
Kritische Worte. FCB-Trainer Christian Gross beim Medientermin in einer Loge des St.-Jakob-Parks:«Die Defensive ist unser Haupt-Sorgenkind.» Foto Stefan Holenstein
INTERVIEW: MARCEL ROHR/FLORIAN RAZ
Der 52-Jährige ist sich bewusst, dass er mit seinem Team weit hinter den Erwartungen zurückliegt - dementsprechend selbstkritisch taxiert er die letzten sechs Monate.
Ein paar Termine noch in Basel, dann zieht es Christian Gross über die Weihnachtsfeiertage nach Spanien, ehe am 4. Januar 2007 der Trainingsauftakt erfolgt. «Es wird eine kurze, aber intensive Vorbereitung», kündigt der Coach an.
baz: Christian Gross, warum zieht der FCB mit zehn Punkten Rückstand in die Winterpause?
CHRISTIANGROSS: Dafür sehe ich zwei Gründe. Erstens hatten die WM-Fahrer Mühe, in der neuen Saison den Tritt zu finden. Das Turnier in Deutschland saugte bei den Beteiligten enorm Energie ab. Zweitens: Die neuverpflichteten Spieler, inklusive Franco Costanzo, haben nicht das gebracht, was wir uns alle erhofft hatten. Da sehe ich grosses Steigerungspotenzial.
Die Super League ist sehr ausgeglichen besetzt. Sind zehn Punkte Rückstand überhaupt aufholbar?
Es braucht einen unglaublichen Frühling von uns, einen Exploit. Ich freue mich auf das neue Jahr, wir greifen voll an. Wenn wir uns weiter steigern wie im zweiten Quartal, zeichnet sich ein ganz harter Kampf um den Titel ab. Der FCZ dominiert die Liga nicht so klar, wie es die zehn Punkte Vorsprung vermuten lassen.
Warum haben die Neuzugänge Buckley und Cristiano bislang so enttäuscht?
Beide Spieler kamen direkt aus dem Ausland, nicht wie Gimenez oder Rossi, die die Liga bereits kannten, als sie zu uns stiessen. Buckley und Cristiano hatten zuletzt nicht regelmässig gespielt, sie verpassten auch einen Teil der Vorbereitung. Cristiano spielte in Holland auch in einem Drei-Mann-Angriff, meist mit dem Rücken zum Tor. Ich hingegen bevorzuge den vertikalen Pass. Und Buckley spielte bisher mit angezogener Handbremse. Aber es wäre ein Fehler, wenn man die beiden abschreiben würde. Und ich verlange auch von anderen Spielern eine Steigerung.
Von wem?
Ivan Ergic wird seine Rolle als Captain noch besser ausfüllen. Daniel Majstorovic war in seinem ersten Halbjahr dominanter. Zuletzt war aber eine Steigerung erkennbar. Und Franz Burgmeier wird 2007 mehr Spielminuten haben als jetzt. Er brauchte diese Zeit, um sich einzugewöhnen. Koji Nakata machte seine Sache gut, aber er spricht zuwenig mit seinen Mitspielern.
Apropos reden: Welches ist die Hauptsprache innerhalb des Teams?
Englisch. Früher war es Italienisch und Spanisch, jetzt Englisch.
Die Frage hat Tradition: Wer ist Ihr Spieler der Hinrunde?
Ganz klar Mladen Petric. Er war überragend. Ich schätze es sehr, dass sich Frau Oeri jetzt schon bemüht, den Vertrag mit ihm über 2008 hinaus zu verlängern.
Sie haben Mladen Petric aber auch öfters öffentlich hart kritisiertu2026
Ja, stimmt. Weil ich seit zwei Jahren mit Mladen zusammenarbeite und immer sein grosses Potenzial gesehen habe. Klar ist auch:Mit jedem Tor wird er interessanter für die ausländischen Clubs. Und mit seiner Penalty-Parade im Spiel gegen Nancy hat sich Petric beim FCBunsterblich gemacht (lacht).
Wenn der FCB tatsächlich noch Meister werden will, darf man Petric, die Lebensversicherung, niemals verkaufen.
Ja, aber im Fussball gibt es immer auch einen finanziellen Aspekt. Doch er hat am Sonntag in Aarau ja am Fernsehen gesagt, dass er die Rückrunde beim FCB spielen wird.
