17 Jahren: der neue Roberto Baggio; und dann, Chiumiento mit 18 Jahren, die höchste aller Huldigungen: Il nuovo Alex – der neue Alex.
Alex, das ist Alessandro Del Piero, der italienische Superstar bei Juve. Wie Del Piero neun Jahre zuvor wurde Chiumiento im Frühling 2003 beim «Torneo di Viareggio», dem wichtigsten Nachwuchsturnier Italiens, zum besten Spieler gewählt. Nun durfte er, der kleine Svizzero, mit den Grossen trainieren. Und der Vater raste jedes Wochenende aus der Ostschweiz nach Turin – und meistens noch in der Nacht zurück. Im Frühling 2004, mit 19 Jahren, die ersten Einsätze mit den Profis: Einige Minuten in der Serie A, eine Viertelstunde gegen La Coruña in der Champions League. Del Piero kümmerte sich um seinen Nachfolger. Alles war schön. Alles war gut.
Absage an Köbi Kuhn
Wenige Monate vor der Euro 2004 wurde Chiumiento nach beeindruckenden Leistungen in der helvetischen U21-Auswahl auch in der Schweiz ein Thema. Nationaltrainer Köbi Kuhn wollte ihn für die Europameisterschaft aufbieten. Doch Chiumiento hatte anderes im Sinn. Den Sprung zu Juve hatte er ja auch geschafft. Und hatte er nicht als kleiner Junge davon geträumt, sein Heimatland Italien zum Weltmeister zu schiessen, später, irgendwann, an der Seite Del Pieros?
Der italienische-schweizerische Doppelbürger sagte Köbi Kuhn ab. Chiumiento war selbstbewusst, er fühlte sich stark, er war überzeugt, bald schon in der Squadra Azzurra zu spielen. Was – bitte schön – ist dagegen schon die Schweizer Nationalmannschaft?
Das war jetzt also das Paradies. 15 Quadratmeter, zwei Betten, ein kleiner Schrank, auf einem Tischchen ein Mini-TV, ein winziges Badezimmer mit Dusche und WC. Davide Chiumiento war am Ziel, zusammen mit seinem Kumpel Gerardo Clemente. 14 Jahre alt waren sie, die beiden Schweizer, aber bereits bei Juventus Turin unter Vertrag, ihrem Lieblingsklub, dessen Trikots sie bereits als Fünfjährige den ganzen Tag getragen, in dessen Bettwäsche sie jahrelang geschlafen hatten. Jetzt waren sie im Internat des wichtigsten italienischen Fussballvereins, 30 Talente aus der ganzen Welt, nur der Beste hatte eine realistische Chance, den Sprung in die erste Mannschaft zu schaffen.
Und er, Davide Chiumiento, der kleine Junge aus dem Appenzell, er war der Beste. Das sagten alle.
4500 Franken mit 14
1999 war das, der Lohn im ersten Jahr betrug 4500 Franken pro Monat, viel Geld für einen 14-Jährigen. Aber hart verdientes Geld. Achtmal in der Woche trainierte Chiumiento, dazu kamen die Spiele, die langen, einsamen Nächte in der kühlen norditalienischen Metropole, daneben die fünfjährige KV-Ausbildung, die Isolation in der Fremde, die fehlende familiäre Geborgenheit. Das alles war Davide egal. Draussen schien die Sonne, drinnen sass er im kleinen Appartement, zusammen mit seinem besten Freund Gerardo, und weinte vor Freude und Stolz. Er hatte es geschafft. Er war am Ziel seiner Träume. Und er war im Theater der Illusionen gelandet. Acht Jahre später, es ist ein kühler, regnerischer Frühlingstag. Man verabredet sich in der Kantine des Inselspitals. Davide Chiumientos Wohnung in Bern ist gleich um die Ecke. Alte, gebrechliche Menschen sitzen an den Tischen, müde, traurige Gestalten schleppen sich durch die Gänge. Chiumiento passt gut hierhin. Er ist ein Patient. Ramponiert vom erbarmungslosen Geschäft Fussball.
Die Begrüssung ist herzlich. Chiumiento will die Getränke unbedingt bezahlen. Dann setzt er sich auf einen Stuhl. Der 1,73 Meter kleine, feine Sportler wirkt traurig, die Schultern hängen tief. Zuerst stockend und zurückhaltend, später befreit und offen erzählt er aus seinem Leben.
Ein Leben, das eigentlich ausschliesslich auf dem Fussballrasen stattfinden müsste. Wer Davide Chiumiento an einem guten Tag im Stade de Suisse spielen sah, musste das Gefühl erhalten, der Kunstrasen in Bern sei nur zu seinen Ehren verlegt wurden. Es war wie im Zirkus. Der 22-Jährige ist ein Künstler, der Ball klebt wie selbstverständlich an seinem Fuss, komplexe Körpertäuschungen fliessen mühelos aus seinem Körper. Wenn er seine Gegner ins Leere laufen lässt, hätte er fast Zeit, sich vor dem Publikum zu verbeugen. Chiumiento strahlt die Illusion aus, Fussball sei ohne Anstrengung möglich. Aber solche Auftritte sah man von ihm bei YB selten. Viel zu selten.
Vielleicht muss man wissen, wie Davide Chiumiento in Bern gelandet ist. Er selber spricht von der Ehre, die er dabei verloren habe, im letzten Sommer. Anfang August 2006 reiste Chiumiento in die Hauptstadt, um einen Vertrag zu unterschreiben. Doch er musste medizinische Untersuchungen machen und Fitnesstests. Es hiess, er sei nicht austrainiert. Peter Jauch, ehemaliger Wankdorf-Stadiongeneral, wollte der Spielervermittlungsagentur «4sports» einen Freundschaftsdienst erweisen und deren Klienten Chiumiento bei YB platzieren.
