ganz übel

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Die falsche Heldin
Von Julia Jüttner
Menschen bewunderten sie, mochten sie, hörten ihr zu: Die Amerikanerin Tania Head erzählte oft, wie sie am 11. September aus dem brennenden Südturm des World Trade Center entkam. Sie führte Besuchergruppen über Ground Zero, alle lauschten ihrer Geschichte. Doch die war frei erfunden.
New York - "Was ich erlebt habe, werde ich nie vergessen." Ein Satz, den man von Tania Head in den vergangenen Jahren oft hörte. Die rundliche blonde Frau mit den Pausbacken und der sanften Stimme rührte die Besuchergruppen des Ground Zero mit ihrer Geschichte. Tania Head, so erzählte sie es, war eine 9/11-Überlebende.
Unermüdliche schilderte sie, wie sie den 11. Septembers 2001 erlebt und überlebt hatte. Wie sie in der 96. Etage des WTC-Südturms bei Merrill Lynch arbeitete. Wie sie auf Anweisungen von Sicherheitskräften nach unten zu gelangen versuchte, während der Nordturm bereits brannte - und wie sie um das Leben ihres Verlobten Dave bangte, der sich zu diesem Zeitpunkt dort im 100. Stock aufhielt.
Sie sei nur bis zur 78. Etage gekommen, erzählte sie in den zweistündigen Ground-Zero-Führungen wieder und wieder. Dann kam der Einschlag der Maschine United Airlines 175. "Wir konnten das Dröhnen der Düsentriebwerke noch hören", sagte Tania Head. Oder: "Überall Tod, Zerstörung, aber ich sah auch Hoffnung."
Ihr Leben verdanke sie dem selbstlosen Welles Remy Crowther. Der 24-jährige Feuerwehrmann, der tatsächlich im Südturm mehreren Menschen das Leben rettete, indem er sie zu den Treppen führte, die noch nicht zerstört waren, habe auch ihr geholfen, behauptete sie. Er habe ihre brennende Kleidung gelöscht, bevor sie die restlichen 3354 Stufen nach unten rannte. Crowther starb, auch ihr Verlobter Dave, so Tania Head, kam in den Trümmern um.
Alles Lüge. Tania Head hat diesen Teil ihres Lebens frei erfunden, berichtet die "New York Times". Eine Tania Head habe nie für Merrill Lynch gearbeitet, wird ein Firmensprecher zitiert. Die Familie und Freunde von Dave, der tatsächlich im Nordturm ums Leben kam und mit dem Tania Head verlobt gewesen sein will, sagen, sie hätten den Namen der Frau nie gehört. Eine Beziehung der beiden halten sie für unmöglich.
Ihr einziger Kommentar: "Ich habe nichts Illegales getan."
In den letzten Wochen hatte die "New York Times" sich um ein Interview mit Tania Head bemüht, weil sie immer wieder besonders ergreifend von der Tragödie erzählt hatte. Doch als die Journalisten sie baten, Details preiszugeben, die ihre Erlebnisse bestätigen, ließ sie auf einmal drei vereinbarte Interviewtermine platzen.
Zu den Vorwürfen sagte sie der Zeitung am Telefon: "Ich habe nichts Illegales getan." Die Führungen hat Tania Head ehrenamtlich gemacht, auch finanzielle Unterstützung des Staates als 9/11-Opfer hat sie nicht bekommen. Ihre Anwältin Stephanie Furgang Adwar teilte der "New York Times" via E-Mail mit, weder sie selbst noch ihre Mandantin wollten den Fall kommentieren.
Im Jahr 2004 war Gerry Bogacz, einer der Gründer des "World Trade Center Survivors' Network", auf Tania Head aufmerksam geworden, weil sie eine Selbsthilfegruppe für Überlebende gegründet hatte. Er bat sie, sich beim "Network" zu engagieren. Schnell brachte es Tania Head zur Vorsitzenden der Organisation. Mitglieder sagen, Head habe in den drei Jahren der Zusammenarbeit die Überlebenden gut repräsentiert, der Organisation ein Gesicht und eine Stimme gegeben.
