Wieder Spannung bis fast zum Schluss - der Titelhalter FC Zürich und der FC Basel im Wettlauf um den Schweizer-Meister-Titel
Vor gut einem Jahr - am 13. Mai 2006 - verdrängte der FC Zürich den FC Basel in letzter Sekunde vom ersten Meisterschaftsrang. In der Fussballsaison 2006/07 war der FCZ stets besser klassiert, doch zwei Runden vor Schluss beträgt der Vorsprung nur noch einen Punkt. Wie lebt es sich bei Jägern und Gejagten? Begegnungen mit Protagonisten der Titelanwärter.
Noch kein Tor auf Plastic
Lucien Favre. «Sprechen Sie nicht von Druck», bittet der Trainer des FC Zürich. Doch wenn jetzt nicht - wann dann? Noch 36 Stunden. Dann ist der FCZ vielleicht Meister. Trotz Sinnkrisen, trotz Rumoren hinter den Kulissen, trotz Transfergeschichten, trotz Schleichfahrt seit der Winterpause. Doch gewinnen die Zürcher in Bern und verliert Basel in Luzern, ist die jüngste Vergangenheit nur läppische Episode. Favre blickt aus dem Fenster des Mannschaftshotels in Uitikon. Er rechnet nicht, er spekuliert nicht, er hofft nicht auf einen Stolperer des FCB. Das alles sei «schädlich», sagt Favre. «Wir müssen gewinnen, fertig.» Und zwar gegen YB - auf einem Plasticrasen, wo der FCZ überhaupt noch nie ein Tor geschossen hat. Weder gegen Salzburg in der Champions-League-Qualifikation noch in der Meisterschaft gegen die Young Boys. Hört man Favre zu, ist der Kunstrasen eine andere Welt. Eine Welt, die das technisch starke Team der Zürcher doch eigentlich bevorteilen müsste, nicht wahr? «Das glaubt ihr», sagt Favre zu den Journalisten und lächelt. An diesem Morgen ist er geistig ins Schuhgeschäft eingestiegen. Er hat sich erkundigt: Alle Xamaxiens haben ihre Schuhe gewechselt, seit sie auf Plastic Fussball spielen. Es ist ein einfach zu kopierendes Erfolgsgeheimnis.
Vorbei der Herbst
Ivan Ergic. «Jetzt zeigen wir es allen.» Der FC Basel ist beseelt von diesem Motto - Ergic nennt es «Reflex», was die Equipe in der Winterpause mit zehn Punkten Rückstand zur Aufholjagd anspornte. Der Captain fühlt eine «positive Anspannung» und sagt dies locker und leicht. Vorbei die Herbstzeit, als er mit dem Trainer Christian Gross schwierige Sitzungen («Wie weiter?») abhalten und in der Stadt kritische Voten dulden musste. Er meint, weitherum sei der Glaube an den Titel verloren gewesen, «das ist normal», doch Ergic hielt ihn aufrecht. Mit einem 3:0 gegen YB startete der FCB in das neue Fussballjahr; danach kletterten die Basler Stufe um Stufe empor, begleitet vom stetig wachsenden Selbstvertrauen. Ergic sagt etwa, der FCB sei «sicher nicht schlechter» als der FCZ; er erinnert an den Fall Muntwiler (zwei Forfait-Pluspunkte für den FCZ) und fände es «unfair, wenn wir mit einem Punkt Rückstand Zweiter würden». Das sind Worte eines Spielers, der sich den kurzfristigen Zwängen der Branche unterwirft. Doch Ergic, der Nach- und Vordenker, sagt auch, langfristig gesehen freue er sich darüber, dass «Team, Klub und Fans» nach dem «Blackout» (Ergics Wort) vom 13. Mai wieder zusammengewachsen seien. «Wir sind eine Einheit. Und wir sollten dies bleiben - unabhängig vom Erfolg.»
Geburtstagsfest - und Meisterfeier?
Fredy Bickel. Der FC Zürich geniesst Asyl auf dem Kunstrasen der Maladière in Neuenburg. 400 Franken hat Bickel eingesteckt, um Xamax den Personalaufwand zu vergüten, «falls jemand das Geld an Ort und Stelle eintreiben will». Es sieht nicht danach aus, eher nach Freundschaftsdienst. Gérard Castella, der Xamax-Trainer, sitzt auf der Tribüne und unterhält sich mit dem Kollegen Favre. Bickel, der Sportchef des FCZ, lehnt sich an ein Geländer im Kleinstadion und schaut dem Training zu. Es ist heiss in der Westschweiz, Bickel legt die Jacke über seine Unterarme. Am Samstag hat er Geburtstag. 42 Jahre alt wird er. Doch seine Gedanken sind woanders. Fast niemand traue dem FCZ einen Sieg gegen YB zu, sagt jemand. «Ich weiss», antwortet Bickel. «Doch nur wir können am Samstag Meister werden; das weiss die Mannschaft. Schade, hat sie nicht schon früher daran gedacht.» Zum Beispiel damals, als der FCZ den 10-Punkte-Vorsprung Stück für Stück aus der Hand gab, bis auf eine einzige Einheit. Vermutlich wird es am Samstag bei nur einer Feier bleiben - seinem Geburtstagsfest. Bickel hat alle Angestellten prophylaktisch angewiesen, auf sämtliche Meisterfeier- Vorbereitungen zu verzichten.
