Die Schlimmsten trifft der Bannstrahl

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dongga
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Die Schlimmsten trifft der Bannstrahl

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«Tages-Anzeiger» vom 15.12.2004, Seite 10

Die Schlimmsten trifft der Bannstrahl

Von Peter Nonnenmacher, London

So recht mögen die britischen Klubs dem Frieden im Lande noch nicht trauen. Auch die britische Regierung hütet sich, begreiflicherweise, vor allzu triumphalen Tönen. Zu bitter sind die Erfahrungen einer langen, leidvollen Vergangenheit gewesen. Allzu präsent ist die Geschichte der Gewalt, die Woche für Woche und Jahr für Jahr die Fussballfreuden des Vereinigten Königreichs getrübt hat.

Und doch: Eine gewisse Zuversicht ist Ministern, Polizeipräsidenten und Klubvorsitzenden auf der Insel anzumerken in diesem Winter. Nicht nur, weil die Europameisterschaft des vergangenen Sommers einigermassen über die Bühne ging, was das Verhalten der nach Portugal gereisten England- Fans betrifft. Auch die zuletzt veröffentlichten heimischen Polizeistatistiken weisen auf einen Trend, der relativen Fortschritt, vielleicht gar ruhigere Zeiten verspricht.

Die Zahl der Verhaftungen bei britischen Fussballspielen ( 4400 in der vorletzten Saison) hat sich in der Saison 2003/ 2004, immerhin um zehn Prozent verringert. Von einer « ermutigenden » Entwicklung spricht die zuständige Staatssekretärin Caroline Flint. An der Basis selbst machen die Klubs positive Zeichen aus; sie glauben, mit langjährigen Aufklärungskampagnen den Rassismus und die sektiererischen Rivalitäten eingedämmt zu haben. Man sei dabei, den britischen Fussball zum Familiensport, zum unbeschwerten Freizeitvergnügen zu machen, behaupten die Kluboberen.

« Patriotismus » und Alkohol

Keine Hooligans also mehr auf den Fussballrängen der Insel? Keine fliegenden Bierflaschen, keine Messerstechereien im Schatten der Stadien? Nun u2013 ganz so überschwänglich ist doch niemand. Vor allem auf nationalem Niveau knistern unter der Oberfläche weiterhin latente Aggressionen und antieuropäische Ressentiments, wie sie auch im politischen Raum Teile der englischen Gesellschaft charakterisieren. Dass diese Art des « Patriotismus » bei angemessener Alkoholisierung stets noch zum Ausbruch drängt, ist den Ordnungshütern im Königreich durchaus bewusst und den offiziellen Repräsentanten des Inselisolationismus, den Nadelstreifenpolitikern der Konservativen und der Unabhängigkeitspartei, entsprechend peinlich.

Auch auf lokaler Ebene sind die Gewalttätigkeiten, die sich an Fussballspiele knüpfen, nicht gerade spurlos verschwunden. Die einst berühmt- berüchtigten « Firmen » u2013 militante Fan- Organisationen wie Chelseas « Headhunters » und Millwalls « Bushwhackers » , West Hams « Inter City Firm » und Cardiffs « Soul Crew » u2013 existieren auch heute noch. Und bei gewissen brisanten Lokalderbys oder auch beim gelegentlichen Zusammenprall in einer Autobahnraststätte fliegen schon mal die Fäuste, müssen im örtlichen Krankenhaus ein paar Betten bereitgestellt werden.

« Ein anhaltendes, wiewohl kleines Problem mit Unruhen an der heimischen Front » bestehe leider weiter, räumt Staatssekretärin Flint ein. Konsequent will die Regierung darum auch fürderhin Massnahmen finanzieren und Gesetzesinitiativen unterstützen, die der Fussballgewalt zu Leibe rücken, ohne friedfertigen Fans den Spass an der Sache zu verderben.

Millionen Pfund hat man die letzten Jahre bereits investiert, um den Makel der « englischen Krankheit » endlich loszuwerden. Geschockt von den grossen Stadionkatastrophen der Achtzigerjahre, von Heysel bis Hillsborough und entnervt von den blutigen Feldzügen bierbäuchiger England- Pulks in den Strassen Europas noch in den Neunzigern, hat man allüberall die Sicherheit verschärft, « Erziehungskampagnen » eingeführt, Stadien radikal umgebaut, Kontakte zwischen Klubs und Gemeinden verstärkt, Überwachungskameras installiert, den Kartenverkauf neu zu organisieren versucht.

Der 1997 ins Amt gewählten Labour- Regierung von Tony Blair war es ein besonderes Anliegen, ihre Kompetenz in Sachen Recht und Ordnung unter Beweis zu stellen und die Fussballgewalt drastisch zu mindern u2013 wobei die ersten Aktionen der Blair- Riege noch etwas unbeholfen daherkamen. Der Innenminister der ersten Blair- Jahre, Jack Straw, rief zum Beispiel « Ehefrauen und Lebenspartner von gans » dazu auf, ihre gewalttätigen Männer bei der Polizei zu verpfeifen. Premierminister Blair appellierte an Firmenchefs, Beschäftigte, die bekanntermassen als Hooligans ihr Unwesen trieben, umgehend zu entlassen.