Jetzt fühlen sich die Kollegen verraten. "Tania Head gehört nicht mehr zu unserer Organisation", sagt Elia Zedeno vom Network. "Es ist für uns alle ein gewaltiger Schock, nicht nur als Organisation - auch als Freunde."
"Sie hat mir meine Zeit, aber auch meine Seele gestohlen"
"Ich habe ihre Geschichte immer wieder gehört", sagte Janice Cilento, Sozialarbeiterin und Mitglied des Vereins, dem Sender "ABC News". "Ich war immer für sie da, wenn sie jemanden brauchte, der ihr zuhört - auch wenn es morgens um drei Uhr war. Sie hat mir meine Zeit, aber auch meine Seele gestohlen." Es habe Betroffene gegeben, berichtet Cilento, die sich nicht getraut hätten von ihrem eigenen Trauma zu reden, weil Tanias Erfahrungen so extrem waren. "Sie widmeten ihr Zeit, um ihr zu helfen, dabei brauchte sie gar keine Hilfe."
Teil ihrer "Eigentherapie" war auch, dass sich Tania Head dem "Tribute W.T.C. Visitor Center" anschloss und Besuchergruppen über Ground Zero führte. "Momentan sind wir nicht in der Lage, die Wahrhaftigkeit von Tania Heads Schilderungen zu bestätigen", gab der Verein bekannt.
Ihre Kollegen hätten die Narben und Wunden an ihrem Arm gesehen, von denen Tania Head sagt, sie stammten vom 11. September, schreibt die "New York Times". Von ihrem Leben vor dem 11. September 2001 wissen sie nicht viel.
Mal erzählte Tania Head, ihr Vater sei Diplomat gewesen. Dann, sie habe an den Eliteuniversitäten Harvard und Stanford studiert, mit Abschluss. Nach Informationen der "New York Times" hat jedoch keine Tania Head eine der Schulen besucht.
Sie habe als Finanzbeamtin in Amerika, aber auch in Großbritannien, Argentinien, Frankreich, Singapur und Holland gearbeitet, gab sie einmal in ihrem Lebenslauf an. Dann berichtete sie, sie sei nach dem Tsunami 2004 nach Thailand gereist und nach Louisiana, nachdem dort der Hurrikan Katrina gewütet hatte - beide Male, um vor Ort ihre Hilfe anzubieten.
"Es wäre unsensibel, ihre Angaben zu überprüfen"
Jefferson Crowther, der Vater des toten Feuerwehrmannes, der auch Tania Head das Leben gerettet haben soll, berichtet "ABC News", er habe Head vor einem Jahr persönlich kennengelernt, aber zu diesem Zeitpunkt noch nichts von den Zweifeln an ihrer Geschichte gewusst. "Diese Frau schien uns glaubhaft und ehrlich." Außerdem: "Es wäre unsensibel und gefühllos gewesen, ihre Angaben zu überprüfen oder nachzufragen."
"Es ist verstörend und unfassbar traurig", sagte Sally Regenhard zu den Enthüllungen über Tania Head. Regenhards 28 Jahre alter Sohn Christian kam bei den Anschlägen ums Leben.
Tania Head posierte für Fotos mit New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg und dessen Vorgänger Rudolph Giuliani, ließ sich mit anderen Überlebenden ablichten.
Eine der anrührendsten Episoden, die Tania Head schilderte, ging so: Ein Mann, dessen Körper schon in Flammen gestanden habe, habe ihr kurz vor seinem Tod im Südturm seinen Ehering anvertraut. Mit der Bitte, sie möge ihn seiner Frau geben, wenn sie es schaffen sollte, heil herauszukommen. Monate später habe sie ihr Versprechen eingelöst, erzählte sie. Die Identität des Mannes und seiner Witwe aber behielt Tania Head für sich. Aus Taktgefühl.