Eine Stadt sieht rot-blau
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Nirgendwo sonst identifiziert man sich so mit dem Fussball wie in Basel - das hat auch historische Gründe
Von Jost auf der Maur
Der Präsident des Fussballclubs Basel (FCB) schrieb eine hymnische Eloge: Trainer Heiko Vogel habe seinen Job «so hervorragend» gemacht, dass er die Mannschaft nach seiner Amtsübernahme an die Tabellenspitze führte. Und nicht nur das. So ganz nebenbei sei er mit seinem Team - «welch fantastische Krönung!» - als Gruppenzweiter der Champions League in die Achtelfinals «dieses bedeutendsten Clubwettbewerbs der Welt» gestürmt.
Das schrieb der 49-jährige FCB-Präsident Bernhard Heusler am 30. April dieses Jahres an die Clubmitglieder. Und er stellte fest: Die sportlichen Erfolge und emotionalen Erlebnisse seien in einer «kaum je da gewesenen Dichte» erfolgt. Jedoch mit 4,5 Kilometern pro Stunde fliesst der Rhein bei Basel hurtig. Darum hat die Stadt samt ihrer chemischen Industrie ihrem Strom die längste Zeit getrost alles übergeben, was nicht mehr gebraucht wurde. Fort musste, was lästig geworden war. Bachab geschickt hat jetzt FCB-Präsident Bernhard Heusler auch den von ihm hochgelobten Übungsleiter Heiko Vogel. Eine überraschende Kündigung.
Auf eine restlose Klärung der Vorgänge hat der juristisch austrainierte Heusler in gleichsam guter Basler Manier bisher verzichtet. Ist Vogel unbotmässig geworden? Oder ist er sich einfach treu geblieben, wollte er als Fachmann sich nicht von dem von ihm als richtig erkannten Weg abbringen lassen? Einem Weg, der dem scharf kalkulierenden Wirtschaftsanwalt Heusler zu riskant erschien?
Jedenfalls befindet sich das sonst gelassene Basel in Aufregung. Der «Basler Zeitung» war am Tag nach der Entlassung Vogels nichts auf der Welt wichtiger, sie füllte mehr als drei Seiten. Der FCB bestimmt die Fieberkurve der Stadt. Die Bedeutung des Fussballvereins für die Befindlichkeit am Rheinknie ist ungewöhnlich hoch - unschweizerisch hoch. Das hat Gründe.
Basel war stets freier als die freiheitsdurstigen Eidgenossen
Die Lage Basels am Nordrand der Schweiz ist keineswegs allein eine geografische Randständigkeit. Basel ist historisch und kulturell ein Kind der oberrheinischen Tiefebene, einst Strassburg und Köln näherstehend als dem notorisch machtdurstigen Bern. Basel blickt innerlich nach Norden. Der Basler Dialekt ist der deutschen Hochsprache so nahe wie kein anderer Deutschschweizer Dialekt. Er wirkt auf viele Miteidgenossen geziert, mehrbesser, geeignet allenfalls für Schnitzelbänke und die arroganten Typen im Schweizer Film.
Basel, in tausend Jahren nie erobert, war stets freier als alle die angeblich so freiheitsdurstigen Eidgenossen und führte bezeichnenderweise über seinem Kantonswappen nicht den zweiköpfigen Reichsadler wie die andern. Die Vernunftehe mit der Eidgenossenschaft (1501) wurde aus sicherheitspolitischen Erwägungen und auch nur sehr zögerlich geschlossen - zu einer Liebesbeziehung wuchs sie sich bis zum heutigen Tag nicht aus. Ganze zwei Bundesräte durfte die Stadt seit 1848 stellen. Auf dem Aeschenplatz mitten in Basel stand vor wenigen Jahren noch ein Wegweiser, der nach Süden zeigte - «Schweiz» hiess es da, als wäre dieses Basel in der Schweiz noch gar nicht angekommen. Und die Schweiz nicht in Basel.
Basels Abweichen von der deutschschweizerischen Gewöhnlichkeit gehört zum Verständnis der Tatsache, dass Basel sich in seiner Besonderheit unverstanden sieht. Basel fühlt sich nicht erkannt in seinem Anderssein. Da hilft der FCB.
In simpler Weise manifestiert der Fussball für alle sichtbar etwas von diesem «Anders-Ticken». Der FCB weht wie eine grosse Fahne über der Stadt, die Stadt am Rand des Landes wird dadurch gewiss nicht besser verstanden, aber - so fühlts der Fan - sie wird respektiert.
Das erklärt die enormen Zuschauerzahlen, die Grösse des Stadions, die Erfolge, das viele Geld. Basel ist zwar weder Hauptstadt wie Bern noch Machtzentrale wie Zürich. Aber es ist, wenn es das gäbe, die Fussball-Hauptstadt.
Das Phänomen dieser Fussball-Hauptstadt Basel deckt sich mit statistischen Beobachtungen der britisch-amerikanischen Autoren Simon Kuper und Stefan Szymanski in ihrem Buch «Soccernomics» oder «Warum England immer verliert»: Die stärksten Fussballvereine mit den meisten Zuschauern sind oft nicht in den Hauptstädten daheim, sondern in Städten aus der zweiten Reihe. In Mailand, nicht in Rom; in Marseille, nicht in Paris; in München oder Dortmund, nicht in Berlin; in Barcelona, nicht in Madrid. Und eben in Basel.