Die YB-Verantwortlichen aber wollten den Spieler nicht. Der begnadete Dribbler Chiumiento wurde zum Spielball der Interessen. Schliesslich, als er drei Wochen später immer noch ohne Verein dastand, wärmte sein Berater Giacomo Petralito, eine illustre Figur, die Option YB noch einmal auf. Chiumiento musste sich entscheiden. Er, der immer noch Juventus gehört, wusste: Ohne Klub sitze ich das nächste halbe Jahr in Italien auf der Ersatzbank. In einem Hotelzimmer in Turin, einsam und verzweifelt und hilflos, entschied er: «Ich probiere es in Bern.»
Der Pate Luciano Moggi
Mit Fussballspielen hatte Davide als Fünfjähriger begonnen, bei seinem Vater Gerardo, der Juniorentrainer im lokalen Verein war. Überhaupt: Der Vater – Italiener, Lackierer aus Heiden – hatte grossen Einfluss auf die Leidenschaft seines Sohnes. «Ich bin ihm und meiner Mutter unendlich dankbar», sagt Davide Chiumiento. «Ohne meine Eltern hätte ich schon längst aufgegeben.» Vermutlich aber war auch der Vater den Einflüssen nicht gewachsen, die mit zunehmendem Talent des Jungen immer mächtiger wurden. An einem U15-Turnier in Südfrankreich brillierte Davide, klein und fein, schnell und frech, trickreich und torgefährlich. Als das Angebot von Juventus Turin den Haushalt der bescheidenen Familie erreichte, da gab es keine langen Diskussionen.
«Das war der schönste Tag in meinem Leben», sagt der Fussballer über seine Vertragsunterschrift in Turin. Juves Sportchef Luciano Moggi, der Pate des italienischen Fussballs, der Jahre später wegen seinen mafiösen Machenschaften zu Fall kommen sollte, war persönlich anwesend, als der 14-Jährige in die Vereinigung Juventus eintrat.
Doch ausgerechnet im Moment des grössten Glücks begannen die Schwierigkeiten. Zuerst war das Talent erst einmal ein halbes Jahr gesperrt. Es gab Probleme mit der Freigabe aus der Schweiz. Sechs Monate nur trainieren und lernen, lernen und trainieren, erst dann durfte er zum ersten Mal in einem Fussballspiel für Juventus antreten. «Das war hart», sagt er. «Ich war oft einsam und hatte grausam Heimweh.» Die Kollegen gingen in den Ausgang und erzählten von den hübschen Mädchen. Er ging jahrelang früh zu Bett, stand früh wieder auf, hatte nur eines im Sinn: Den Durchbruch bei Juventus Turin.
«Ein Jahrhunderttalent»
Es schien gut zu kommen. Als er spielen durfte, war Chiumiento überragend. Er steigerte sich von Jahr zu Jahr, die ersten Schlagzeilen in den Medien erschienen, er war auf dem Weg zu einem Star.
Chiumiento hat ein Album ins Inselspital mitgebracht. Die Mutter hat alle Zeitungsberichte über ihren Sohn fein säuberlich eingeklebt und mit liebevollen Kommentaren versehen. Die Zeitungen in Italien sind nicht für ihre Zurückhaltung bekannt, wenn es um Fussball geht – aber so schwärmerisch schreiben selbst sie selten.
Chiumiento mit 15 Jahren: ein Wunderknabe; Chiumiento mit 16 Jahren: ein Jahrhunderttalent; Chiumiento mit 17 Jahren: der neue Roberto Baggio; und dann, Chiumiento mit 18 Jahren, die höchste aller Huldigungen: Il nuovo Alex – der neue Alex.
Alex, das ist Alessandro Del Piero, der italienische Superstar bei Juve. Wie Del Piero neun Jahre zuvor wurde Chiumiento im Frühling 2003 beim «Torneo di Viareggio», dem wichtigsten Nachwuchsturnier Italiens, zum besten Spieler gewählt. Nun durfte er, der kleine Svizzero, mit den Grossen trainieren. Und der Vater raste jedes Wochenende aus der Ostschweiz nach Turin – und meistens noch in der Nacht zurück. Im Frühling 2004, mit 19 Jahren, die ersten Einsätze mit den Profis: Einige Minuten in der Serie A, eine Viertelstunde gegen La Coruña in der Champions League. Del Piero kümmerte sich um seinen Nachfolger. Alles war schön. Alles war gut.
Absage an Köbi Kuhn
Wenige Monate vor der Euro 2004 wurde Chiumiento nach beeindruckenden Leistungen in der helvetischen U21-Auswahl auch in der Schweiz ein Thema. Nationaltrainer Köbi Kuhn wollte ihn für die Europameisterschaft aufbieten. Doch Chiumiento hatte anderes im Sinn. Den Sprung zu Juve hatte er ja auch geschafft. Und hatte er nicht als kleiner Junge davon geträumt, sein Heimatland Italien zum Weltmeister zu schiessen, später, irgendwann, an der Seite Del Pieros?
Der italienische-schweizerische Doppelbürger sagte Köbi Kuhn ab. Chiumiento war selbstbewusst, er fühlte sich stark, er war überzeugt, bald schon in der Squadra Azzurra zu spielen. Was – bitte schön – ist dagegen schon die Schweizer Nationalmannschaft?