Systematischer begann die Regierung gegen Fussballgewalt vorzugehen, als im WM- Jahr 1998 englische Schlägertrupps in der südfranzösischen Stadt Marseille Mobiliar zertrümmerten und im Zusammenspiel mit deutschen Rowdies bei der Europameisterschaft im Jahr 2000 im belgischen Charleroi Chaos anrichteten. Auch einzelne heimische Tumulte, wie im Februar 2001 beim Spiel Derby County gegen den Rivalen Sunderland, trugen zur Forderung nach « effektiven Massnahmen » bei.

Als effektivste Massnahme erwies sich dabei das Zutrittsverbot für unliebsame Besucher zu Fussballstadien u2013 ein Verbot, das sich via Hafen- und Flughafenkontrollen zum Reiseverbot ausbauen liess und das mit polizeilicher Überwachung verurteilter und mutmasslicher Hooligans verbunden war. Englische und walisische Amtsgerichte wurden von der Regierung in die Lage versetzt, von der Teilnahme an Spielen oder von der Reise ins Ausland solche « Fussballfans » abzuhalten, die entweder im Zusammenhang mit Fussballdelikten schon vorbestraft waren oder die sich in den Augen des Gerichts wegen ihres Verhaltens in der Vergangenheit als Unruhestifter erwiesen hatten.

2600 Namen auf der schwarzen Liste

Mittlerweile wird diese Massnahme weithin mit beträchtlichem Erfolg genutzt. Nach anfänglichem Zögern haben sich die Amtsrichter offenbar entschlossen, dem Fingerzeig der Politiker zu folgen. Rund 2600 Personen unterliegen in England und Wales in dieser Saison dem amtlichen Bannstrahl u2013 fast um die Hälfte mehr als noch im Vorjahr. Eine lange Namens- und Fotoliste, von Polizei und Klubs gemeinsam verwaltet, wird allwöchentlich um ein paar Namen verlängert. Wie wirkungsvoll « der Bann » ist, bestätigen Leute wie Everton- Fan Andy Nicholls, der der Gewalt inzwischen abgeschworen hat, einstweilen aber noch auf der Liste steht. « Bei jedem Everton- Spiel » , berichtete Nicholls jüngst der BBC, « muss ich mich mindestens zehn Meilen vom Spielort entfernt aufhalten.

An Spieltagen muss ich mich in einer Polizeistation melden. Jedes Mal, wenn ein britisches Team im Ausland spielt, muss ich mich ebenfalls melden und ausserdem meinen Pass abliefern. Von meiner Erfahrung her ist dieses System schon sehr, sehr effizient. » Auch die offiziellen Fanklubs haben sich, nach anfänglichen Zweifeln, an die neue Praxis gewöhnt. « Während wir anfangs dagegen waren, müssen wir jetzt sagen, dass die Sache offenbar funktioniert » , heisst es beim Bund der Fussballfans, der Football Supporters Federation. Bedenken bestünden lediglich « in einzelnen Fällen » , in denen « ohne ausreichendes Beweismaterial und ohne Berufungsprozeduren » Fans auf der schwarzen Liste landeten.

Um solche Fälle, die sich mit der Zahl der registrierten « schwarzen Schafe » zwangsläufig mehren, wird zwischen Klubs, Gerichten und Polizei gelegentlich gestritten. Ein generelles Recht auf Bewegungsfreiheit haben die vom Bann Getroffenen aber beim höchsten Appellationsgericht des Königreichs nicht einklagen können. Im Grunde, meint der Vorsitzende der Supporters Federation, Malcolme Clarke, sei die Idee eines Hooligan- Banns in den Augen friedfertiger Fussballfans im Grunde ja auch durchaus akzeptabel. « Was Fussballfans ganz allgemein empört, sind Polizeistrategien, die sich gegen die Fussballgemeinde als Ganze richten » , sagt Clarke. « Insofern diese neuen Massnahmen offenbar gezielt gegen Leute gerichtet sind, die mit grosser Wahrscheinlichkeit Unruhe stiften wollen, sind meiner Meinung nach die meisten Fans damit eher einverstanden als mit manchen anderen Methoden, die man hier und da schon angewendet hat. » Voll eingespielt haben sich auf die Bannmassnahmen jedenfalls die Polizeiverbände des Königreichs, denen das Innenministerium voriges Jahr fünf Millionen Pfund ( elf Millionen Franken) an zusätzlichen Geldern, zur Bekämpfung von Fussballgewalt, hat zukommen lassen. Die Extragelder werden für die erforderlichen Überwachungsaufgaben und Personalkontrollen, aber auch für Undercover- Operationen im Fanlager und angeblich für die Anwerbung von « Fussballspitzeln » eingesetzt.

