Als Schweizer Fussballinternationale noch Taschengeld abschlugen

Alles über Fussball, ausser FCB.
Antworten
Benutzeravatar
smd
Erfahrener Benutzer
Beiträge: 782
Registriert: 07.12.2004, 17:41

Als Schweizer Fussballinternationale noch Taschengeld abschlugen

Beitrag von smd »

12. Februar 2005, Neue Zürcher Zeitung


Als Schweizer Fussballinternationale noch Taschengeld abschlugen

Das erste Länderspiel vor 100 Jahren - Frankreich in Paris glückhafter 1:0-Gewinner

Diesen Samstag ist es 100 Jahre her, seit ein Schweizer Fussballnationalteam zum ersten Länderspiel angetreten ist. Nach einer Reihe sogenannter Repräsentativspiele gastierte es Mitte Februar 1905 in Paris und unterlag Frankreich 0:1. Im Nachgang entspannen sich kontroverse Diskussionen über Vorbereitung und Kaderselektion einer nationalen Auswahl. Seither sind die Schweizer 32-mal gegen die Nachbarn angetreten und weisen eine negative Bilanz auf (12 Siege, 15 Niederlagen, 6 Remis, 57:61 Tore).



Aus der NZZ, Montag-Morgen- und -Mittag-Ausgabe vom 13. Februar 1905:

Paris, 12. Febr. Im heutigen französisch-schweizerischen F u s s b a l l m a t c h der Football-Association, der im Velodrome im Parc de Prince stattfand, siegte die französische Mannschaft mit 1:0 Goals. (. . .) Das Terrain war trocken und daher dem Spiel günstig. Während der ersten Hälfte des Matches brachten die schweizerischen Stürmer, die sich sehr flink zeigten, wiederholt den Ball bis zum gegnerischen Ziel, ohne jedoch einmal zum Siege zu gelangen. In der Folge schienen die Franzosen ihre Gegner zu bedrängen, aber die schweizerischen Halfbacks (. . .) vereitelten alle ihre Kombinationen. In der zweiten Hälfte spielten die französischen Stürmer, die grössere Homogenität zeigten, beständig direkt vor dem schweizerischen Ziel, und schliesslich gelang es ihnen, ein Goal zu markieren. Die schweizerische Mannschaft machte einen vorzüglichen Eindruck und wäre gewiss der französischen überlegen gewesen, wenn die einzelnen Spieler, aus denen sie zusammengesetzt war, häufiger Gelegenheit hätte, zusammen zu spielen.

rei. Um die vorletzte Jahrhundertwende steckte der organisierte Fussball auf dem europäischen Festland noch in den Kinderschuhen. In der Schweiz wuchs er trotz aller gesellschaftlicher Opposition rascher daraus hervor als anderswo. 1895 hatten sich elf Vereine zum ersten nationalen Verband (Schweiz. Football-Association, SFA) zusammengeschlossen, ohne dass Zeitungen dies vermeldeten, und zwei Jahre darauf wurde auf Initiative des Genfer Arztes Aimé Schwob erstmals ein Spielbetrieb organisiert. Schwob war der Entwicklung des Sports im Allgemeinen wohlgesinnt, versah u. a. ein Dutzend Jahre das Präsidialamt des Servette FC und gründete 1905 die zweisprachig herausgegebene Sportzeitschrift «Le Sport Suisse» / «Der Schweizer Sport», lange auch das Organ der Fussballer. Die Genfer Charmilles war noch eine Pferderenn-, die Zürcher Hardau und der Basler Landhof eine Radrennbahn, im Ausland erhielten die Fussballer meist Gastrecht auf Rugby-Plätzen. Das Inland stand unter dem Eindruck der Eröffnung des Simplon-Tunnels, der Vergabe des Friedensnobelpreises an Henry Dunant und des erstmaligen Besuchs eines Automobils. Auch internationale Fussball-Vergleiche fanden zusehends mehr Interesse. *

Als erster internationaler Match in unserem Land ist 1897 das Gastspiel des FC Fidelitas Karlsruhe auf der Hardau überliefert. Ohne seinen stärksten Spieler - und nachmaligen Barça- Gründer -, Hans «Juan» Gamper, der beruflich bedingt nach Lyon gezogen war, gewann der FC Zürich 3:0. Es brachen Zeiten an, deren man sich wehmütig erinnert. Schweizer Klubs (mit britischen Verstärkungen), Auswahlen oder Spieler machten prima Figur im Ausland. In den Wintermonaten waren hiesige Fussballer in Teams wie Juventus, AC Milan, Genoa oder Andrea Doria (später Sampdoria) gefragt. In Freundschaftsspielen über die Weihnachtstage 1899 mussten französische Spitzenklubs die Überlegenheit von Romands zur Kenntnis nehmen: Meister Gallia- Club kam gegen Servette in Genf nicht um zwei Kanterniederlagen herum, den FC Paris ereilte in Lausanne dasselbe Schicksal, auf der Turiner Radrennbahn Umberto I setzte sich eine schweizerische Auswahl gegen Italien 2:0 durch, und «La Suisse Sportive» schrieb selbstbewusst:

«Also überall in Italien und Spanien sind Schweizer Spieler anzutreffen. Sie spielen, lehren und dirigieren das Spiel. Wenn einmal die Eigenschaften der Eidgenossen mit denjenigen der Italiener zusammenwachsen, und wenn sie uns dann Niederlagen zufügen, werden sich die italienischen Fussballer mit Wohlwollen an ihre ersten und wahren Erzieher erinnern.» *

