BaZ, 02.06.06
Eine «Hand Gottes» - und kein Fingerabdruck
ZWEI UMSTRITTENE ENTSCHEIDE HABEN «JUBILÄUM»: EIN PLÄDOYER FÜR DIE EINFÜHRUNG DER VIDEO-UNTERSTÜTZUNG IM FUSSBALL
In sieben Tagen beginnt die 18. Fussball-WM. In den 64 Spielen zwischen dem 9. Juni und dem 9. Juli wird «es» garantiert mindestens einmal geschehen: Ein gravierend falscher Schiedsrichterentscheid, und die ganze Welt weiss, dass er falsch war.
Die zwei berühmtesten Entscheide in der 66-jährigen Geschichte der Fuss-ball-WM haben in diesem Jahr so etwas wie ein Jubiläum. Das Wembley-Tor ist zehn Weltmeisterschaften alt, Maradonas «Hand-Gottes-Tor» fünf.
Im WM-Final 1966 zwischen England und Deutschland schiesst Geoff Hurst den Ball an die Latte; der Ball springt zu Boden und in Richtung Fünfmeterlinie. Dort begeht der deutsche Verteidiger Wolfgang Weber wahrscheinlich den Fehler seines Lebens - indem er alles richtig macht und den Ball in Corner köpfelt. Hätte er ihn im Spiel behalten, hätte es wahrscheinlich keinen Unterbruch gegeben, der Schweizer Schiedsrichter Dienst hätte nicht zum Linienrichter Bachramov laufen, dieser nicht auf Tor erkennen können. Hätte, wäre, könnte - niemand konnte wirklich glaubhaft sagen, der Ball sei hinter der Linie gewesen, niemand und nichts: Mit der damaligen TV-Technik lässt sich allenfalls vermuten, es sei kein Tor gewesen. Am Wembley-Tor, einem Entscheid aus dem weltmeisterschaftlichen Mittelalter, wollen wir also nicht rütteln.
Zwanzig Jahre später in Mexiko ist schon alles anders. Von den 114580 Zuschauern sehen geschätzte 100000, wie im Viertelfinal der Argentinier Maradona den Ball gegen England ins Tor faustet; der Schiedsrichter siehts nicht, der Linienrichter auch nicht. Fernsehaufnahmen beweisen den Betrug, auch Fotografen (mit analoger Technik!) haben die Hundertstelsekunde festgehalten (vgl. Bild). Und Maradona hat ihn sogar zugegeben, indem er hinterher sagte, die «Hand Gottes» sei mit im Spiel gewesen. Kein Trost für die betrogenen Engländer; ihnen wäre gedient gewesen, man hätte gleich an Ort und Stelle den Fingerabdruck überprüfen können, den die Hand Gottes hinterlassen hat; das Tor wäre keins gewesen, wäre heute nicht mal eine Zeile Kleingedrucktes in der WM-Geschichte.
Auf dieser Seite wird nie vom «Video-Beweis» geredet, aber sie plädiert insgesamt für die Zuhilfenahme von Video-Bildern im Spitzenfussball, und zwar live. Für die äusserst sparsame Zuhilfenahme.
Es kann nicht sein, dass:
> Technik ein Spiel leitet;
> die drei Feldschiedsrichter abgeschafft werden;
> Mannschaften oder Captains eine Video-Konsultation verlangen dürfen;
> jeder beliebige Entscheid hinterfragt wird. Etwa Outbälle und Zweikämpfe im Mittelfeld.
Es müsste vielmehr so sein, dass:
> der Feldschiedsrichter das Spiel leitet
> an einem Regiepult ein weiterer Schiedsrichter sitzt, der bei Bedarf mit dem Feldschiedsrichter kommunizieren kann (plus technisches Personal);
> vom neuen fünften Schiedsrichter nur straf- oder unmittelbar torrelevante Szenen überprüft werden;
> sich der Charakter des Spiels nicht verändert. Das wird er auch nicht - es wird weiterhin Spiele geben, in denen Videobilder nicht ein einziges Mal zu Hilfe genommen werden müssten. Aber Gott wird seine Hand nicht mehr ungeahndet im Spiel haben dürfen; auch nicht jener GC-Verteidiger, der jüngst im Spiel gegen den FCBasel auf der Torlinie ungestraft mit dem Arm abwehren durfte.
