Weltwoche -- 20/2006
«Kein Blut, keine Tränen. Nur noch Schweiss»
Von Hanspeter Born
England, die Mutter aller Fussballschlachten, hat aus den Niederlagen gegen Hooligans gelernt: Was nicht erlaubt ist, ist verboten. Schon Fanatiker, die hässlich singen, begehen eine Straftat.
Ich erinnere mich an Bilder von einem Spiel Tottenham Hotspuru2013Manchester United im Norden Londons: an einen Mann, der brüllend und mit hassverzerrtem Gesicht an den Eisenstangen rüttelte, welche die Kurve von der Haupttribüne trennte, an Halbwüchsige, die blindwütig und mit letzter Kraft Geldmünzen durch das Gitter knallten, in der Hoffnung, Anhänger des Feinds zu verletzen. Nach Spielende wurden die Zuschauer, Auswärtige und Einheimische, getrennt und durch zwei mehrere hundert Meter lange, von berittenen Polizisten gebildete Spaliere geschleust. Allein der Respekt vor den Pferden verhinderte Ausbruchsversuche.
Es war Mitte achtziger Jahre, und die Gewalt in den Stadien wuchs ständig. «Animals!», titelte die Sun über die halbe Frontseite nach einem Spiel Lutonu2013Millwall. Reporter James Murray berichtete: «Als lebenslanger Anhänger von Millwall beobachtete ich ungläubig die Krawalle. Es war mir ums Weinen. Kinder um mich herum klammerten sich verängstigt an ihre Eltern, Frauen und Pensionierte schworen, nie wieder an einen Match zu gehen. Sitze wurden ausgerissen und als Waffen gegen die Polizei auf den Platz geschleudert [...]. Als ich sah, wie blutende und benommene Polizisten vom Feld geleitet wurden und wie ein auf dem Anspielkreis liegender Wachtmeister sich vor Schmerzen wand, erinnerte mich dies an die Unruhen in Brixton.» 81 Personen wurden verletzt, darunter 31 Polizisten. Am nächsten Tag machte Neil Kinnock, der Führer der Labour-Opposition, Regierungspolitik und Arbeitslosigkeit für die Krawalle verantwortlich. Premierministerin Thatcher sprach von verlorenen «viktorianischen Werten» und gab ihrerseits der Zerrüttung der Familien und der Disziplinlosigkeit in den Schulen die Schuld.
Zweieinhalb Monate später, am 29. Mai 1985, stürmten beim Europacupfinal im baufälligen Brüsseler Heysel-Stadion Liverpool-Fans auf Juventus-Anhänger ein. Die Polizei sah ratlos zu, wie eine Mauer zusammenbrach und in Panik fliehende Zuschauer über am Boden liegende Juventus-Fans trampelten. 39 Personen starben.
Mehr Zuschauer, weniger Straftaten
Nach Brüssel musste etwas geschehen. Englische Clubs wurden auf fünf Jahre von allen europäischen Wettbewerben ausgeschlossen u2013 was sie in ihrem Stolz ebenso traf wie in ihrer Vereinskasse. Margaret Thatcher hatte schon nach den Ereignissen von Luton den Präsidenten des Fussballverbands an die Downing Street zitiert und ihm die Leviten gelesen. Das Parlament verabschiedete im folgenden Jahr ein Gesetz, das den Gerichten ermöglichte, Fans durch Ausschlussverordnungen von den Stadien fernzuhalten. Diese «Banning Orders», die erwischten Hooligans den Zutritt zu den Stadien zwischen zwei und fünf Jahren untersagen, haben sich als wirkungsvolles Abschreckungsmittel erwiesen. Weitere Gesetze in den Jahren 1989, 1991 und 2000 gaben neue Handhaben, um der Hooligans Herr zu werden. Der Football Offences Act von 1991 führte drei neue Straftaten ein: das Werfen von Geschossen gegen das Spielfeld oder andere Zuschauer; die Teilnahme an unanständigen oder rassistischen Sprechchören; das Betreten des Spielfelds oder dessen Umgebung ohne Amtsbefugnis.
Seit 1989 gibt es in England eine dem Polizeinachrichtendienst unterstellte Fussballabteilung, die gegen «ernsthafte und hartnäckige Hooligans» ermittelt, Beweismaterial sammelt und mit der lokalen Polizei zusammenarbeitet. Allgegenwärtige Videokameras in den Stadien (deren Einrichtung grossteils mit Totogeldern finanziert wurde) sind das Hauptmittel zur Ertappung von Straftätern. Die Gewalt in den englischen Stadien ist seither ständig zurückgegangen. Während in der Saison 1988/9 6147 Verhaftungen vorgenommen wurden, waren es 2004/5 noch 2725. Dies bei einem ständigen Ansteigen der Zuschauerzahlen. In der vorletzten Saison besuchten nicht weniger als 29 Millionen Personen die Spiele in den englischen Profiligen. Der zuständige Minister im Home Office, Paul Goggins, zeigt sich befriedigt: «Diese Statistiken sind äusserst ermutigend. Bei einer Abnahme der Verhaftungen von durchschnittlich 1,21 per Match ist es klar, dass die harte Gesetzgebung zur Ausmerzung des Fussball-Hooliganismus zusammen mit gezielter Polizeiarbeit weiter wirkungsvoll bleibt.» Während die Zahl der Verhaftungen gefallen ist, hat die Zahl der von den Spielfeldern verbannten Individuen mit 3153 eine Rekordhöhe erreicht.