Zwischen 1898 und 2001 fanden sechs sogenannte Repräsentativspiele mehrheitlich gegen Süddeutschland statt, ehe in der Saison 1904/05 (GC feierte schon den vierten Meistertitel) eine Premiere anstand: das erste offizielle Länderspiel zum zehnjährigen SFA-Bestehen. «L'Auto», die Pariser Sportzeitschrift, schrieb vorgängig von einer unbekannten Sportart, die als Vorspiel zu einem Rugby-Treffen im Parc des Princes gezeigt werde. Die Franzosen, die in den Fifa-Gründungstagen des Mai 1904 in ihrem ersten Länderspiel mit den Belgiern 3:3 remisiert hatten, waren mit der Anfrage beim SFA nicht auf taube Ohren gestossen. Am 5. Februar wurde in Bern ein Trainingsspiel zweier Auswahlen durchgeführt, das die A-Mannschaft 7:1 für sich entschied. Darauf stellte Emil Hasler, Trainer, Zentralkomiteemitglied und Verbandssekretär, ein kleines Kader zusammen, das sich eine Woche darauf an der Seine einzufinden hatte. Die «Geladenen» bewältigten die lange Zugreise in den SBB, 3. Klasse. *

In der noch dreimal täglich erscheinenden NZZ waren wöchentlich höchstens zwei oder drei kurze Sportnachrichten zu finden, sehr selten mit fussballerischem Inhalt. Vom ersten Länderspiel rückte sie immerhin dieselbe SFA-Meldung wie die «Basler Nachrichten» ein (siehe Eingangszitat). Spielernamen blieben darin unerwähnt. 5000 Zuschauer seien primär des Rugby-Matches wegen gekommen, hiess es in «L'Auto», und der Autor hielt fest, dass ohne den überragenden Goalie Maurice Guichard das Spiel verloren gegangen wäre, weil die Schweizer besser waren. «C'est donc un succès, un gros succès, pour les organisateurs; c'est donc le triomphe définitif du Football Association en France», war an gleicher Stelle zu lesen. Die 1:0-Entscheidung hatte Gaston Cyprès (FC Paris) in der 60. Minute herbeigeführt. Die Schweizer Mannschaft, die sich dem englischen Referee John Lewis stellte, war schön nach föderalistischen Kriterien zusammengesetzt: Alfred Uster (La Chaux-de-Fonds); Fritz Bollinger (Old Boys Basel), Eric Mory (Old Boys), Alfred Mégroz (Montriond-Sports Lausanne), Jean Forestier (Servette), Robert Studer (FC Bern), Eugen Dütschler (St. Gallen), Karl Billeter (Cantonal Neuchâtel), Eduard Garonne (Grasshoppers), Hans Kämpfer (Montriond-Sports), Hermann Kratz (Young Fellows Zürich). *

Fussballer stammten in diesen Jahren meist aus gutbürgerlichen Kreisen. So auch der Basler Medizinstudent Eric Mory, der im Verbandsorgan unter dem Titel «Warum wir in Paris verloren» den Selektionsmodus in Frage stellte, die ungenügende Vorbereitung der Reise kritisierte, die jeder auf eigene Faust unternahm, und der auch die Captain-Rolle hinterfragte. Eduard Garonne als Centerforward (heute Mittelstürmer) sei aus seiner Warte nie in der Lage gewesen, das Spiel zu dirigieren. Die Captain-Binde müsse in Zukunft dem Centerhalf anvertraut werden, heute dem zentralen Aufbauer. Forestier war in dieser Rolle bester Mann auf dem Platz in Paris gewesen. Mory, der mit Bollinger das beste Back- Duo bildete, verstarb schon mit 28 Jahren an einer Lungenkrankheit, kurz nach Eröffnung einer Arztpraxis in Stans und einigen wenigen Spielen mit den Grasshoppers. Es sollte wegen finanzieller Probleme des SFA drei Jahre dauern, bis die Franzosen zum zweiten Länderspiel der Schweizer nach Genf kamen und erneut gewannen (2:1). *

Die Reise nach Frankreich hatte den nicht auf Rosen gebetteten Schweizer Verband rund 1000 Franken gekostet. Die Spieler erhielten die effektiven Bahnkosten vergütet, dazu einen Betrag von Fr. 12.60 an die übrigen Unterhaltskosten. Die Abrechnung wurde in der Zeitung «Football Suisse» am 9. März veröffentlicht. In demselben Blatt erschien wenig später folgende Mitteilung:

«Bekanntlich erhielt jeder Teilnehmer ausser einer Reiseentschädigung Fr. 12.60 an die übrigen Spesen. Herr Eduard Garonne, Captain des Grasshopper- Club, retourniert uns nun diesen Betrag mit der Bemerkung, dass der Grasshopper-Club nicht gestatte, dass seinen Mitgliedern ausser den Reisespesen noch eine weitere Entschädigung ausbezahlt werde. Den übrigen Clubs und Spielern müssen wir es überlassen, dem Beispiel des Herrn Garonne resp. Grasshopper-Club zu folgen. Für das Comité der SFA: Henry Tschudi, Sekretär (St. Gallen).»

Die logistischen Rahmenbedingungen sind heute längst luxuriös geworden und entsprechen dem hierzulande sehr beliebigen Status des Stars. Von Taschengeld ist nicht mehr die Rede, auch wenn viele hoch salarierte Internationale den Verbands-Obolus als solches empfinden mögen. Fast wäre der nächste WM-Qualifikationsmatch im Stade de France in Saint-Denis ein echtes Zentenarium geworden. Geschenke im Spiel sind nicht zu erwarten. Kritische Berichte von Spielern wie anno dazumal auch nicht. Und ob Frankreichs Nationalgoalie die Schweizer wieder zur Verzweiflung bringen wird, das will man sich wirklich nicht recht vorstellen.

Mitarbeit: Rolf Klopfenstein

Antworten