Der Schlussverkauf
In vier Tagen ist Transferschluss. Vermittler und Sportchefs rotieren. Doch trotz grossem Angebot ist es schwierig, den richtigen Spieler zu finden. Von Christine Steffen
Noch vier Tage Hektik. Bis zum 31. August, dem Ende der internationalen Transferperiode, können sich die Schweizer Fussballklubs mit Personal aus dem Ausland verstärken. Vier Wochen lang sind noch Wechsel innerhalb der Schweiz möglich, dann legt sich der Sturm bis im Januar - und der Handel geht von neuem los. In der Schweiz ist mit Transfers wenig zu verdienen, weil sowohl das Lohnniveau als auch die Ablösesummen vergleichsweise tief sind. Trotzdem versuchen unzählige Agenten, ihre Klienten in letzter Minute unterzubringen. Wie im Schlussverkauf werden den Sportchefs Spieler angeboten; am Telefon, per E-Mail, Fax oder per SMS. «Interesse an Ailton?», wurde Ruedi Zbinden, Scout im FC Basel, in einer Kurzmitteilung ohne Namen des Absenders gefragt. «Gehalt?», fragte er zurück. Als ein Betrag in der Höhe von mehreren Millionen für den vom HSV ausrangierten Brasilianer genannt wurde, verabschiedete sich Zbinden von den anonymen Anbietern.
Kein Juwel verpassen
Der FC Basel ist eine beliebte Adresse, will man kurz vor Ladenschluss noch einen Deal machen. Einerseits traut man dem Krösus nach wie vor einen Transfer zu, der für den Sportler wie den Berater lukrativ ist, auch wenn der FCB nicht zu den grossen Sprüngen fähig ist wie zu Champions-League-Zeiten. Andererseits wittern die Agenten nach dem Basler Fehlstart ihre Chance, da sie vermuten, dass sich der Klub verstärken muss. Zbinden arbeitet am liebsten mit einem Stamm von Agenten, die er kennt; trotzdem schaut er jede Offerte an - niemand will riskieren, ein Juwel zu verpassen.
Durch sein professionelles Scouting ist der FCB weniger auf Vorschläge von Agenten angewiesen als andere Schweizer Klubs. Zbinden reist viel und verwaltet eine Reihe von Spielerlisten, auf denen er Stärken und Schwächen jedes Einzelnen vermerkt. Entsteht auf einer Position ein Loch, kann er rasch reagieren. Nicht von langer Hand vorbereitet war der Transfer von Delron Buckley. Als Zbinden vor drei Wochen in Brasilien weilte, telefonierte der Agent, mit dem er zusammen war, zufällig mit Dortmunds Sportchef Michael Zorc. «Frag ihn, ob er nicht einen für links im Mittelfeld hat», forderte Zbinden den Agenten auf. Zorc bot Buckley an, Trainer Gross und Zbinden trafen ihn in Zürich, zogen Erkundigungen bei ehemaligen Mitspielern und Trainern ein und erzielten nach zähem Ringen mit Dortmund schliesslich eine Einigung für einen Leihvertrag. «Eigentlich», sagt Zbinden, sei die Transfertätigkeit des FCB damit abgeschlossen.
Allerdings müsse man überlegen, ob es richtig gewesen sei, Mittelfeldregisseur Matias Delgado nicht zu ersetzen. Ob noch reagiert werde, stehe zur Diskussion.
Überlastete Combox
Der FC Zürich hat vermeldet, dass er noch einen bis zwei Spieler sucht, was sofort zu hektischer Aktivität auf Vermittlerseite führte. Weil zudem bekannt ist, dass der Transfer Alhassane Keitas rund 4 Millionen Franken in die Kasse des Meisters gespült hat, wird Sportchef Fredy Bickel mit Angeboten überhäuft. Zweimal pro Tag löscht er alle Nachrichten auf seiner vollen Combox. So habe er es noch nie erlebt, sagt Bickel; selbst der Assistenztrainer werde von Agenten angegangen. Bickel sagt, die Berater seien ihm grundsätzlich egal, er konzentriere sich allein auf den Spieler. Einen festen Stamm pflege er nicht, mit einigen Agenten arbeite er aber nach schlechten Erfahrungen nicht mehr zusammen. Er kritisiert die Praktiken vieler Vermittler: Von zehn Spielern würden ihm sechs bis zu viermal von verschiedenen Beratern angeboten. Weiss man wie Bickel jeweils genau, was für einen Spielertyp man sucht, der zudem charakterlich ins Team passen soll, reduziert sich die Auswahl massiv.
