Ich habe mir mal die durchaus anderen Meinungen angeschaut.ayrton_michael_legends hat geschrieben:einfach mal zum aufzeigen, dass es durchaus andere meinungen als den hier so gepriesenen drosten gibt:
https://www.heise.de/tp/features/Coronavirus-Warum-Herr-Drosten-jetzt-endlich-schweigen-sollte-4684176.html
https://medium.com/@joschabach/flattening-the-curve-is-a-deadly-delusion-eea324fe9727
sollte man sich eher an theoretischen annahmen von virologen oder fakten von betroffenen medizinern in betroffenen gebieten sowie zahlen orienteren?
jedem das seine. der weg in europa könnte hochgradig gefährlich sein, das bewusstsein dafür fehlt nach wie vor.
Alexander Unzicker, Physiker, Jurist und Sachbuchautor, ausgerechnet zum Thema, den eigenen Verstand zu gebrauchen. Also ein eigentlich intelligenter Mensch, aber auf dem Gebiet nicht bewandert.
Er ist angesichts der Pandemie überwältigt und hat Angst. Seine Entscheidung: «Unter allen Umständen stoppen – Koste es, was es wolle» ist bereits getroffen und er filtert jede weitere Information unter diesem Gesichtspunkt aus. Geht daher eher vom Schlimmsten Fall aus.
«Flatten the Curve» und radikale Massnahmen stehen nicht im Widerspruch. Dieser konstruiert Unzicker nur, weil Drosten sagt, dass die Kurve abflachen wichtig sei, nicht die Radikalität der Massnahme. Denn als Virologe weiss Drosten, dass er nur sagen kann, was es aus seiner Sicht relevant ist, die flachere Kurve. Verhaltensforscher, Polizei, Regierung, Psychologen, etc. wissen eher, wie man das Verhalten der Bevölkerung beeinflussen kann und wieviel Druck es verträgt oder ab wann eine Massnahme kontraproduktiv wird.
Deutschland hinkt vermutlich mehr als 8 Tage hinter Italien hinterher. Bei den aktuellen Zahlen an Todesfällen (I: 5476 / D: 115) sind es knapp über drei Verdoppelungsschritte. Die Schweiz war letzte Woche schon bei 3 Tagen für eine Verdoppelung, Deutschland noch bei mehr (habe keine aktuelle gefunden, aber vor 10 Tagen waren es noch 6-7 Tage bis zur Verdoppelung).
Die 70% Immunität, welche es für die Herdenimmunität gegenüber dem SARS-CoV-2 braucht, sind auch eine Tatsache. Und die Idee, dass man zu dieser Zahl mit einer flachen Kurve gelangen kann, stimmt. Es ist kein Widerspruch zu den Beispielen mit drastischeren Massnahmen. Aber ein totaler Stillstand hat das Problem nicht gelöst. Ein Apnöe-Taucher verbraucht ohne Bewegung weniger Sauerstoff und kann länger die Luft anhalten. Aber trotzdem macht es Sinn, einen Teil seines Sauerstoffes auch für Bewegungen hin zur Wasseroberfläche aufzuwenden. Es gilt also das Mass, die Balance zu finden. Drosten liefert nur die Fakten, die Einschätzung müssen andere machen.
Dass der Spiegel-Redakteur aufwacht, dass Coronaparties scheisse sind, dass man besser früher gehandelt hätte, dass Stimmen wie jene von Wodarg zur Zeit unangebracht sind, erkennt Unzicker richtig. Aber immerhin schreibt er Wodargs Meinung nicht komplett ab, sondern hält sie nur in diesem Fall für eine Fehleinschätzung. Diese Differenzierung würde ich mir von Unzicker auch für den Rest seines Artikels wünschen, tut er aber nicht. Weil er sich selbst im Alarmierungsmodus befindet.
Dass er im Rundschreiben seines geschätzten Journalisten gegen die Hysterie anzuschreiben, eine Verharmlosung der Pandemie sieht, dass er sich selbst im einem Szenario sieht, vor den einstürzenden Twin Towers davonrennen zu müssen, zeigt doch, dass er im Panikmodus ist, selbst das differenzierte Denken ausgeschaltet hat.