Im Folgenden nennen wir ein Dutzend jener Argumente, die angeblich gegen die Bildunterstützung sprechen, und versuchen sie zu entkräften.
1. Das ist viel zu teuer.
Mit Verlaub: Der Spitzenfussball stinkt geradezu vor Geld.
2. technisch nicht zu machen.
Das war, zugegeben, 1966 noch nicht zu machen. Aber wenn Polarexpeditionen oder Alpinisten ihre Reportagen heute direkt vom Südpol oder vom Everestgipfel ins Internet stellen können, dann werden ein paar Kameras auch ein Fussballspiel so aufnehmen können, dass die Bilder brauchbar sind.
3. Auch Bilder geben keine hundertprozentige Sicherheit.
Das stimmt, ist aber kein Argument. Eine Verbesserung schon nur um ein paar Prozent wäre aber eines. Und Verbesserungen hat der Fussball ja auch immer angestrebt (und erreicht). In der Frühzeit stand mal ein vornehmer Gentleman in schwarzem Anzug und Zylinder am Spielfeldrand oder im Mittelkreis; dann musste er laufen lernen und wurde selbst zum Sportler, später kamen die Linienrichter hinzu, später wurden sie zu Assistenten, heute kommunizieren die Assistenten mit dem Schiri. Nichts Hundertprozentiges, zugegeben, aber immer wieder Verbesserungen.
Oder ein Vergleich zum «richtigen Leben»: kein Zweifel, dass Autoraser ermittelt und aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Man wird sie nie alle erwischen, dennoch denken wir nicht daran, die Kameras wieder abzubauen und die Kontrollen einzustellen.
4. UNSERE Schiedsrichter sind Gut genug.
Auch das mag stimmen. Aber das menschliche Auge ist es oft nicht; ein Linienrichter müsste oft geradeaus (Position) und gleichzeitig 20 Meter nach links (Ballabgabe) blicken können. Bei der Ballabgabe mag ihn vielleicht noch das Gehör unterstützen, insgesamt aber wird er durchs heutige Tempo oft überfordert; ein Angreifer und ein Verteidiger, die sich in entgegengesetzter Richtung bewegen, können von «gleicher Höhe» innerhalb von nur zwei Zehntelsekunden schon drei Meter voneinander entfernt sein.
5. Es ist eigentlich gar kein Thema.
Ganz im Gegenteil: es ist von Spieltag zu Spieltag ein Thema. Schon der TV-Livereporter sagt: «Da bin ich auf die Wiederholung gespannt». Der Trainer sagt nach dem Spiel: «Ich muss mir erst noch die Aufzeichnung ansehen.» Der Penaltyschinder sagt: «Man wird dann schon sehen, dass er mich berührt hat.» Im TV-Studio laufen x langsame Wiederholungen aus x Perspektiven, die den Schiedsrichter blamieren (und ihm selten Recht geben). Die schreibenden Journalisten rufen auf die Redaktion an und fragen: «Wars Offside - wer machte den Stellungsfehler - müsste ihn der Torhüter halten?» Alle, alle haben sie die Video-Unterstützung für sich schon eingeführt, nur dem wichtigsten Zweck wollen sie sie nicht gönnen: der Correctness.
6. Hört auf zu schräubeln - das Regelwerk ist ausgereift.
…aber kleine Korrekturen können dem Spiel immer wieder guttun. Wie die Rückpassregel, wie die sechs Sekunden für den Goalie. Wie die Verwendung von mehreren Bällen.
7. Das dauert doch viel zu lange.
Nehmen wir noch einmal das Handspiel des GC-Verteidigers gegen Basel: Der Feldschiedsrichter wäre zum Regiepult gerufen worden, hätte mit dem Pult-Schiedsrichter die Bilder konsultiert, hätte (richtig) entschieden, hätte das Spiel wieder aufgenommen; so vergehen vielleicht 120 Sekunden.
Und so war es wirklich: Spielertrauben hier und Spielertrauben da, Proteste beim Schiri und Lamento beim Assistenten, Gerede, Geschubse, Gestürm. Bis alles aufgelöst ist und bis (mit einem falschen Entscheid) weitergespielt wird, vergehen vielleicht zwei Minuten.
8. Technik macht den Sport kaputt.
In Wimbledon zum Beispiel kontrollieren Maschinen die Servicelinie. Dem Turnier gehts unverändert gut.