René Weiler, Sportchef im FC St. Gallen, erwartet von den Agenten, dass sie gezielt Spieler anbieten, die den spezifischen Anforderungen entsprechen. Ihn stören Agenten, die einen Preis für einen Spieler festlegen und diesen reihum anpreisen, bis jemand bereit ist zu zahlen. Von den Beratern verlangt er, dass sie sowohl über die Bedürfnisse als auch die finanziellen Möglichkeiten, die Philosophie und das Umfeld des Klubs im Bild sind.
Christian Stübi vom FC Schaffhausen will, dass die Spieler wissen, was sie erwartet. Im Fall des Tabellenletzten heisst dies laut Stübi: «Kein Kunstrasen, alte Garderoben, wenig Zuschauer.» Kein Traumjob - trotzdem muss Stübi zweimal am Tag den Akku seines Handys aufladen, weil «jeder dem FC Schaffhausen einen Weltmeister verkaufen will». Stübi hat kein Budget für Scouting-Reisen, er ist auf die Berater angewiesen und hört sich alle an. Passt ein Spieler ins Anforderungsprofil, verlangt er eine DVD sowie ein Curriculum und sucht im Internet Spielberichte des Kandidaten zusammen. Ähnlich verfährt Reto Gertschen, Sportchef im FC Thun, der alle Angebote prüft und versucht, den Vermittlern ein Feedback zu geben. Er macht die Erfahrung, dass sich immer mehr «ganz normale Leute» temporär als Vermittler betätigen und jemanden aus dem Verwandtenkreis unterbringen wollen. Viele der Spieler unterschätzten aber das Niveau in der Schweiz.
Die Diskrepanz zwischen den Lobeshymnen der Agenten und der tatsächlichen Qualität der Spieler erschwert die Arbeit der Sportchefs. Zudem bleiben überdurchschnittlich talentierte Fussballer nur so lange in der Schweiz, bis sie ein Auslandangebot erhalten. Schweizer, die in der Super League auffallen, wechseln in eine angesehene Liga, weil sie dort vor grösserer Kulisse ein Mehrfaches verdienen. «Sie fehlen in unserer Meisterschaft», sagt Zbinden. Für sie müsse man Ausländer suchen, wobei Europäer meist nicht in die Schweiz kämen, weil sie eine der grossen Ligen anpeilten.
In der Vergangenheit ist es dem FCB gelungen, südamerikanische Spieler zu engagieren, denen man aufzeigen konnte, dass sich ihnen am Rhein ein gutes Schaufenster bietet. Auch das brauche Überzeugungsarbeit, sagt Zbinden: «Sie wollen lieber sofort nach Spanien.» Noch schwerer haben es die kleineren Super-League-Klubs, die sich gegen die grösseren behaupten müssen. René Weiler sagt, er könne einen Spieler nur verpflichten, wenn dieser merke, dass er in St. Gallen besser aufgehoben sei. Sonst habe er keine Chance gegen YB, GC, den FCZ und Basel.
Relaxen kann Weiler aber auch nach dem 31. August nicht. Er muss sich auf die nächsten Abgänge vorbereiten. Der Winter kommt bald.
Der Weg zur Spielervermittler-Lizenz
Es fällt nicht leicht, im Beratergeschäft die Übersicht zu behalten. Ein Qualitätsmerkmal ist die Fifa-Lizenz. Die Schweiz verfügt über 53 lizenzierte Spielervermittler, von denen allerdings die Mehrheit nicht regelmässig im Markt aktiv ist. Wer eine Fifa-Lizenz erwerben will, muss ein Gesuch an den nationalen Verband stellen. Tritt dieser auf das Gesuch ein, wird der Bewerber zu einer Prüfung im Multiple- Choice-Verfahren eingeladen. Fünfzehn Fragen befassen sich mit den internationalen Regelwerken des Transferwesens, fünf mit nationalen. Für die Prüfung wird eine Gebühr von 5000 Franken erhoben. Wer sie besteht, muss zum Erhalt der Lizenz den «Kodex der Berufsethik» unterzeichnen. Die lizenzierten Spielervermittler sind zum Beispiel dazu verpflichtet, die vom nationalen Verband zur Verfügung gestellten Vermittlungsverträge zu verwenden. (cen.)
quelle:
http://www.nzz.ch/2006/08/27/sp/articleEF1UU.html