Harte neue Welt
Christian Gross. Er ist gutgelaunt. Typisch Gross, irgendwie. Wenn andere angespannt sind, gibt sich der Trainer des FC Basel erholt. Und umgekehrt. Vielleicht gründen Schalk und Heiterkeit in einem Schauspiel. Vielleicht auch im Wissen, dass den FCZ in Bern eine schwierige Aufgabe erwartet. Als «offene Partie» bezeichnet Gross YB - FCZ. Erinnerungen werden wach an den Moment, als der FCB in Bern die vorzeitige Meisterfeier verpasste. Christian Gross, spielt YB heuer erneut eine entscheidende Rolle? «Kommt darauf an, für wen.» Gross lächelt. Gewiss, auch der FCB könnte noch über YB stolpern, am allerletzten Super-League-Abend nächsten Donnerstag. Ans Scheitern denkt Gross freilich nicht - der Fokus auf den nächsten Gegner, den FC Luzern, verbietet dies, vielleicht auch die Selbstsicherheit. Gross führte Basel in den letzten Wochen in ersehnte Höhen zurück. Die Aufholjagd verschafft Respekt, und es scheint, der FCB sei ohnehin schon moralischer Meister. Der Riese ist wieder in Fahrt, die nächste Saison kann kommen - ist es, ketzerisch überlegt, nicht egal, ob Basel 2007 überhaupt Meister wird? Gross lächelt nicht und sagt: «Der Zweite interessiert keinen. Die Welt ist noch eine Spur härter geworden mit allen.»
«. . . dann sollen sie auf mich losgehen»
Gökhan Inler. Jetzt also auch er. Zuerst unterschrieb Blerim Dzemaili einen Vertrag mit Bolton. Dann wusste plötzlich Xavier Margairaz (am Samstag gegen YB weiterhin verletzt) nicht mehr, wo ihm der Kopf stand, weil das Ausland lockte. Und jetzt liebäugelt auch Inler, der Dritte des einstigen Erfolgsmittelfelds, mit einem Transfer, Udinese soll es sein. Ausgerechnet jetzt. Wie Margairaz musste sich auch der 23-jährige Schweizer Nationalspieler für seine temporäre Geistesabwesenheit im Meisterrennen Kritik gefallen lassen. Inler aber glaubt, er habe sich nichts vorzuwerfen, «aber wenn sie wollen, dann sollen sie auf mich losgehen». Er gebe die Antwort auf dem Platz, wie schon im letzten Spiel gegen Luzern. Den erhöhten Druck bezeichnet Inler routinemässig zwar als «Herausforderung». Eine Herausforderung, «die aber nicht nötig gewesen wäre, wenn wir zuletzt nur ein bisschen konstanter gewesen wären». Ein wenig Reue liegt in seinen Worten, «doch wir können es immer noch schaffen». Er sagt es und scheint dabei ein wenig zu staunen. Und wo spielt Inler in der nächsten Saison, wenn das Staunen vorbei ist? Bickel denkt nach und sagt, er habe «kein gutes Gefühl».
Eitel Sonnenschein
Bernhard Heusler. Der Vizepräsident des FC Basel sinniert über die Zahlen 11 und 12. Vor dem ersten Spiel vor der wieder geöffneten Muttenzer Kurve - «unserem zwölften Mann» - sei der Rückstand gegenüber dem FCZ elf Punkte gross gewesen. Seither habe der FCB auf dem Feld zwölf Punkte (minus zwei Muntwiler-Punkte) gutgemacht und 2007 elf Spiele gewonnen. «Und nächste Woche könnten wir zum zwölften Mal Meister werden.» Heusler dürfte zu den Personen gehört haben, die den Glauben an die Mannschaft und den Trainer konservierten. So manche behaupten nun, «sie hätten's immer gesagt, der FCB kehre zurück. Doch warum konnte ich mich noch vor wenigen Monaten vor Schwarzmalern kaum wehren?» Die Frage ist rhetorischer Natur - und nicht nachtragend zu verstehen. Heusler sagt, wer im Fussball auf Kritik von aussen beleidigt reagiere, sei am falschen Ort.
In Basel scheint die Sonne. Im FCB auch. Herr Heusler, gleiche Frage: Ist es nicht egal, ob der FCB überhaupt Meister wird? «Das kann ich nicht so sehen. Es wäre schon philosophisch - etwa: Der Weg, die Aufholjagd ist das Ziel. Was 2007 bisher geschah, ist für den Klub unglaublich wertvoll. Doch aus sportlicher Sicht kann an diesem Punkt noch nicht das Ende sein.» fcl./bsn.