9. Das wär nicht überall einsetzbar.
Das stimmt. Ist aber auch nicht nötig. Schon heute werden Spiele der unteren Ligen nicht gleich gepfiffen wie jene der oberen; schon für die 3. Liga werden keine Assistenten mehr aufgeboten. Da steht ein Funktionär/Ersatzspieler/Zuschauer der Heimmannschaft an der Linie und winkt, wenn der Ball in out geht. Oder winkt auch nicht. Oder noch einmal Tennis. Jedes Spiel der Swiss Indoors findet mit einem Schieds- und sieben Linienrichtern statt. An den Basler Tennismeisterschaften gibts nicht mal im Final einen Schiedsrichter; und noch nie hat sich ein Basler Tennismeister darüber beklagt, dass er nicht gleich behandelt werde wie Federer und Roddick.
10. Die Autorität der Schiedsrichter leidet.
Im Gegenteil: sie steigt. Der Schiedsrichter, der sich nicht für unfehlbar hält und einen Fehler zugibt (falls er dazu die Gelegenheit erhält), geniesst mehr Akzeptanz als der sture Rechthaber.
11. Der Fussball lebt von Fehlern.
Ja, das stimmt ein Stück weit. Tröstlich, wenn auch einem Ronaldinho mal das scheinbar Leichteste misslingt, er ist uns dann viel näher. Fehler ja, aber von Ungerechtigkeit braucht das Spiel nicht zu leben. Nur drei Minuten nach seiner Allianz mit Gott hat Maradona mit einer der genialsten Aktionen nicht nur der Fussball-, sondern der ganzen Sportgeschichte sein zweites Tor erzielt - und kaum jemand spricht davon, und wenn, dann meist nur in Zusammenhang mit dem Betrug. Das ist doch grotesk!
12. Der Fussball braucht Emotionen.
Stimmt. Er braucht Emotionen wie Euphorie und Depression, wie Triumph und Träne, Freude und Frustration, braucht Disziplin und Chaos, braucht Hoch und Tief, oben und unten, wenn möglich alles in raschem Wechsel. Und das Spiel braucht auch (sportliche) Aggressivität. Aber keinesfalls braucht es Aggression und Wut und Zorn. Auf dem Platz nicht, auf den Tribünen nicht, in den Medien nicht. Vielleicht wäre höchstmögliche Correctness eines der Mittel dagegen. Was spricht denn dagegen, dass der Fussball jene Mittel, die denkbar wären, ausprobiert und zur Verfügung stellt? Statt den «Spiegel der Gesellschaft» zu bemühen und die Verantwortung zu delegieren an die Politik?
Der deutsche Fussball-Trainer Otto Rehhagel hat sich vehement für den Video-Beweis ausgesprochen: «Die Leute müssen sich nur daran gewöhnen, dass es kleine Unterbrechungen im Spiel geben wird», sagte Rehhagel.
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Ich denke, es wäre durchaus machbar. Der Videobeweis müsste sich auf Torszenen, Tätlichkeiten und ev. Offsides beschränken. Mit Videobeweis hätten wir die Meisterschaft nicht verloren, dies nur am Rande.
Eure Meinung?
Videobeweis
meine meinung hab ich schon im anderen thread wieder gegeben. aber ehrlich, der artikel (den ich leider nur überflogen hab), sieht verdammt gut aus! alle gegnerischen argumente wurde logisch (und zum glück genau so seh ichs auch) gekontert.
fairplay is ein muss und jetzt auch mehr einsetzbar und das auch schnell. in anderen sportarten wirds genau so gemacht und es soll mir keiner sagen, dort seien die emotionen raus.
wichtig is, dass mans gut testet und in kleinen schritten hinbringt. sprich nur wirklich tätlichkeiten ala materazzi gegen sorin sofort bzw während dem spiel noch rausstellt.
fairplay is ein muss und jetzt auch mehr einsetzbar und das auch schnell. in anderen sportarten wirds genau so gemacht und es soll mir keiner sagen, dort seien die emotionen raus.
wichtig is, dass mans gut testet und in kleinen schritten hinbringt. sprich nur wirklich tätlichkeiten ala materazzi gegen sorin sofort bzw während dem spiel noch rausstellt.
“The scientists of today think deeply instead of clearly. One must be sane to think clearly, but one can think deeply and be quite insane.”
― Nikola Tesla
― Nikola Tesla