Genauso steht auch die Aussage, dass die Testdichte in Deutschland höher ist und man darum mehr Zeit zum reagieren hat, nicht im Widerspruch zu Kekulé, der sagt, dass die effektiven Fälle höher sind, als die mittels Test erfassten. Aber schon ein Blick auf die sich später entwickelnden Todesfälle stützt eigen Drostens Aussage. Auch, dass die unterschiedlichen Validierungsverfahren dieser Tests, weniger relevant sei, als die breite Verfügbarkeit.
Unzicker ist unsicher. Er möchte Sicherheit und kann mit der Tatsache, dass es keine Sicherheit gibt, nichts anfangen. Warum erwartet er von einem Virologen, wie sich die Bevölkerung mit Masken eindecken kann, die es zur Zeit nicht gibt? Warum hat er Mühe zu verstehen, dass die Relativierung dieser Studie korrekt ist? Weil sie ihm vermeintliche geglaubte Sicherheit nimmt.
Ich bin mir sicher, dass sich China genauso gut auch von einem Top-Wissenschaftler wie Drosten beraten lassen würde und zu anderen Schlüssen gekommen wäre. Wer Drosten genau zuhört, versteht, dass er nur Informationen und seinen Kenntnisstand weitergibt. Die verunsicherten Menschen wollen aber eine klare autoritäre Handlungsweisung, statt einem Ratschlag. Darum werden auch die falschen Fragen gestellt, man erhofft sich Führung von Drosten. Diese will und kann er aber nicht geben.
Unzicker ist genauso überfordert und verunsichert wie die viele andere Menschen auch. Daher sehnen sie sich nach einer autoritären Figur oder einem autoritären Regime, das ihnen sagt, was sie zu tun haben. Die Anweisung: «neue Situation, hier die Fakten, hier die Ratschläge, denkt mit» ist zu viel verlangt. Aber genau dieses Verhalten brauchen wir. Ironischerweise sollte er sich jetzt sein eigenes Buch mit dem Untertitel: «Anleitung zum Selberdenken in verrückten Zeiten» zu Herzen nehmen. Er hat immerhin in kognitiver Psychologie promoviert, aber das verhindert nicht, dass er selber einer kognitiven Dissonanz aufsitzt und darum selektiv wahrnimmt.
Joscha Bach ist da weniger alarmistisch unterwegs. Auch seine Spezialgebiete lassen auf hohe Intelligenz schliessen. Er stellt das Prinzip nicht in Frage, dass die Kurve abgeflacht werden muss. Er konzentriert sich aber auf sein Spezialgebiet, die Zahlen besser in Relation zu stellen und hochzurechnen. Er kommt mit Modellrechnungen und ausgehend von den Zahlen der vorhanden IPS Stationen in den USA zum Schluss, dass die Kurve massiv abgeflacht, quasi geplättet werden muss, um nicht in die Notlage der Triage zu kommen. Damit hat er Recht. Er berücksichtigt in seinen Modellen auch diverse Schätzungen für Parameter anderer Experten. er versucht die Bandbreite von Handlungsmöglichkeiten zu erfassen. Er stellt auch korrekt fest, dass ein autoritärer Lockdown, mit door-to-door Testing und komplettem Contact Tracing (im Falle von China mittels einer bereits installierten Infrastruktur der automatischen Gesichtserkennung, Erfassung und Abgleichung von Bewegungsprofilen, totaler Überwachung) die Kurve praktisch plätten kann.
Und jetzt braucht es aber die korrekte Einordnung. Wie schätzt man die Bedrohung des Virus für den Einzelnen oder für das ganze Land ein? Was ist man bereit aufzugeben? Woran will man festhalten? Sind wir so ängstlich, dass wir uns sämtlicher Freiheiten berauben wollen? Oder haben wir das Vertrauen in die Gesellschaft, dass diese auch trotz der hohen Verluste nicht auseinander bricht und durch Vernunft statt Verbote die Kurve abflachen kann?
Wie Berset richtig formuliert hat, es sind nicht die Massnahmen, welche die Kurve abflachen. Es ist unser Verhalten.