Oft sind es traditionelle Industriestädte wie Basel mit genügend Menschen, für die die Kultur schon beim Fussball beginnt. Und da oft auch schon endet. Im Stadion namens «Joggeli», das seit der totalen Kommerzialisierung «St.-Jakob-Park» heissen muss, scheinen alle Schichten gut vertreten. Auf Stehplätzen die organisierten Fans, die vermeintlich Wichtigen mit Cüpli hinter Panzerglas, und immer sind auch ganze Familien da. Am Fussball wärmt sich die Stadt, und eine ganze Region kann sich endlich in einer Bedeutung sonnen, die ihr sonst nicht zugesprochen wird. Selbst von den eigenen Leuten nicht.
Der Ehrgeiz zum Glanz wird über die Unterhaltungsbranche Fussball am einfachsten befriedigt - da genügt ein aktueller 4. Tabellenplatz in der Super League letztlich den Ansprüchen nicht.
Geisteswissenschaften und Kunst, Forschung und Industrie, womit Basel sehr wohl renommieren könnte, geniessen heute nicht mehr jenes Sozialprestige wie einst, als Basel sich stolz «Humanistenstadt» nannte, «Kulturstadt». Fussball dagegen ist einfach, ist das halbe Leben, scheinbar, und alle sind Experten. Und Basel ist Meister.
Ohne das Mäzenatentum wäre Basel arm dran
In Basel hatte eine markante gesellschaftliche Schicht sich geweigert, in den Niederungen des Balltretens präsent zu sein: der sogenannte Daig. Es ist jene Schicht von Immigranten aus halb Europa, die sich im Laufe der letzten Jahrhunderte hier mit Erfolg etabliert hat. Ein unermesslich reicher Geldadel, der allein von den Zinseszinsen vorzüglich lebt. Keine Patrizier, sondern Händler aller Art, Fabrikanten. Gerissen, tüchtig. Heute oft fern der Mühsal ihrer Geschäfte, oft schrullig, grosszügig nach Lust und Laune, sich selbst genügend, dem schnöden Glamour neureicher Gecken abhold.
Ohne das Mäzenatentum dieses Daig, das in Europa heute nichts Vergleichbares kennt, wäre Basel arm dran. Der Daig erhält viele Eckpfeiler der Stadt am Leben, vom Zolli bis zu ganzen Orchestern, Museen und Theatern. Aber der Fussball schien dem Daig doch eher ein probates Vehikel, um bei der arbeitenden Bevölkerung überschüssige Energie abzuführen.
Mit dem Auftritt von Gigi Oeri-Trefzer, 57, beim FCB 1999 änderte sich das. Sie ist denn auch eine untypische Vertreterin des Daig. Nicht weil die deutschstämmige Physiotherapeutin eingeheiratet hat in die reichste Familie der Schweiz, sondern weil sie sich nicht ziert, in der Öffentlichkeit als wunderlicher Paradiesvogel das Rad zu schlagen. Ihr finanzieller Hintergrund (Mitbesitz des Roche-Konzerns) ermöglichte es dem Club, die Dienstflughöhe in neue Dimensionen zu verschieben. Seither regnete es sieben Meistertitel, sechs Cup-Pokale, Teilnahmen in der Champions League. Der Personalaufwand hat sich verfünffacht.
Heute verdienen die 161 Mitarbeitenden des FCB durchschnittlich 215 000 Franken pro Jahr, von Christine Castioni, Wäscherin, bis zu Alex Frei, Stürmer. Allerdings nicht ganz alle gleich viel. Macht insgesamt 35 Millionen Franken an Lohnkosten. Der Umsatz des vergangenen Vereinsjahrs betrug über 60 Millionen Franken. Ohne dieses Geld wäre der FCB nicht konstant oben zu halten.
Den Daig zeichnet die feine Witterung fürs Geld aus
Nach Oeris Rücktritt vom Präsidium ist es nun an Bernhard Heusler, für die Fortsetzung der Erfolge zu sorgen. Heusler sticht aus dem Gros der Fussball-Präsidenten hervor durch seinen Nimbus der Wohlanständigkeit. Er entstammt einer der ganz wenigen Daig-Familien, die nicht eingewandert sind. Heuslers sind bezeugt als Schiffsleute aus Kleinbasel. Ihnen gelang aber über den Betrieb einer Papiermühle der Aufstieg in die vermögende Klasse. Das alte Ratsherrengeschlecht Heusler zählt seither zum Daig.
Was diesen Daig durch alle Kunst- und Feinsinnigkeit hindurch auszeichnet, ist die überfeine Witterung fürs Geld. Da liegt denn auch - so der Verdacht - der tiefere Grund für den plötzlichen Rauswurf von FCB-Trainer Heiko Vogel. Der gescheite, volksnahe Deutsche ist in Basel beliebt, die Kündigung wird als übereilt taxiert. Auch Heusler mochte Heiko, aber sein kühler Blick gilt dem Geld. Fussball ohne Geld, das funktioniert nicht - in Basel schon gar nicht.
Das schien Vogel nicht zu kümmern. Im «Joggeli» aber werden bald schon alle vergessen haben, was dem Heiko Vogel geschehen ist - wenn es nur schön weitergeht mit dem grossen, dem grössten FCB aller Zeiten.
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Jost auf der Maur hat, als es FACTS noch gab, auch «Basel erwartet» verbrochen:
http://www.oocities.org/faeggts/facts.html