Rigorose Kontrollen und Nachforschungen hätten in der Tat schon äusserst positiv zu Buch geschlagen, urteilt der Verband der britischen Polizeichefs. Mit engen Kontakten vor allem zu « Problemklubs » sucht man die Bemühungen der betreffenden Vereine um zunehmende Kontrolle über Hooligans zu unterstützen.

Die Nähe zu den Klubs soll der Polizei dabei nicht nur zu Informationen über mögliche Hooligans verhelfen, sondern generell auch Konfliktpotenzial entschärfen, das in vergangenen Jahren oft zu einer zusätzlichen Verhärtung der Fronten geführt hat. Mit ihrer Politik der « harten Hand » gegenüber der Masse der Fussballfans habe die Polizei in der Vergangenheit den Rabauken im Lande nämlich eher noch zusätzliche Rekruten verschafft, erklärt der Fussballpsychologe Clifford Stott von der Universität Liverpool.



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ScharfeKontrollen im Stadion und harte Strafen gegen Hooligans werden in Grossbritannien mit Aufklärungskampagnen kombiniert.
BILD AP/ KEYSTONE

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Das Vertrauen der Fans gewinnen

« Das Ganze hatte schlicht den Effekt, dass normale Fans in einen Konflikt mit der Polizei verwickelt wurden » , meint Stott. Stattdessen müssten sich die Ordnungskräfte künftig bemühen, « mit zurückhaltenden Massnahmen und positivem Engagement mit den Fans » deren Vertrauen zu gewinnen und Spannungen abzubauen.

In einigen englischen Städten hat man diese Anregung aufgenommen und sucht nach praktikablen Lösungen für das ungelöste Problem. Birmingham City zum Beispiel hat eine Übereinkunft mit der Polizei getroffen, derzufolge Klub und Behörden jede einzelne Anschuldigung oder Verhaftung gemeinsam untersuchen u2013 parallel zu den amtlichen Verfahren, die von der Polizei und den Gerichten in Gang gesetzt worden sind.

Auch zahlreiche Klubinitiativen wie Antirassismus- und Antidrogenkampagnen oder freies Fussballtraining für Ju- Hooligendliche in vernachlässigten Stadtteilen wollen dem Hooliganismus so gut es geht an die Wurzeln. In Brentford etwa sollen bis zu 10000 Kinder Gratistraining erhalten u2013 und gleichzeitig über Vandalismus aufgeklärt werden.

In Cheltenham versucht man, mit multikulturellen Veranstaltungen Ressentiments und Vorurteile abzubauen. In Ipswich mühen sich die Gemeinde und der Klub einträchtig um Massnahmen gegen Jugendkriminalität. Stoke City experimentiert mit Sportveranstaltungen unter mobilem Flutlicht, zu dem jeweils nach Schulschluss der Verein und die Polizei einladen.

Anderswo, wo traditionelle Rivalitäten grosser Städte oder unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen Probleme bereiten, sucht man in freiwilliger Kooperation die Lage zu entschärfen. Selbst die bittersten aller Erbfeinde, Celtic und Rangers im schottischen Glasgow, mühen sich dieser Tage ( mit etwas Hilfe aus Nordirland) um einen Abbau ihrer über die Jahrzehnte lieb gewonnenen Feindbilder.

Von den Stadien in die Innenstädte

Schwierig wird es für die Klubs allerdings, wenn sich die Unruhen von den Stadien weg in Richtung der Innenstädte, Bahnhöfe, Raststätten bewegen: Eine solche Bewegung hat dank Bann und Kameraüberwachung der grossen Stadien in den letzten Jahren offenkundig stattgefunden.

Dass Hooligans, die sich einem bestimmten Klub zuordnen, mit gleich Gesinnten des anderen Lagers per Anruf Schlägereien auf « neutralem » Boden vereinbaren, ist der Polizei wohl bekannt; auch, dass immer mehr Krawallwütige von der Premiership, der obersten Liga, auf die unteren Ligen ausweichen, wo die Kontrollen laxer sind und wo die Polizei schwächer vertreten ist.

Die « Yobs » freilich, die zunehmende Zahl bürgerlicher Rowdys, die sich am liebsten in kleinen, knallharten Kampfverbänden organisieren, haben ohnehin kaum noch etwas gemein mit ihren Vorfahren bei Massenraufereien und Krawallen der Vergangenheit im proletarischen Umfeld der alten Fussballgemeinden. Im Grunde, meinen viele Beobachter der Entwicklung auf der Insel, habe sich die Gewalt der Hooligans längst verselbstständigt und mit Fussball überhaupt nichts mehr zu tun.

Den Behörden bietet diese Erklärung wenig Trost. Vorerst wird einfach weiter mit dem Bann belegt, wer den relativen Frieden in britischen Stadien gefährden könnte.
Hooliganismus ist in England weiterhin virulent. Die Klubs und die Regierung versuchen nicht allein mit repressiven Mitteln, das Problem in den Griff zu bekommen.
Die « harte Hand » der Polizei gegen alle Fans hat die Fronten oft noch verhärtet.

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