Christoph Spycher ( rechts) und sein neuer Teamkollege Benjamin Huggel ( links) beim Intensivtraining mit Bundesliga- Aufsteiger Eintracht Frankfurt.
Koller und die neue Ruhe
« Tief im Westen, wo die Sonne verstaubt » , hat schon Grönemeyer gesungen, da liegt Bochum. Eingeklemmt zwischen den Monumenten des Ruhrgebietes, Schalke und Dortmund, sucht der VfL seine fussballerische Nische. Hier, fernab der Kölner Grossmäuler, in der Stadt mit 380 000 Einwohnern und 14,7 Prozent Arbeitslosen, macht sich Marcel Koller daran, seinen Ruf als Erfolgstrainer wieder herzustellen.
Acht Monate bis zum Juni 2004 war er in Köln gewesen und wurde nach dem Abstieg mit dem 1. FC freigestellt. Er war ein Jahr ohne Klub, aber nicht ohne Lohn, weil er in Köln einen Vertrag bis 2006 besass. Diesen Frühsommer stellte er sich darauf ein, in die Schweiz zurückzukehren, und einigte sich mit Köln auf eine Abfindung für sein letztes Vertragsjahr. Dann meldete sich Bochum, es ging alles schnell, Koller unterschrieb Ende Mai für zwei Jahre und ist glücklich über diese Fügung.
« Fussball findet in der Schweiz nur am Wochenende statt, hier aber die ganze Woche über » , sagt er. Dass Bochum nicht Köln ist und das Budget nach dem Abstieg in die 2. Bundesliga auf 14 Millionen Euro halbiert werden musste, nimmt er in Kauf, um wieder arbeiten zu können. Bochum ist auf ihn zugeschnitten: die beschauliche, ruhige Stadt, « vor Arbeit ganz grau, aber u2019 ne ehrliche Haut » , singt Grönemeyer. Und der VfL ist nicht mehr der 1. FC, der seit Jahren an folgenschwerer Selbstüberschätzung krankt, er ist familiär geführt, skandalfrei und zeichnet sich durch kurze Entscheidungswege aus, in die Koller eingebunden ist.
Am Kölner Geissbockheim war er einst angekommen, als vieles schon verbockt war. In Bochum fand er nun drei Wochen Zeit, in Ruhe alles kennen zu lernen, bevor überhaupt die Saisonvorbereitung mit der Mannschaft begann. Es galt, namhafte Abgänge so gut als möglich zu ersetzen, von Kalla, Knavs, Madsen oder Lokvenc. Dafür kamen unter anderen Daniel Imhof aus St. Gallen und China aus Brasilien, den Koller für einen « Kracher » hält.
Der Zürcher weiss, welcher Fussball in der 2. Liga gespielt wird. Da werde « geknüttelt und reingehauen » und mit Manndeckung agiert, sagt er. « Also müssen wir körperlich dagegenhalten und mit unserer spielerischen Qualität für den Unterschied sorgen. » Damit es so kommt, wie es sich Grönemeyer schon immer vorgestellt hat: « Machst mit u2019 nem Doppelpass jeden Gegner nass, du und dein VfL. » Ziele haben die Bochumer nur eines vor Augen: sofort in die 1. Bundesliga zurückzukehren.
Spycher und der Stellenwert
Seit drei Wochen gehört Christoph Spycher zur Eintracht in Frankfurt. Sein erster Eindruck erzählt, « dass schon ein riesiges Interesse der Öffentlichkeit am Fussball besteht » . Stadion und Infrastruktur mit Rasenplätzen, Garderobe, Physiotherapie und Kraftraum aus der oberen Güteklasse sind seine neue Welt. « Genial » , sagt er. Am vergangenen Freitag wurden Spycher die Möbel aus der Schweiz geliefert und hat er seine Wohnung ausserhalb der Bankenstadt bezogen. Am Montag fuhr die Mannschaft nach einer ersten Woche im Zillertal in ihr zweites Trainingslager ins Allgäuer Hotel von Karl- Heinz Riedle.
Benjamin Huggel, aus Basel nach Frankfurt gekommen und Kollege in der Nationalmannschaft, ist Spychers Zimmerpartner. « Ich bin froh, dass Huggel auch hier ist » , sagt Spycher, « das gibt ein gutes Gefühl. » Spycher glaubt, das Fussballtraining bei der Eintracht werde « erst langsam richtig beginnen » . Bis anhin seien sie vor allem intensiv gelaufen u2013 « extrem viel gelaufen » u2013 und hätten sie ihre Durchgänge im Kraftraum absolviert. Hinter den Einheiten stehe eine andere Philosophie als in der Schweiz, wo früher zum Balltraining übergegangen werde. Die Müdigkeit spürt er in den Beinen und hofft, im Lauf der Saison davon profitieren zu können. Fussballerisch erwartet der 27- Jährige keinen wesentlichen Unterschied zur Schweiz.
