Euro 2008
Die Polizei steckt im Aufbautraining
Text: Balz Ruchti
Bild: Indymedia
Am 13. Mai jährt sich das Meisterspiel FC Basel gegen FC Zürich. Aus der «Schande von Basel» wollten Polizei und Stadionbetreiber ihre Lehren ziehen - mit Blick auf die Europameisterschaft. Doch ein Jahr vor dem Grossanlass sucht die Polizei immer noch nach der richtigen Strategie.
Polizei setzt Wasserwerfer ein
Euphorisch gab sich Benedikt Weibel, der Delegierte des Bundesrats für die Euro 2008, im Februar. Anlässlich einer Medienkonferenz der Uefa lobte der ehemalige SBB-Chef die WM in Deutschland als «perfektes Turnier», das der Schweiz als Massstab dienen solle: «Es gibt keinen Grund, weshalb wir dies nicht genauso gut könnten wie die Deutschen.»
Mittlerweile stellt sich die Frage, ob dem tatsächlich so ist: In den letzten Wochen ist es an Meisterschaftsspielen in den Euro-Austragungsorten Bern, Zürich und Basel immer wieder zu Ausschreitungen gekommen. Nur Genf hat bisher nicht für negative Schlagzeilen gesorgt - dort finden derzeit keine Super-League-Spiele statt. Gemäss dem Nationalen Sicherheitskonzept soll an der Euro die sogenannte 3-D-Philosophie - Dialog, Deeskalation, Durchgreifen - im Zentrum des polizeilichen Einsatzes stehen. Diese Strategie werde in der Schweiz seit Jahren gepflegt und habe sich bewährt, steht dort zu lesen.
Nach den Einsätzen der vergangenen Wochen zu urteilen, gelingt es der Polizei allerdings selten, die ersten beiden Punkte so umzusetzen, dass aufs Durchgreifen verzichtet werden könnte.
Ein Beispiel: Nach der Partie YB gegen GC vom 31. März wurden die Zürcher Fans im Berner Stade de Suisse zurückbehalten. «Es wurden keine Gründe dafür angegeben, und es war auch nirgends eine gekennzeichnete Ansprechperson zu finden», sagt der Fanarbeiter Oliver Lemmke, der privat ans Spiel gereist war. Als sich die Tore nach ein paar Minuten öffneten und die Fans das Stadion verliessen, seien sie von Berner Fans mit Steinen und Flaschen beworfen worden. Daraufhin habe sich die Polizei Scharmützel mit den Randalierern geliefert, statt die Gästefans zu schützen.
Aufgrund seiner Erfahrung - Lemmke war offizieller Fanbetreuer des Schweizerischen Fussballverbands an der EM in Portugal - kritisiert er das Vorgehen der Ordnungskräfte: «Die Sicherheit der Besucher war nicht im Entferntesten gewährleistet», sagt der 32-Jährige. Als er dann beobachtete, wie ein harmloser junger GC-Fan festgenommen wurde, stellte Lemmke die Polizisten zur Rede: «Ich habe nur gefragt, ob der Einsatz nicht etwas übertrieben sei.» Als Antwort wurde Lemmke zu Boden geworfen, mit Pfefferspray besprüht und in Handschellen gelegt. «Herr Lemmke hat sich massiv eingemischt und die Polizeiarbeit behindert», sagt Franz Märki vom Mediendienst der Berner Polizei zu dem Vorfall. Das alles wäre nicht passiert, hätte die Polizei die Konfrontation der beiden Lager von Anfang an verhindert.
Mit Tränengas den Fehler korrigiert
Am Ostermontag gelang dies auch der Zürcher Polizei nicht: Nach dem Spiel des FC Zürich gegen den FC Basel hatte es die Einsatzleitung versäumt, den neben dem Stadion verlaufenden Sportweg abzusperren. So konnte eine Schar gewaltbereiter FCB-Fans unbehelligt zum Heimsektor des Hardturms gelangen und dort auf die FCZ-Anhänger losgehen. «Die Strasse führt direkt am Stadion vorbei, ist übersichtlich und wäre leicht abzuriegeln», sagt Marktfahrer Werner Hangartner, der an Spielen im Hardturm Süssigkeiten verkauft. «Hätte die Polizei dort Präsenz markiert, wäre es nie zu den Tumulten gekommen.»
