12. Mai 2007, Neue Zürcher Zeitung
Teure Uhren für falsche Pfiffe
Wie Juventus Turin die Schiedsrichter bestach und auch Journalisten
ph. Juventus Turin hatte nicht nur die grösste Apotheke der Serie A, wie im Dopingprozess herauskam, sondern betrieb auch eine Art Uhrenhandel. Das war seltsamerweise ein Jahr nach Auffliegen des Calciopoli-Skandals und in allen bisherigen Verfahren immer noch eine offene Frage geblieben: Mit welchen Mitteln haben die Juventus-Manager Luciano Moggi und Antonio Giraudo die Schiedsrichter bestochen? Denn dass die Unparteiischen nur für Gotteslohn die Meisterschaft zugunsten der «Alten Dame» systematisch verfälscht hatten, war nicht anzunehmen. Korruption ist ein Delikt, das immer beiden Seiten nützt, und, weil das Täter-Opfer-Schema fehlt, so schwer aufzuklären.
Zwischengeschaltete Scheinfirmen
Nun hat ein ehemaliger Klubdirigent, möglicherweise aus Rache, die Omertà gebrochen: Maurizio Capobianco enthüllte in einem Interview mit «La Repubblica», wie der Klub die Schiedsrichter «über zwischengeschaltete Scheinfirmen mit wertvollen, leicht verkäuflichen Gütern» beschenkte. «Ich sah, wie sich im Laufe der Jahre im Büro der Chefsekretärin Aberhunderte von Uhren stapelten», sagte Capobianco der Zeitung, «Nobelmarken wie Jaeger-Le Coultre, Cartier, Girard-Perregaux, Bulgari, Franck Muller. Für wen diese Uhren bestimmt waren, war das streng gehütete Geheimnis des CEO Giraudo und der Signora Gastaldo, mit Ausnahme der Exemplare, die an die befreundeten Journalisten gingen, an die Spieler und die Kaderangestellten.» Capobianco bestätigte, dass diese Praktiken bis auf das Jahr 1995 zurückgingen, als Moggi und Giraudo ihre Arbeit bei Juventus begannen. Den Wert dieser «Gratifikationen», die offenbar in den Tagen nach den Spielen übergeben wurden, bezifferte er auf jeweils 20 bis 25 Millionen Lire, damals 16 000 bis 20 000 Franken.
Um welche Schiedsrichter es sich handelte, wollte Capobianco nicht preisgeben, aber er verfüge über «detaillierte beweiskräftige Unterlagen» in mindestens vier Fällen, die zwei Schiedsrichter, einen Würdenträger des Fussballverbandes und ein Mitglied der Finanzaufsichtsbehörde beträfen. Namentlich nannte er den ehemaligen Schiedsrichterobmann Pairetto, der im Jahr 2000 scheinheilig den AS-Roma-Präsidenten Franco Sensi denunziert hatte, der gleichfalls auf die Idee verfallen war, die Pfeifenmänner mit Uhren zu beschenken. Die Schiedsrichter gaben die Rolex-Präsente aus Rom nur sehr widerstrebend zurück. Pairetto jedoch behielt, wie Capobianco sich erinnert, ein von Juventus geschenktes schweres Motorrad.
Als Motiv für seinen späten «Beitrag zur Wahrheit» bezeichnete der reumütige Zeuge aus der Juventus-Führungsetage den Zorn darüber, wie Moggi und Giraudo «mit der Komplizenschaft von Schiedsrichtern, Journalisten und Verbandsinstitutionen einen Klub mit über hundert Jahren Geschichte ruiniert» hätten. Die Gefälligkeitsjournalisten wurden «über Scheinaufträge für irgendwelche Kommunikationsprojekte» mit Bargeld bezahlt. Diese Geschäfte liefen über die Semana S. r. l., an der Juventus 30 Prozent der Aktien hält, die restlichen 70 Prozent sind auf Giraudo zurückzuführen, der übrigens auch heute noch 2 Prozent des Aktienkapitals von Juventus besitzt. Über die Semana flossen auch «Zehntausende von Euro vor jedem Spiel an die Ultras», unter Umgehung des Gesetzes, das die Finanzierung der Fangruppen verbietet.
Dass Capobianco auszupacken begann, hängt vielleicht auch mit seinen Ressentiments zusammen. Er stand seit 1984 als Funktionär in Diensten der «Alten Dame» und wurde 2006 im Soge Moggis und Giraudos entlassen. Hingegen hat das Köpferollen Leute wie den heutigen Sportdirektor Alessio Secco («der rührte ohne Moggis Einverständnis keinen Finger»), den Finanzdirektor Bergero, den Marketingleiter Fassone ebenso verschont wie den Moggi-Vertrauten Bertolini, der in der Schweiz die abhörsicheren Chips beschaffte für das klandestine Telefonnetz seines Capos.
Entscheid über Prozesseröffnung
Der Calciopoli-Skandal ist längst noch nicht ausgestanden. In den nächsten Tagen wird die Justiz in Neapel entscheiden, ob sie den Prozess gegen Moggi und seine Helfershelfer eröffnet. Die Anklage stützt sich auch auf die Aufzeichnungen der schweizerischen Sunrise, die den hektischen Telefonverkehr zwischen Moggi und der Schiedsrichterkaste (involviert sind acht Referees) belegen. Die Römer Staatsanwaltschaft hat im Verfahren gegen die Spieleragentur GEA, die von Moggis Sohn Alessandro geleitet wurde und mit kriminellen Methoden den italienischen Markt beherrschte, nun formell Anklage gegen Davide Lippi erhoben, den Sohn des früheren Nationalcoachs. Lippi jr. wird bandenmässiges Vorgehen, Gewalt und Drohung gegenüber umworbenen Spielern vorgeworfen.
Quelle: NZZ Online - http://www.nzz.ch/2007/05/12/sp/articleF6F8X.html