Ihr Ziel ist der Meistertitel, auch jetzt noch. Würde es dem Team, aber auch Ihnen selbst nicht etwas Druck nehmen, wenn man die laufende Spielzeit als Übergangssaison deklarieren und als Endziel die Qualifikation für den Uefa-Cup angeben würde?
Das wäre doch für die Medien nicht interessant - und für uns auch nicht. Ich hasse es, in der Grauzone zu spielen. Nein, nein, wir greifen an, wir wollen nicht unter die ersten drei, wir wollen den Titel holen.
Sie haben als Trainer viel erreicht. Sie haben einen grossen Namen und einen hoch dotierten Vertrag. Wenn man dann die Ziele so formuliert wie Sie und diese auch verpasst, muss man mit Häme und Spott rechnen. Wie äussert sich das bei Ihnen im Alltag?
Es ist bei mir so wie bei jedem normal arbeitenden Menschen:Lob beflügelt, mit Kritik muss man sich auseinandersetzen. Sie gehört dazu. Im letzten halben Jahr gab es mehr Kritik als Lob, was verständlich ist. Ich reflektiere meine Leistung ständig und versuche, es noch besser zu machen.
Wie bewerten Sie in dem Fall Ihre Leistung im letzten halben Jahr?
Ich habe es im ersten Quartal nicht geschafft, die Mannschaft so konzentriert und so fokussiert auf den Platz zu bringen wie gewünscht. Schon bei den Grasshoppers habe ich stets gesagt, dass man auch ein Spiel verlieren darf. Aber man darf nicht einem Team unterliegen, das nicht besser ist. Genau das ist uns aber passiert - wir haben im Uefa-Cup gegen Mannschaften verloren, die nicht besser waren als wir.
Wie stark hat Sie persönlich der 13. Mai verändert? Immerhin haben Sie an diesem Samstag Ihre schwerste Niederlage der Karriere kassiert.
(Überlegt lange.) In meiner Art und Weise hat sich nichts geändert. Ich konzentriere mich jedoch noch mehr auf die Detailpflege. Gegenüber den Spielern bin ich jedoch immer noch gleich fordernd. Aber ich helfe ihnen auch, sie in diesem harten Geschäft weiterzubringen (überlegt wieder). Ich habe mich über jeden gewonnenen Titel gefreut. Aber ich habe immer einen Schutzmechanismus in mir drin; ich hebe nicht ab. Das gibt mir im Misserfolg auch die Kraft, die ich brauche, um unten rauszukommen (überlegt nochmals). Es ist doch dann aber auch fantastisch zu sehen, wie eine neue Mannschaft wieder zusammenwächst.
Eine Mannschaft, die viel zu viele Gegentore kassiertu2026
Die Defensive ist unser Haupt-Sorgenkind. Mangelhaft war die Ball-Rückeroberung, da müssen wir aggressiver werden. Und mitunter haben die Innenverteidiger die Aussenverteidiger zu wenig unterstützt.
Wie sehr machte sich da der Ausfall von Boris Smiljanic bemerkbar?
Wir hoffen fest darauf, dass Boris im Januar wieder mittun kann. Aber die Situation ist äusserst ungewiss. Nur wenn er fit ist, können wir Nakata links einsetzen.
Planen Sie in der Pause Transfers?
Aufgrund der wirtschaftlichen Situation muss ich sagen: Nur wenn es uns gelingt, einen Spieler abzugeben, können wir einen neuen holen.
Gibt es beim aufstrebenden FC Concordia einen Kandidaten für den FCB?
Innenverteidiger Beg Ferati ist ein interessanter Mann.
Der FCB hat in den letzten drei Jahren über dreissig teils hochkarätige Spieler verloren. Gibt es einen, denen Sie gerne zurückhätten?
(Überlegt.) Wen ich mir im Team gut vorstellen könnte, ist David Degen. Er könnte mit seiner Dynamik helfen. Und David ist einer, der einen herausfordert. Das hat dem Team mitunter gar nicht geschadet.
Bedeutet das, dass es in Ihrer Mannschaft derzeit zu harmonisch zu und her geht?
Ja, diese Gefahr besteht mitunter. Es braucht diesen gewissen Biss auf dem Platz, der den Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Sieger macht. Und für den zweiten Sieger interessiert sich heute niemand mehr. >
http://www.baz.ch