12. Juli 2005, Neue Zürcher Zeitung
Wort zum Sport
Football Forever
Ob die Post ihre Rechnung nun frisiert hat oder nicht, mag dahinstehen; obwohl, als Mitglied der Töffli-Generation setze ich frisiert mit schneller gleich - und dass die Post schaut, dass die Post auch wirklich abgeht, ist doch schwer in Ordnung.
Überhaupt, wer schönt die Zahlen denn nicht? Schon 1979, als die erste von mittlerweile mindestens 300 Ölkrisen in den USA den Benzin- erstmals über den Wasserpreis steigen liess, sprangen die texanischen Öl-Boys aus den Bush- und Ewing-Clans über ihren Schatten; sie verabschiedeten sich von der Gallone und liefen zum Liter über. Was wie Verrat an nationalen Werten aussah, gefiel den Kunden in ihren schweren Schlitten: An den Tankstellen war «Gas» über Nacht fast viermal billiger geworden.
Auch im Fussball sind Zahlenjongleure immer wichtiger. Die Nachbesserung von Steven Gerrards Jahreslohn auf sechs Millionen Pfund brachte die Pressestelle des Champions-League- Gewinners Liverpool in arge Verlegenheit - wie das dem Otto Normalverbraucher erklären, der bisher glaubte, unverschämtes Abzocken sei ausschliesslich eine Spezialität der amerikanischen Anabolika-Ligen beziehungsweise ihrer Schweizer Pharma-Lieferanten und Vermögensverwalter?
Also wurde in Liverpool die Nachricht aufgesetzt, Gerrard verdiene fortan 100 000 Pfund pro Woche. Das hört sich zwar immer noch wie viel Geld an, schliesslich weiss man vom letzten Städteflug nach London noch, dass das englische Pfund mehr wert ist als einst die italienische oder heute die türkische Lira. Aber 100 000? Von was auch immer, es geht doch voll in Ordnung, schliesslich muss der nette Junge mit dem Konfirmandengesicht bestimmt auch Rechnungen bezahlen und das eine oder andere Maul zusätzlich füttern. Es gibt nicht nur die Yakin-Saga auf diesem Fussballplaneten.
So sind sie also alle zufrieden in Liverpool, wenn heute die neue Saison beginnt. Sie haben richtig gelesen: heute. Oder dachten Sie, dass der Fussball mal Pause macht, nur weil Sie die lila Brille aufsetzen und in die Ferien abrauschen. Herrje, in Deutschland läuft der WM-Countdown (den der Sportinformationsdienst dankbarerweise täglich abzählt - Stand heute Dienstag: «Noch 331 Tage bis zur Eröffnung»), in Amerika der Gold-Cup, in Europa der UI-Cup. Ui, ui, ui. Heute Dienstag intoniert die Uefa schon wieder die Champions-League-Hymne, und morgen Mittwoch bläst die hiesige Super League zum Sturmangriff. Olé, olé-olé.
Gerrard und Co. müssen also keine zwei Monate nach dem Triumph von Istanbul wieder ran. Gegen TNS Llansantffraid. Ein Gegner aus Wales, einem Fleckchen Insel, wo die Leute offensichtlich nichts frisieren, sonst hätten sie ihrem Geburtsort schon längst einen schnittigeren Namen geschustert. Aber an der Anfield Road steht sowieso nicht der TNS Wasauchimmer im Mittelpunkt, sondern der nette Bursche Steven. Gerrard wird die Gelegenheit wohl nützen, um dem Liverpool FC wieder mal die ewige Treue zu schwören. Treueschwüre sollte man jedoch gerade in Liverpool nicht für bare Münze nehmen, auch von einem 100 000-Pfundskerl nicht. «Strawberry Fields Forever» hatten die Beatles 1967 gesungen - im Frühling 2005 aber schloss das Liverpooler Kinderheim Strawberry Fields, das die Pilzköpfe zum Song inspiriert hatte. Mit Geld, so beteuern alle Beteiligten gebetsmühlenartig, habe der Schliessungsentscheid nichts zu tun. Auch das Frisieren von Worten ist eine beliebte zeitgenössische Kunst.
Die Zeiten der Faktenverdreher scheinen jedoch abzulaufen. Zumindest im Fussball. Da rüsten die Supermächte auf, ohne Rücksicht auf die öffentliche Meinung. Hier die Russen mit ihrem Ölmilliardär Abramowitsch, dessen Geldquellen offenbar nie versiegen, da die Amerikaner mit der Nasa. USA? Nasa? Klar doch, im weltumspannenden Machtpoker um die besten Fussballer sind die Amerikaner sogar noch einen Schritt weiter gegangen, extraterrestrisch nämlich. Vorsorglich haben sie in den Kometen Tempel 1 «einen Krater von der Grösse eines Fussballfeldes», wie die Schweizerische Depeschenagentur letzte Woche meldete, gesprengt. 1. FC Tempel? Das erste Heimspiel findet noch nicht diese Woche statt, aber dass Hakan Yakin bald dort anheuert, steht ja wohl ausser Frage. Es wäre die Krönung seines kometenhaften Aufstiegs. Oder Abstiegs.
Christoph Fisch