Ruhe auf den teuren Plätzen
In England und Wales (Schottland hat eigene Gesetze) war man weise genug, Sicherheitsmassnahmen, die sich als kontraproduktiv erwiesen, rückgängig zu machen. In den siebziger Jahren hatte man hohe Stahlgitter und Stacheldrahtzäune ums Spielfeld gelegt, um Schiedsrichter und Spieler vor Wurfgeschossen und auf den Rasen rennenden Störenfrieden zu schützen. Dies gab den Stadien den Anschein von KZs und beeinträchtigte die Sicht. 1989 kam es bei einem Cuphalbfinal in Sheffield durch Fehleinweisung von verspäteten Zuschauern (nicht durch Hooligans) zu einer Panik, in der 96 Liverpool-Fans zu Tode gedrückt wurden. Wären nicht die Gitter gewesen, hätten viele aufs Spielfeld ausweichen können.
Nach der Sheffield-Tragödie verschwanden Zäune und Gitter aus den Stadien. Eine Untersuchungskommission unter Lord Taylor empfahl die Umwandlung aller bisherigen Steh- in Sitzplätze. Taylor wollte aus den in den USA gemachten Erfahrungen Lehren ziehen. Dort gibt es u2013 obschon die amerikanische Gesellschaft gewalttätiger ist als die europäische u2013 keinen Hooliganismus an Sportanlässen. Ob dies den ausschliesslich mit Sitzplätzen ausgestatteten amerikanischen Stadien zu verdanken ist, bleibt umstritten. Baseball- oder Footballstadien werden in den USA als Ausflugsziele für Familien, Paare, Kollegen und Freunde betrachtet, nicht als Kriegsschauplätze für Jugendgangs.
In den Stadien der Premier Division gibt es heute ausschliesslich (teure) Sitzplätze. Die altehrwürdigen, von mit Halstüchern und Holzrätschen ausgerüsteten Fans besetzten Terraces (Stehrampen) gehören ebenso der Vergangenheit an wie die Shillings, welche den Zuschauern den Zutritt durch die Drehkreuze öffneten.
Als Folge des Taylor-Berichts starb das Gesetz zur Einführung von Identitätskarten für Matchbesucher, eine Idee, die Maggie Thatcher unbedingt hatte durchstieren wollen. Taylor verglich das Projekt mit dem Knacken von Nüssen mit einem Vorschlaghammer. Gesetzliche und polizeiliche Massnahmen haben zweifellos zum Rückgang des Hooliganunwesens in England beigetragen. Ein ebenso wichtiger Faktor sind die ökonomischen Entwicklungen im Profifussball. Die führenden Klubs sind wirtschaftliche Unternehmen, die angesichts der immer höher werdenden Spielerlöhne auf volle Stadien, hohe Eintrittspreise, Fernsehverträge und den Verkauf von Markenartikeln (Leibchen, Posters, CDs etc.) angewiesen sind. Hooligans schaden dem Brand. Deshalb tun die Vereine ihr Möglichstes, um sie von den Stadien fernzuhalten, und schenken der Ausbildung der Stewards und der Kontrolle der Fanklubs sorgfältige Aufmerksamkeit. Die Vereine halten ihre Stars, die für junge Menschen Vorbilder sind, zu anständigem Benehmen auf und neben dem Feld an und büssen sie bei Verstössen empfindlich.
Eine grosse Mehrheit der Engländer hat eine ungebrochene Liebe zum Fussball, geniesst die Spiele und will sich das Vergnügen nicht von Radaubrüdern verderben lassen. Die Parteien wissen das ebenso sie die Behörden, die Ordnungshüter, die Medien und die Klubs. Zwei Stunden vor dem Match FC Baselu2013FC Zürich fand letzten Samstag in Cardiff vor über 70 000 der Cupfinal West Ham u2013 Liverpool statt. Es war nach Ansicht von Kennern das beste Endspiel seit dem «Matthews-Final» von 1953 u2013 hochklassig, umkämpft, spannend, fair, bewegend und von keinem Misston getrübt. Ein Fest, an dem für Hooligans kein Platz war.
Kein Blut, keine Tränen. Nur noch Schweiss - Fussball in England
Kein Blut, keine Tränen. Nur noch Schweiss - Fussball in England
Reden ist Silber, Schreiben ist Gold.
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