Die Fussball-WM als Lernfeld für die EM

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Eckfahne
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Die Fussball-WM als Lernfeld für die EM

Beitrag von Eckfahne »

Gespräch mit Martin Jäggi, Projektleiter Sicherheit Euro 2008 Schweiz

Schweizer Polizeiangehörige stehen zurzeit im Kontakt mit deutschen Polizeistellen mit dem Ziel, die Einsatzkonzepte für die Euro 2008 aufgrund von Erfahrungen an der Fussball-Weltmeisterschaft zu überprüfen. Gemäss Martin Jäggi, Projektleiter Sicherheit Euro 2008, befindet sich die Schweiz mit ihren Vorbereitungen auf dem richtigen Weg.



Lz. Mit Blick auf die Vorbereitung der Fussball- Europameisterschaft (Euro 2008) in der Schweiz und in Österreich vermittelt die jetzt laufende Fussball-Weltmeisterschaft in Deutschland wertvollen Anschauungsunterricht. Verschiedentlich hielten sich denn auch mehr als zwanzig Polizeioffiziere aus den Kantonen Zürich, Bern, Basel- Stadt und Genf, wo die Spiele in zwei Jahren ausgetragen werden, zu Informationsbesuchen bei deutschen Polizeistellen auf, wie der Leiter des Projekts Sicherheit Euro 2008 Schweiz und Kommandant der Kantonspolizei Solothurn, Martin Jäggi, gegenüber der NZZ erklärte.
Breites Spektrum an Risiken

Für die Schweizer Polizeifachleute ging es vor allem darum, die bereits ausgearbeiteten Einsatzkonzepte mit den deutschen Planungsgrundlagen zu vergleichen und im gegenseitigen Gedankenaustausch allfällige neue Erkenntnisse zu gewinnen. Die entsprechenden Berichte werden im August ausgewertet. Den schweizerischen Vorbereitungen liegen zudem Erfahrungen der Fussball-Europameisterschaften zugrunde, die in den Jahren 2000 und 2004 in Belgien und den Niederlanden beziehungsweise in Portugal durchgeführt worden waren. Überdies lieferten die Einsätze zum Schutz des Weltwirtschaftsforums in Davos und des G-8-Gipfels zahlreiche Lehren.

Aufgrund ihrer jeweiligen geographischen Situation arbeiteten die Polizeikorps der vier Schweizer Austragungsorte Detailkonzepte aus, in denen unter anderem auch die für Spiele hohen, mittleren und tiefen Risikos jeweils nötigen Mannschaftsstärken aufgelistet sind. Welche Städte 2008 mit einer hohen Risikostufe konfrontiert sein werden, wird erst nach der Auslosung der Mannschaftsgruppen am 2. Dezember 2007 klar sein. Für Jäggi steht aber jetzt schon fest, dass die Polizei auf militärische Unterstützung in den Bereichen Objektschutz, Logistik, Führungsunterstützung, Luftpolizei und Lufttransport sowie Katastrophenhilfe angewiesen sein wird; dies umso mehr, als es sich auf ein sehr breites Spektrum an Risiken auszurichten gilt, das von Taschen- und Trickdiebstählen über Zwangsprostitution bis zu allfälligen Terroraktionen reicht. Die Dienstleistungspläne der Truppe für das Jahr 2008 tragen diesem Bedürfnis Rechnung.
Ausländische Unterstützung

Vorbereitet wird zudem - im Sinne einer Eventualplanung - eine Unterstützung durch deutsche Polizisten, wie dies bereits in Genf oder in Davos der Fall gewesen ist. Rechtliche Grundlage dafür ist ein bilaterales Polizeiabkommen mit Deutschland. Ein entsprechendes Gesuch müsste gegebenenfalls an das deutsche Innenministerium gerichtet werden. Der Kommandant der Solothurner Kantonspolizei hofft aber, dass die Schweiz ohne deutsche Kräfte für Ordnungsdiensteinsätze auskommen wird. Jäggi gibt sich überzeugt, dass man mit dem Instrument der Interkantonalen Polizeizusammenarbeit voraussichtlich genügend Reserven bilden könne. Hingegen sollen unter anderem mit der jeweiligen Hooliganszene vertraute ausländische Polizeiexperten in der Schweiz zum Zuge kommen. Auch sollen etwa Fangruppen, die aus Deutschland in Sonderzügen anreisen, durch deutsche Polizisten begleitet werden. Auch während der jetzigen Weltmeisterschaft wurden beispielsweise Schweizer Schlachtenbummler auf dem Weg von Zürich nach Hannover durch Zürcher Polizeibeamte begleitet.
Diskussion, Deeskalation, Durchgreifen

Martin Jäggi hat sich selber mehrere Male nach Deutschland begeben, um sich an Ort und Stelle ein Bild von der Polizeiarbeit zu machen. So besuchte er unter anderem das Nationale Informations- und Koordinationszentrum sowie Führungsstäbe in Berlin. Zuvor hatte er eine Übung von Bereitschaftspolizisten aus Baden-Württemberg beim Stadion von Stuttgart beobachten können. Die Arbeit der deutschen Polizei beurteilt Jäggi als ausgesprochen professionell.

Der Grundsatz «Diskussion, Deeskalation, Durchgreifen», den auch die Schweiz beherzigen werde, habe sich im Einsatz bewährt. So wird die Diskussion mit potenziellen Randalierern frühzeitig gesucht, teilweise schon an den jeweiligen Arbeitsorten selber. Und auch im Einsatz werde versucht, die Situation durch differenziertes Vorgehen - auch bezüglich Uniformierung - zu entkrampfen. Wenn dies allerdings nichts fruchte, werde massiv eingeschritten. - In den Augen Jäggis konnten die Umtriebe nach dem Match zwischen Deutschland und Polen rasch unter Kontrolle gebracht werden. Solche Einsätze würden auch Schweizer Polizeikräfte ohne grössere Probleme bewältigen können, meint Jäggi. Das gehöre zum Polizeihandwerk, wie es bei Grossdemonstrationen schon seit vielen Jahren praktiziert werde. Von einem Ausnahmefall könne man wahrlich nicht sprechen.

Ein besonderes Augenmerk werde man hingegen den grossen Arenen, in denen die Spiele über Breitleinwand übertragen werden, schenken müssen. Diese Events absorbierten beträchtliche Polizeikräfte, da auch hier mit Randalierereien zu rechnen sei. Der Betreuung von Fans komme überhaupt erhebliche Bedeutung zu. Man trage sich mit dem Gedanken, Fangruppen, die ihre Eisenbahnzüge verpasst hätten, Notschlafstellen in Zivilschutzanlagen zur Verfügung zu stellen. Damit könne man verhindern, dass solche Personen in den Städten für Unruhe sorgten. In einer ersten Bilanz kommt Jäggi zum Schluss, dass sich die Schweiz vor dem Hintergrund der deutschen Lösungen mit ihrem Sicherheitskonzept grundsätzlich auf dem richtigen Kurs bewegt.

nzz.ch

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