« Athletisch aber befindet sich die Bundesliga auf einer höheren Stufe. » Vom ersten Augenblick an fühlte sich der ehemalige Grasshopper in Frankfurt akzeptiert. Der Konkurrenzkampf ist nicht rauer als in der Super League, als Wunschspieler hat er bereits einen gewissen Stellenwert in der Mannschaft eingenommen.
Wie die deutschen Spieler im Lauftraining diszipliniert arbeiten, wie sie im Spiel mit dem Ball von ihren Stärken überzeugt sind und dabei die Schwächen ausblenden, ist ihm aufgefallen. « Das gesunde Selbstvertrauen macht die Spieler stärker » , glaubt Spycher.
Linksverteidiger wird er bei der Eintracht sein, in drei von vier Testspielen gegen Regionalliga- Teams kam er zum Einsatz, erst heute ( gegen Besiktas Istanbul) und am Samstag ( Crystal Palace) folgen richtige Tests. Eine Vorgabe hat sich Spycher dafür gemacht: « Ich muss meinen Stellenwert über Leistung bestätigen. »
Sesa und der Millionenverlust
Für ein paar Tage lässt es sich David Sesa gut gehen. Er besucht Bekannte in Neapel und auf Capri. Ansonsten pendelt er zwischen Dielsdorf, wo seine Eltern leben, und Lecce, wo seine Frau herkommt. Doch das ist kein Testlauf für den Vorruhestand als Fussballer. Mit seinen 32 Jahren fühlt er sich dafür zu jung. Die Kraft und die Lust hat er, um zwei, drei Jahre anzuhängen. Sein Absturz begann, als er glaubte, ganz oben zu sein. Er hatte zwei grossartige Saisons bei Lecce hinter sich, dem Klub aus dem tiefsten Apulien. Juventus rief, die SSC Napoli legte nach und « schöne, grosse Zahlen » auf den Tisch, erinnert sich Sesa, 13 Millionen Franken für Lecce, knapp 1,5 Millionen für ihn, jährlich und netto. Im Sommer 2000 unterschrieb er beim Klub von Maradonas Erben. Er bezog eine Wohnung im Posillipo- Quartier, so schön wie vornehm.
Doch statt aufwärts ging es für Sesa im chaotischen Neapel stetig abwärts, Abstieg aus der Serie A in der ersten Saison, kein Stammplatz mehr, insgesamt sieben Trainerwechsel. Im vergangenen August folgte schliesslich der grosse Knall, als Napoli mit 104 Millionen Franken Schulden in den Konkurs ging und in der Serie C1 als Napoli Soccer neu beginnen musste. Das traf auch Sesa, die Bezüge für die restlichen Vertragsjahre bis 2007 musste er sich wegen des Konkurses « ans Bein streichen » , sagt er.
Auch wenn sein Lohn von einst zuletzt halbiert worden war, verlor Sesa einen Betrag « in Millionenhöhe » . Mit einem Anwalt kann er nur um die 11 Monatslöhne kämpfen, die ihm aus der Saison 03/ 04 noch zustehen würden. Er hofft, nicht leer auszugehen. Der Filmproduzent Aurelio de Laurentis hatte den Klub für 46,5 Millionen Franken gekauft. Vor Gericht wird darüber gestritten, wie die Schuldner daraus abgefunden werden.
In Aarau hatte Sesa im September letzten Jahres einen Anlauf genommen, wieder Fuss zu fassen. Er spielte 117 Minuten und löste den Vertrag aus eigenem Antrieb aus, weil er sich auf dem Brügglifeld nicht wohl fühlte. Sesa wechselte im Januar nach Palazzolo im Norden Italiens und beendete die Saison mit dem Abstieg aus der Serie C2, der vierthöchsten Profiliga. Wenigstens hatte er jeden 15. des Monats sein Gehalt bekommen. Nun hat er « zwei, drei Vermittler » eingeschaltet, die ihm einen Klub finden sollen, damit er wieder spielen kann. Einem Anspruch Sesas muss der neue Arbeitgeber unter allen Umständen genügen: Er muss seriös sein.
Quelle siehe Signatur