Interview mit Sepp Blatter im Bund von heute (
http://www.espace.ch/artikel_151530.html):
«Es wird hart durchgegriffen»
Das Fairplay sei in den letzten Tagen in der Türkei mit Füssen getreten worden, sagt der Schweizer Fifa-Präsident. Die Sanktionen können laut Joseph Blatter bis zu einer Suspension des türkischen Verbands führen.
Der Schweizer Fifa-Präsident Joseph Blatter nimmt Stellung zu den Vorkommnissen in Istanbul
«bund»: Wie haben Sie die Vorkommnisse rund um das Spiel der Schweiz in der Türkei erlebt?
joseph Blatter: Zuerst antworte ich als Schweizer und lege auch die Neutralität etwas ab. Ich freue mich, dass es die kleine Schweiz nach mindestens drei vergebenen Matchbällen in den Qualifikationsspielen doch noch unter die 32 Besten der Welt geschafft hat. Es wird ihr gut tun, wenn am 9. Dezember bei der WM-Gruppenauslosung in Leipzig der Name Schweiz erscheint und gesetzt wird.
Und wie lautet Ihre Antwort als Fifa-Präsident?
Es schmerzt mich als oberster Verfechter des Fairplays, dass in den letzten Tagen in der Türkei das Fairplay im wahrsten Sinn des Worts mit Füssen getreten worden ist. Das ist des Fussballs absolut unwürdig, denn Fussball soll zur Verständigung und zur Völkerverbindung beitragen. In der Türkei war weder das eine noch das andere der Fall.
Wer trägt dafür die Verantwortung?
Der organisierende Verband und seine Ordnungskräfte sind verantwortlich für die Sicherheit vor, während und nach dem Spiel. Das ist das Grundprinzip. Die Fifa hat für alle Barrage-Spiele einen Spezialisten für die Sicherheit zu den Spielorten delegiert, dazu einen Kommissar, der als verlängerter Arm des Fifa-Präsidenten fungiert, und natürlich einen Schiedsrichter und einen Schiedsrichter-Inspizienten – alles Leute mit grosser Erfahrung. Denn sie müssen darauf einwirken, dass die Spiele in normalem Rahmen ablaufen.
Wie können sie das, sie haben ja keine Machtbefugnis?
Sie haben die Macht, das Spiel abzubrechen, wenn sie zur Überzeugung gelangen, dass die Sicherheit von Beteiligten nicht mehr gewährleistet ist. Das war bei der Partie Türkei - Schweiz nicht der Fall. Es gab Unfairness auf dem Platz, was zwar nicht schön, aber auch nicht so schlimm ist. Die 98 Spielminuten wurden sicher über die Bühne gebracht. Aber wenn eine Mannschaft einen der grössten Erfolge ihrer Verbandsgeschichte schafft und die Freude darüber nicht zeigen darf, stimmt etwas Grundlegendes nicht mehr.
Sie sind seit 30 Jahren im Weltfussball tätig und der höchste Funktionär: Wie schwerwiegend stufen Sie die Vorfälle von Istanbul ein?
Für mich ist das ein Fall von schwerwiegender Respektlosigkeit der Gastgeber gegenüber ihren Gästen. Wissen Sie, was das bedeutet, wenn man die WM-Endrunde in Deutschland und die dazugehörenden Ausscheidungsspiele unter das Motto «Die Welt zu Gast bei Freunden» stellt? Dass diese schwerwiegenden Anti-Fairplay-Aktionen – vom Zeitpunkt der Ankunft der Schweizer in der Türkei bis zu den Vorkommnissen in den Katakomben – im letzten von über 800 Qualifikationsspielen weltweit passiert sind, ist zusätzlich schwer zu verdauen. Das stimmt mich traurig.
Wie wird die Fifa nun vorgehen?
Ich will mich jetzt nicht als Richter aufspielen, noch fehlen mir die genauen Berichte darüber, was sich alles abgespielt hat. Aber sicher ist: Hier wird durchgegriffen, und es wird hart durchgegriffen. Was passiert ist, berührt die ganze Welt. Und es schadet dem Fussball weltweit. Darum gilt es jetzt, alle beteiligten Personen anzuhören und ihre Schilderungen zu rapportieren. Je nach Schlussbericht der Disziplinarkommission werden Sanktionen ausgesprochen, die von einer Verwarnung bis zur Suspension des Verbandes reichen können. Und ein suspendierter Verband darf für eine bestimmte Zeit auf keiner Stufe Spiele bestreiten, weder Freundschafts- noch Qualifikationsspiele.
Hat die Fifa vor dem Spiel in der Türkei alles getan, was sie hat tun müssen?
Das ist eine Frage, die man immer stellen muss, wenn etwas passiert ist. Auch das klären wir natürlich ab. Ich denke, wir hätten in Form des Spielkommissars und des Sicherheitsdelegierten schon bei der Einreise der Schweizer Mannschaft dabei sein müssen. In diesem Zusammenhang werden wir etwas auf die eigene Kappe nehmen müssen, auch wenn kein Fifa-Delegierter das Recht hat, türkischen Zollbeamten am Flughafen zu sagen, wie sie ihren Dienst zu verrichten haben. Auch gegen Steinwürfe auf den Mannschaftsbus können sie nichts unternehmen, aber sie können das alles genau so rapportieren wie die Geschehnisse in den Kabinengängen, wo beide präsent waren.
Die Türkei beklagte sich am Samstag auch über Respektlosigkeit und Unfairness rund ums Hinspiel in der Schweiz.
Auch das ist natürlich Gegenstand der Untersuchung. Ansprechpartner der Fifa sind in diesem Zusammenhang alle, die zur Aufklärung beitragen können. Es ist nicht ausgeschlossen, dass auch der Schweizer Verband zur Kasse gebeten wird.
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Türkische Replik
Der türkische Sportminister Mehmet Ali Sahin kritisierte gestern die Aussagen von Joseph Blatter: «Er sprach wie ein Schweizer Fan, nicht wie ein Fifa-Präsident.» Solche Statements würden die Entscheidungsträger der Disziplinarkommission beeinflussen. Levent Bicakci, Präsident des türkischen Fussball-Verbandes, doppelte nach: «Unser Verband findet Blatters Äusserungen wirklich seltsam. Wir werden alles tun, um die Vorfälle aufzuklären, und uns dafür einsetzen, dass die Schweiz die gleiche Strafe erhält wie die Türkei.» (si)