Deutschlands Bundesliga gilt als taktisch veraltet, bieder und gesichtslos. Doch sie ist stark vertreten in Champions League und Uefa-Cup. Sie wirtschaftet europaweit am geschicktesten und hat am meisten Zuschauer. Die WM 2006 im eigenen Land gibt zusätzlichen Kick.
Peter Blunschi
Wer hätte das gedacht? «Die Liga boomt», jubelt Werner Hackmann, Präsident der Deutschen Fussballliga, im Fachblatt «Kicker». Zum Start der Bundesliga-Rückrunde am Wochenende schlägt die Stunde der Höhenflieger. Was ist passiert? Erstmals seit sieben Jahren haben alle drei deutschen Vereine u2013 Werder Bremen, Bayern München, Bayer Leverkusen u2013 die Vorrunde der Champions League überstanden. Auch im Uefa-Cup konnten sich drei Klubs für die Sechzehntelfinals qualifizieren: Schalke 04, der VfB Stuttgart und das zweitklassige Alemannia Aachen.
«Kicker» machte noch im letzten März auf Sarkasmus und titelte: «Tschüss, Europa ». Zum zweiten Mal in Folge hatte sich kein Bundesliga-Klub für die Viertelfinals der Champions League qualifiziert. Und im Sommer dann der Knock-out: Die deutsche Nationalelf blamierte sich an der EM in Portugal bis auf die Hosen. Der Teutonenkick war am Boden.
Nun geht es ihm besser, und die Bundesliga ist nicht nur sportlich im Aufwind. In der letzten Saison überholte sie mit einem Schnitt von 35 048 Zuschauern pro Spiel die englische Premier League und setzte sich an die Spitze Europas. In der laufenden Spielzeit dürfte dieser Rekord überboten werden. Bereits in der Hinrunde wurden zwei Prozent mehr Tickets verkauft als in der gleichen Vorjahresperiode.
Jahrelang hatte die einst beste Liga der Welt immer mehr Terrain gegenüber der Konkurrenz verloren. Taktisch hinter dem Mond, ohne Stars und Glamour verkam die Bundesliga zur Biederliga. Einzig der «Sonderfall» Bayern München vermochte sich in Europas Elite zu halten. Jetzt soll auf einmal alles anders sein?
Unbegründet ist die Jubelstimmung nicht. Der deutsche Fussball ist besser als sein Ruf. «Wirtschaftlich gehört die Bundesliga zu den besten, deutlich vor Frankreich, Italien und Spanien. Sportlich ist sie nicht brillant, aber sehr ausgeglichen», sagt René C. Jäggi, früher Präsident des FC Basel und heute Vorstandsvorsitzender des 1. FC Kaiserslautern. Martin Andermatt siehts ähnlich. Der Schweizer Trainer des FC Vaduz und von Liechtensteins Nationalteam war beim SSV Ulm und bei Eintracht Frankfurt tätig. Obwohl er an beiden Orten entlassen wurde, änderte das nichts an Andermatts hoher Meinung vom deutschen Fussball: «Spanien ist die Topliga in Europa, aber gleich dahinter folgt Deutschland.» Während es in England eine grosse Lücke zwischen den besten fünf, sechs Klubs und dem Rest der Premier League gebe, sei das Gefälle in Deutschland weniger deutlich.
Skeptischer urteilt Christian Gross, der als Trainer bei Wolfsburg und Schalke 04 im Gespräch war und mit dem FC Basel zuletzt im Uefa-Cup bei Schalke ein 1:1 erreichte: «In England wird der attraktivste, in Spanien der beste Fussball gespielt. Dahinter folgen Deutschland, Frankreich und Italien auf etwa gleicher Höhe». Man dürfe die Bundesliga nicht glorifizieren.
«Boden gutgemacht»
Ähnlich sieht es der ehemalige Nationalund VfB-Stuttgart-Spieler Adrian Knup: «Das Niveau wird stärkergeredet, als es ist.» Doch auch Knup glaubt, dass der deutsche Fussball «in den letzten zwei Jahren Boden gutgemacht hat». Das gilt einmal für die Taktik. Allzu lange vertrauten die Deutschen auf ihre Tugenden, auf Kampfkraft und Manndeckung, und verloren darob den Anschluss an die europäische Konkurrenz. Als Ottmar Hitzfeld vor seinem Dienstantritt bei Bayern München 1998 laut über die Einführung der Viererabwehrkette nachdachte, sorgte dies für Rauschen im Blätterwald. «Die Deutschen sahen sich als Nabel der Fussballwelt. Jetzt öffnen sie sich, und das kann ihnen nur gut tun. Taktisch haben sie sich gesteigert », sagt Adrian Knup.
Aufwärts geht es auch bei der Nachwuchsförderung, einem weiteren düsteren Kapitel der jüngeren Vergangenheit. Der Mangel an Talenten sorgte jahrelang für Wehklagen, woran die Vereine stark mitschuldig waren. Während englische Klubs keine Hemmungen hatten und haben, junge Spieler gezielt zu fördern und schon früh in der ersten Mannschaft aufzustellen, setzte die Bundesliga lieber auf Routine. So kam es, dass deutsche Talente wie Robert Huth (Chelsea) und Moritz Volz (Fulham) auf die Insel geholt wurden, bevor ihre Namen in der Heimat einem breiten Publikum ein Begriff waren.