«Ob der Weg abgeriegelt wird oder nicht, wird situativ entschieden», sagt Marco Cortesi, Mediensprecher der Zürcher Stadtpolizei. «Diesmal hat der Einsatzleiter die Prioritäten offensichtlich anders gesetzt.» Um den Fehler zu korrigieren, wurde ein massiver Einsatz von Tränengas und Gummischrot nötig.
In Basel, dem dritten Deutschschweizer EM-Austragungsort, geriet die Polizei zuletzt gar selbst in Bedrängnis: Am 22. April, nach dem Spiel FC Basel gegen FC Zürich, wurden 30 Polizisten von FCZ-Anhängern eingekesselt. Die Ordnungskräfte hatten versucht, die Zürcher zurückzuhalten, um sie anschliessend zum Extrazug zu geleiten. Der Vorfall wurde erst bekannt, nachdem sich ein betroffener Polizist an die «Basler Zeitung» gewandt hatte, weil er die offizielle Darstellung als zu verharmlosend empfand. Klaus Mannhart, Mediensprecher der Kantonspolizei Basel, bestätigt, dass es für einzelne Beteiligte «sehr eng» geworden sei. Als Konsequenz sollen künftig Polizisten nicht mehr in den Fansektor hineingestellt, sondern aussen herum postiert werden.
Eine andere Fankultur an der EM?
Im Anschluss an dieselbe Partie in Basel kam es zu einem weiteren Zwischenfall: FCB-Chaoten blockierten die Bahngeleise, so dass der Extrazug mit den heimkehrenden Zürchern anhalten musste. In der Folge stiegen gewaltbereite FCZ-Anhänger aus und bewarfen die rund 30 Basler Angreifer mit Schottersteinen. Resultat des Scharmützels: Neun verhaftete Basler und ein verletzter FCZ-Fan.
Beat Hensler, Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten, ist trotz all diesen Ausschreitungen der Ansicht, dass die Ordnungskräfte ihrer Aufgabe gewachsen seien: «Wir haben keine Schwierigkeiten mit echten Fans, wohl aber mit Chaoten. Sorgen machen uns auch einzelne Medien, die jeden noch so kleinen Vorfall zum Drama hochstilisieren.» Ordnungsdienst sei immer ein Balanceakt, bei dem man es praktisch niemandem recht machen könne, sagt Hensler: «Wenn wir Präsenz markieren, wird das als martialisches Auftreten kritisiert; halten sich die Einsatzkräfte zurück, wird der Polizei Untätigkeit vorgeworfen.»
Christian Mutschler, Turnierdirektor der Euro 2008, findet, die Meisterschaftsspiele seien nicht mit jenen eines internationalen Turniers vergleichbar. Mutschler rechnet für die EM mit einer anderen Fankultur. Dies zeigten die Erfahrungen der letzten beiden grossen Turniere 2006 in Deutschland und 2004 in Portugal: «Die Zusammensetzung des Publikums ist anders als an Meisterschaftsspielen.» Es kämen beispielsweise viel mehr Frauen und Familien in die Stadien.
Sich auf die Friedfertigkeit der Fans zu verlassen könnte sich angesichts der wüsten Szenen, wie sie sich bei der WM 1998 in Frankreich ereignet hatten, als blauäugig herausstellen. Der Gendarm Daniel Nivel ist seither schwerstbehindert.
Gemäss einem Bericht von Jürgen Mathies, dem leitenden Polizeidirektor im Innenministerium Nordrhein-Westfalen und Vorsitzenden der Projektgruppe Polizei WM 2006, wurden auch in Deutschland während des Turniers insgesamt 9u2019000 freiheitsentziehende Massnahmen nötig. Mehr als 800 Personen wurden verletzt - 200 davon sind Polizeibeamte. Und dies, obwohl Mathies die Stimmung während der Weltmeisterschaft in seinem Land ebenfalls als «äusserst friedlich und harmonisch» beschreibt. Entscheidend dafür seien unter anderem die sogenannten Gefährderansprachen, bei denen potentielle Gewalttäter vor dem Turnier gezielt von der Polizei besucht wurden, und Meldeauflagen gewesen - Dialog beziehungsweise Deeskalationsmassnahmen also. Just jene zwei Strategien der 3-D-Philosophie, an deren Umsetzung die Verantwortlichen in der Schweiz noch zu oft scheitern.