6. August 2005, Neue Zürcher Zeitung
Das Licht-Schatten-Spiel des hiesigen Fussballs
Finanzielle Vernunft und antizyklische Leistungskurven
In letzter Zeit musste unter dem Eindruck wiederholter wenig erfreulicher Ereignisse meist Negatives über den Schweizer Klubfussball berichtet werden. Als man sich schon zu sorgen begann, ob die sich abwärts drehende Spirale überhaupt noch aufzuhalten sei, zeichnete sich der eine oder andere Silberstreif am düsteren Horizont ab. Die Klubs scheinen seriöser zu wirtschaften, was mit der problemlosen Erteilung der Lizenzen im Mai bestätigt wurde. Erwähnung verdient die Eröffnung des Stade de Suisse in Bern, das nicht zuletzt den Young Boys gewichtige Perspektiven eröffnet. Und gewissermassen den Höhepunkt setzte der krasse Aussenseiter aus Thun mit dem Sensationserfolg in der Champions-League-Qualifikation gegen den hohen Favoriten Dynamo Kiew. Gerade letzteres Ereignis hat riesiges Aufsehen erregt - und die wirklichen Realitäten vorübergehend verschoben.
Der FC Thun in Transformation
Ist der überraschend starke Kleinklub aus dem Berner Oberland gar als das Vorbild für die übrigen Vereine zu bezeichnen? Warum nicht. Vor allem hat er eines bewiesen: Aus wenig (kleines Budget, schwieriges Umfeld) kann mit Enthusiasmus, Fachkenntnis und Beharrlichkeit immer noch viel erreicht werden im Fussball. Allerdings hat dieser Steigerungslauf seinen Preis und Nebenwirkungen. Die im Stadion Lachen geformten Talente (Baykal, Cerrone, Coltorti, Raimondi, Renggli) haben den Klub in Richtung grösserer Vereine verlassen. Diverse (billige) Ausländer sind an ihre Stelle getreten - anders hätte der FC Thun auf die Schnelle ein gewisses Niveau nicht halten können. Mittlerweile ist denn auch die Fraktion an Brasilianern auf fünf Spieler angewachsen - weitere könnten folgen. Es ist zu vermuten, dass diese drastische Umwälzung im Kader dem Verein langfristig nicht zum Vorteil gereicht.
Für Thun ist es ein schwacher Trost, dass auch ein finanziell potenter Klub wie der FC Basel begabtes Spielerpersonal nicht zu halten vermag. Der Meister ist trotz vielen Zuzügen weit entfernt von der geradezu erdrückenden Überlegenheit früherer Jahre. Trainer Gross experimentiert unentwegt - nach dem Erfolg gegen den FC Zürich vor Wochenfrist sprach er sogar von einem improvisierten Heimsieg seines nicht gefestigten Teams. Im Grasshopper-Club spricht der Trainer Latour zwar nicht vom Experimentieren, aber vom Korrigieren. Wie seine Vorgänger schlägt er sich damit herum, in der Abwehr die beste Mischung zu finden. Eine etwas vorsichtigere Ausrichtung (zwei defensive Aufbauer im Zentrum) hat aber - wie der Match gegen Schaffhausen zeigte - unmittelbar Auswirkungen auf die Offensive. Hier die Balance zu erzielen, muss Latours und seines Teams Ziel sein.
Näherrücken der Spitzenteams
Meister Basel (noch) mit einigen Schwierigkeiten, ebenso GC, der FC Zürich sowie die Young Boys hingegen eher auf fortgeschritteneren Wegen - die Anfangsphase der Meisterschaft lässt den Schluss zu, dass die führenden Teams näher zusammengerückt sind. Vor allem von YB - nicht zuletzt im Turnier anlässlich der Eröffnung des Stade de Suisse - gingen ermutigende Signale bezüglich der mannschaftlichen Entwicklung und der Ausgeglichenheit zwischen den Reihen aus. Das breite Kader und die Vielfalt an unterschiedlichen Spielertypen imponieren. Was die Berner Mannschaft rund um Regisseur Hakan Yakin tatsächlich wert ist, wird sich am Samstag (vor erneut grosser Kulisse) gegen die Grasshoppers weisen. Vielleicht setzt sich in dieser Partie der bisher ermutigende Trend der noch jungen Saison fort: Spektakel, viele Tore und ein umstrittener Spielausgang. Es wäre ein weiterer (kleiner) Schritt zur Verbesserung des Image des hiesigen Fussballs.
Rolf Wesbonk