Für einen Fan wie Moritz Grobovschek ist Fußball nicht nur Gewinnen. Auch Verlieren. Angst haben. Die zweite Liga im Rücken spüren. Fan eines Fußballvereins sein bedeutet, sich persönlich geehrt fühlen, wenn der oder der Fußballer sich bereiterklärt, für den eigenen Verein zu spielen. Es ist dann so, als hätte eine schöne Frau in ein Treffen eingewilligt.
Fan sein bedeutet, das grausige Gekicke der eigenen Mannschaft zu verfluchen, aber dann, in der Sommerpause, schlechte Laune zu haben, weil grad kein Fußball gespielt wird. Fan sein bedeutet, der Mannschaft überallhin zu folgen, wenigstens in Gedanken, notfalls in die dritte Liga, aber auch zum Europapokal nach Limassol. Fan sein bedeutet, eine Heimat zu haben; die Gewissheit: Auch wenn ich im Krankenhaus bin oder sogar im Gefängnis, meine Mannschaft wird spielen.
Fan sein
Fan sein heißt, eine Ahnung davon haben, dass es immer weitergeht. Und wenn die nächste Saison anfängt, kommt der Fan zum Stadion, riecht das noch nicht plattgetretene Gras, riecht das Bier, raucht eine Zigarette, trägt das neue Trikot, hört die Spieler kommen, die Schritte der Stollenschuhe im Kabinengang. Dann geht es wieder los.
Als Red Bull den Laden 2005 übernahm, erzählt Moritz Grobovschek, waren nicht alle Fans dagegen. Mateschitz" Leute versprachen einen Aufschwung. Siege, Meisterschaft, Teilnahme an der Champions League. Natürlich ist die Champions League für jeden Fan etwas Schönes, und auch mit dem Namen Red Bull hätten einige zur Not leben können. Wer schon mal Gerngross genannt wurde und gegen Gegner antritt, die "SV Josko Fenster Ried" heißen, ist so schnell nicht aus der Fassung zu bringen.
Aber etwas zerbrach, als es um die Farben ging. Grobovschek war bei den Verhandlungen dabei, als Vertreter der Initiative Violett-Weiß. Die Fans wollten violette Trikots, jedenfalls einen deutlich sichtbaren Anteil Violett in den Hemden. Aber die Männer von Red Bull - sie sind nicht nur Sponsoren, sondern mächtige Eigentümer - wollten ihre Firmenfarben, Rot-Weiß bei Heimspielen, auswärts Blau.
"Das letzte Angebot von ihnen war: ein violettes Kapitänsschleiferl, violette Torwartstutzen und möglicherweise auch das adidas-Logo auf dem Trikot violett." Die Fans, diese Fans, begriffen das Angebot so, wie es gemeint war. Red Bull war nicht länger ihr Verein. Es war vorbei. Etwas ging nicht weiter.
Es geht um Werte
Red Bull spielt am Stadtrand in Wals-Siezenheim, in einem Stadion, das auch bei der EM im kommenden Jahr genutzt wird. Man kann sich während des Spiels per SMS eine Dose Red Bull an seinen Platz bestellen. Bei jedem Heimspiel wird eine Schönheitskönigin gewählt, die Red Bullerina. Manchmal dröhnt Rindergebrüll aus den Lautsprechern. Auch treten Stimmungsmacher auf; es fühlt sich eher nach Touristensause an als nach Fußball.
Grobovschek sagt: "Klassische Fußballstimmung wie in den alten englischen Stadien gibt es auch anderswo nicht mehr, aber es muss nicht sein, dass man in ein Stadion reinkommt, und es ist eine Lichterorgel angeschaltet, dass man denkt, man ist in einer Diskothek."
Es gibt also jetzt zwei Austria Salzburgs in Salzburg. Es geht nicht nur um Farben, es geht um Werte, um eine Haltung. Die Geschichte spielt in Salzburg, aber sie könnte überall spielen, wo der moderne Kommerzfußball den alten Gefühlsfußball frisst. Der Mateschitz-Verein führt die Tabelle der ersten Liga mit zehn Punkten Vorsprung an, Grobovscheks alte neue Austria spielt in der 7. Liga, sehr erfolgreich.
Sie haben alte Austria-Spieler in den Verein geholt, als Trainer, Betreuer, und Grobovschek sagt, 1000 Zuschauer sind immer da, bei Spitzenspielen 2000. Vielleicht können sie mit ihrer Austria irgendwann in der zweiten Liga spielen, das ist das Ziel, aber wichtiger ist, dass die alte Austria, des Fußballs Kern, am Leben ist. Manchmal lebt sie sogar da, wo die Roten Bullen hausen.
Museum mit Lebendobjekten
Als Red Bull gegen Rapid Wien spielte, den alten Rivalen, spannten die Wiener Transparente, auf denen stand: "Farbenklau, Traditionsverkauf - wo hört dieser Schwachsinn auf?" Die Zuschauer vom Gegner Mattersburg hatten "Stopp dem Rinderwahn" auf Laken geschrieben, die Fans aus Ried "Nie wieder Red Bull Whiskey!" Auch das Lied "Bullenfreie Zone", zur Melodie von Vamos a la playa, wurde von Gegnerfans gesungen, die also dem huldigten, was von der Austria übrig geblieben ist.
Aber im "Bull"s Corner", dem Restaurant hinter der VIP-Tribüne, wo Lothar Matthäus über Mozart spricht und die Atmosphäre einer alten Vereinskneipe so restlos getilgt ist wie das Violett von den Trikots, hört man über sowas locker weg. Das Stadion ist gut besucht, auch ohne die alten, echten Fans, mit denen die Japaner und Deutschen und Schweizer und Tschechen im Team eh nie zu tun hatten. Nico Kovac und Alexander Knavs und Vratislav Lokvenc, dazu die Trainer Matthäus und Trapattoni, alter Bundesliga-Adel. Nach dem Training wirkt Bull"s Corner wie ein Museum mit Lebendobjekten drin.
Alexander Zickler ist auch dabei, früher bei Bayern, noch früher bei Dresden. Ewig ein Talent gewesen, aber wenn es drauf ankam, hat er sich immer schwer verletzt. Es war tragisch. Erst bei den Red Bulls hat sein Körper ihm erlaubt, ein richtiger Torjäger zu werden. Zickler sitzt Lothar Matthäus gegenüber, sie reden über Fußball und Tradition und die Farbe Violett.
Zickler trägt auch beim Essen eine Wollmütze, und wenn er spricht, klingt er wie Ballack. Er sagt: "Ich weiß nicht, warum diese Fans nicht irgendwo, ich sag mal, umdenken können. Man kann auch in Violett Stimmung machen für Rot-Weiß, das ist doch kein Problem." Lothar Matthäus sagt: "Mit Red Bull auf der Brust spielen ist immer noch besser wie mit Aspirin, bei Bayer."
"Schmeckt auch besser", sagt Zickler, der es genießt, endlich zeigen zu dürfen, was sein Spitzname all die Jahre versprochen hat: Sie nannten ihn Zico. Und Matthäus hat endlich als Trainer den Erfolg, an den er als Spieler gewöhnt war. Zwei sind angekommen.
So ist Fußball. Zwei Rote Bullen, denen egal ist, dass andere dabei etwas verloren haben.
Quelle:
http://www.sueddeutsche.de/sport/weltfu ... 39/100539/
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