12. März 2008, Neue Zürcher Zeitung
«Fans haben keine Lobby»
Schweizer Fussballfans kämpfen um ihre Rechte und ihren Ruf
Mit der Initiative «Fansicht» wollen die grössten Schweizer Fussball-Fankurven die Öffentlichkeit für die ihres Erachtens problematische Umsetzung der Massnahmen gegen Gewalt an Sportveranstaltungen sensibilisieren. Ein schwieriges Unterfangen. ...
dau. Eingefleischte Fussballfans stellen für eine breite Öffentlichkeit primär ein Ärgernis und ein Sicherheitsrisiko dar. Angesichts der Gewaltexzesse in der jüngeren Vergangenheit im Umfeld von Ligaspielen sowie der sicherheitstechnischen Nervosität im Vorfeld der Euro 08 ist dies nicht erstaunlich. Kaum politischer Widerstand erwuchs deshalb den juristischen Instrumenten, die ein härteres Vorgehen gegen Gewalt an Sportveranstaltungen ermöglichen. Auch staatsrechtliche und datenschützerische Einwände fanden wenig Gehör, der Versuch, gegen das revidierte Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) das Referendum zu ergreifen, scheiterte. Anfang 2008, ein Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes, zog das Bundesamt für Polizei (Fedpol) eine erste, durchwegs positive Bilanz: 78 Rayon- und 192 Stadionverbote seien ausgesprochen und die betroffenen Personen in der sogenannten Hooligan-Datenbank (Hoogan) erfasst worden.
Argumentarium für Fans
Nicht die Rede ist in besagter Mitteilung von den fragwürdigen Vorkommnissen bei der Umsetzung des Hooligan-Gesetzes. Ihrer Veröffentlichung verschreibt sich die Initiative «Fansicht», die von den Dachorganisationen der wichtigsten Schweizer Fussball-Fankurven getragen wird. Man wolle die Geschichten hinter den Stadionverboten erzählen, meint ihr Sprecher Pascal Claude, der als Lehrer und «WoZ»-Kolumnist arbeitet, im Gespräch. «Fansicht» sieht sich als Anlauf- und Informationsstelle für Fans, die ihres Erachtens zu Unrecht ein Stadionverbot erhalten haben – oder keine Einsicht in die Verbotsbegründung bekamen – und nun in der Hoogan registriert sind: «Den Betroffenen soll auf der Website
http://www.fansicht.ch ein Argumentarium angeboten werden, um sich gegen willkürliche Übergriffe zu wehren.»
Das Beispiel eines FC-Basel-Fans zeige exemplarisch die Fragwürdigkeit der Hoogan-Datenbank auf, erzählt Claude. Dem Fan wurde im Herbst 2007 vom FC Basel ein Stadionverbot auferlegt, da ein Steward (Platzanweiser) gesehen haben wollte, wie der Fan eine bengalische Fackel im Stadion zündete. Dieser habe indes stets seine Unschuld beteuert und gar einen ihn entlastenden fotografischen Beweis vorlegen können. Der Verein, der laut Claude im Nachgang der Krawalle vom 13. Mai 2006 einen entspannteren Umgang mit den Fans pflegt, habe daraufhin das Stadionverbot wieder aufgehoben. Dies sei auch der Kantonspolizei Basel-Stadt mitgeteilt worden, die bereits beim Erlassen des Stadionverbots informiert wurde. Einige Tage später erhielt der belegbar Unschuldige allerdings vom Dienst für Analyse und Prävention des Fedpol einen Brief: Er sei nun in der Hoogan-Datenbank als Hooligan erfasst. Mit Verweis auf das irrtümlich erlassene Stadionverbot verlangte der Fan beim Fedpol die Löschung seiner Daten. Diesem Verlangen wurde nicht stattgegeben, worauf der Fan Beschwerde gegen diesen Entscheid beim Bundesverwaltungsgericht einreichte. Mittlerweile hat das Fedpol den Fan aus der Datenbank nun doch entfernt. Der Verdacht eines Platzanweisers habe aber offenbar genügt, moniert Claude, um jemanden als Hooligan abzustempeln.
Anonymität statt Transparenz
Auf politischer Ebene lässt sich mit derlei Einwänden jedoch keinen Staat machen. Wie wenig die individuellen Freiheiten des Bürgers als Fussballfan zählen, zeigte vor einigen Tagen die Debatte im Stadtzürcher Gemeinderat über eine von der Stadtpolizei parallel zur nationalen Hoogan geführte lokale Hooligan-Datenbank. «Ich wäre froh, die Polizei könnte manchmal handeln, bevor etwas geschieht, weil sie sich ein paar Notizen gemacht hat», war hierzu von linker (!) Seite zu vernehmen (NZZ 7. 2. 08). Denn erfasst werden in dieser Datenbank auch Personen, die keine Straftat begangen haben, sondern lediglich als «Gewalt suchend» aufgefallen sind – was darunter zu verstehen ist, bleibt indessen unklar.
Im Gegensatz zu Politaktivisten verfüge die Fussballfan-Szene kaum über eine politische Lobby, die sich für ihre Interessen einsetzen würde, erklärt sich Claude den sorglosen Umgang mit den Rechten der Fussballfans. Dieser Mangel an politischem Sukkurs für die wilden eingefleischten Fussballfans – im Fachjargon Ultras genannt – gründet unter anderem in ihrem Selbstverständnis als klandestine Subkultur. Ihre Protagonisten agieren mit Vorliebe anonym. Auch bei massiven Vergehen wie der publik gewordenen Entführung eines Fans der Zürcher Grasshoppers durch eine Gruppe FC-Zürich-Fans äusserte sich kein Vertreter der sogenannten «Südkurve» namentlich zum Vorfall. Niemand könne (oder wolle?) für die Kurve sprechen, lautet jeweils die Begründung. Die breite Öffentlichkeit legt den Fankurven dieses Verhalten jedoch als Feigheit aus. Zumal innerhalb der Kurve eine relativ klare Hackordnung, mit Szene-intern bekannten Wortführern besteht.
Unbelehrbare in den eigenen Reihen
Auch auf der «Fansicht»-Website ist allein Pascal Claude namentlich erwähnt. Dies zeigt das Dilemma, in welchem sich das Projekt befindet: Es ist der Fankultur und ihrem teilweise archaischen, sozialromantischen Wertesystem verpflichtet, gleichzeitig will es das Fan-Verhalten in Einklang mit den juristischen Paragrafen-Leitplanken bringen. Erschwert wird der Kampf der Fussballfans um ihre Rechte und ihren Ruf zusätzlich durch Unbelehrbare aus den eigenen Reihen. Wenn beim Auswärtsspiel des FC Zürich in St. Gallen eine Banderole, die für ein Nein zum Kantonalzürcher Polizeigesetz wirbt, am Zaun des Auswärtssektors hängt und aus ebendiesem Sektor Gegenstände aufs Spielfeld fliegen, die den Linienrichter am Kopf treffen, liefert dies kaum Argumente für einen moderateren Umgang mit den Fans. Dies scheint noch nicht allen bewusst zu sein: Steht man unter verschärfter medialer und politischer Beobachtung, wie dies für den Schweizer Fussball und seine Nebenschauplätze seit der Vergabe der Euro 08 der Fall ist, wird ein jedes Fehlverhalten sofort publik – und entsprechend ausgeschlachtet.
http://www.nzz.ch/nachrichten/medien/fa ... 87454.html