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Das Basler Konkordat
Von Von Dario Venutti, Basel. Aktualisiert am 10.06.2013
Zürich hat den Verschärfungen zur Gewaltbekämpfung im Sport deutlich zugestimmt. In Basel dagegen wird das Hooligan-Konkordat wohl im Parlament scheitern. Ein Schweizer Sonderfall.
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Fanpass, Registrierungspflicht, totales Alkoholverbot. Basel kennt nur eine Antwort auf den heftigsten Krawall in der neueren Schweizer Fussballgeschichte: Repression. Als Folge der Ausschreitungen am 13. Mai 2006, als der FC Zürich in der Nachspielzeit im St.-Jakob-Park Meister geworden ist, einigen sich Club, Behörden und Polizei auf das, was in der Schweiz seit einem Jahrzehnt nach jedem kleineren und grösseren Zwischenfall gefordert wird: «einschneidende Massnahmen, welche die Gewalt aus dem Stadion endgültig verbannen».
Sieben Jahre später herrscht in Basel wiederum Einigkeit. Nur zielt der Konsens jetzt in die Gegenrichtung: Im Gegensatz zur Restschweiz wird das verschärfte Hooligan-Konkordat wahrscheinlich bereits vom Parlament abgelehnt werden. 56 von 100 Grossräten, von der linken Randpartei Basta bis zur SVP, sind dem Gegenkomitee beigetreten. Der FC Basel ist auch gegen die Verschärfungen, und ein Teil der Polizei ist es hinter vorgehaltener Hand ebenfalls.
«Direkter Dialog bringt mehr»
Was ist in Basel seit dem 13. Mai 2006 geschehen, dass Funktionäre, Politiker und Polizisten das Fanthema heute anders sehen – obwohl auch FCB-Fans seither an Ausschreitungen beteiligt waren? «Wir schieben uns nicht gegenseitig die Schuld zu, sondern reden miteinander», sagt Bernhard Heusler. Der Präsident des FC Basel spricht von einem «Basler Modell», wenn er den Umgang mit Gewalt meint. Er stellt fest, dass mancherorts in der Schweiz nach gewalttätigen Auseinandersetzungen ein Schwarzer-Peter-Spiel stattfindet: Die Behörden beschuldigen den Verein, der Verein die Polizei, die Polizei die Fans und die Fans die Polizei. In Basel wird mit dem Thema unaufgeregt umgegangen. Oder wie es Heusler sagt: «ohne Populismus». Auf seine Initiative hin vereinbarten der FCB, Behörden, Polizei, die Fanarbeit und FCB-Anhänger regelmässige Treffen, nachdem die repressiven Massnahmen als Reaktion auf den 13. Mai in eine Sackgasse geführt hatten. «Der direkte Dialog bringt mehr als die Kommunikation über die Medien», sagt Heusler.
Spricht man mit aktiven FCB-Fans, bestätigen diese die Aussagen Heuslers. Der Basler Polizeikommandant Gerhard Lips zum Beispiel gilt unter ihnen nicht als die Verkörperung des Bösen schlechthin, sondern als pragmatischer und liberaler Polizeichef. Was nicht heisst, dass in Basel die Gesetze nicht angewandt würden: Auch hier erhält ein Stadionverbot, wer mit Pyromaterial erwischt wird. Und auch hier werden Rayonverbote ausgesprochen und Strafverfahren angestrengt, wenn jemand gewalttätig ist. Doch statt immer schärfere Sanktionen zu fordern wie im neuesten Hooligan-Konkordat, hat Basel sozusagen ein eigenes Konkordat entwickelt: Neben dem Dialog gehören dazu die Durchsetzung bestehenden Rechts, Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit.
Seit dem 13. Mai 2006 haben zahlreiche Podien und Vortragsabende stattgefunden, an denen über und teilweise auch mit Fans aus dem harten Kern diskutiert wurde. Die Fans sind in Basel auch dann ein Thema, wenn es nicht gerade knallt. Sie werden als subkulturelle Jugendbewegung wahrgenommen, die nicht nur stört. Mit ihr setzen sich vom Ethnologen Ueli Mäder über den Strafrechtsprofessor Markus Schefer bis zum früheren Polizeikommandanten Markus Mohler angesehene Persönlichkeiten auseinander, auf die man hört. Alle drei sagen im Grunde dasselbe: Der Umgang des Staates mit Fans schafft eine Sonderjustiz und gefährdet Grundrechte.
Ein solcher Diskurs existiert zwar auch in Zürich, Bern und Luzern. Doch in Basel wird er breiter geführt, und nur hier ist eine Mehrheit der Politiker überzeugt, dass eine beschleunigte Repression kontraproduktiv ist. Das erwähnte Gegenkomitee wurde vor einem Jahr gegründet. Dessen Sprecher, SP-Grossrat Tobit Schäfer, hat auch eine Grundrechtsbeschwerde am Bundesgericht eingereicht; FDP-Regierungsrat Baschi Dürr musste das Konkordat widerwillig dem Parlament vorlegen. Dass er von seinen Kollegen dazu gezwungen wurde, brachte er im Begleittext unverhohlen zum Ausdruck: Im Zusammenhang mit Fangewalt lasse sich «eine Spirale der Repression» feststellen. Wahrscheinlich im Herbst stimmt das Parlament ab.
Zeugen für Friedfertigkeit
Dass die Basler Politiker die Fanthematik anders sehen als ihre Kollegen in andern Kantonen, erklärt sich Tobit Schäfer mit der Engräumigkeit des Halbkantons. «Über Umwege kennt hier jeder jemanden, der in der Kurve steht. Deshalb weiss er, dass dort nicht Tausende von Gewalttätern sind.» Die Realität an Fussballspielen werde nicht in erster Linie über Medienbilder wahrgenommen, die meistens Pyro und Gewalt zum Inhalt haben. «Wir haben 30'000 Zeugen», sagt Schäfer. Zeugen dafür, dass der Normalfall im und um das Stadion friedlich ist.
Würde das Basler Konkordat einem schweren Krawall standhalten? Schäfer und Heusler sagen: Auch nach den Ausschreitungen am diesjährigen Cupfinal und den Sachbeschädigungen von Basler Fans im Zürcher Letzigrund 2011 sei der Dialog fortgesetzt worden.