Feanor hat geschrieben:Nochmals die Fakten: Die Hysterie war lange vor der Reaktion des Bundes da - kann man gut nachverfolgen, ohne da einfach etwas zu behaupten. Es hiess ja schon Wochen vor dem Entscheid des BR: "Wann reagiert der BR?", "Grenzen schliessen!" etc. etc.
Und dein Argument ist sowas von nicht stichhaltig: wenn der BR von Anfang an nur die Risikogruppen geschützt hätte: was heisst denn das genau? Totale Abschottung aller Altersheime und aller medizinischen Einrichtung, aber ansonsten "normale, heile Welt"? Meinst du wirklich, dass die von dir ins Feld gebrachten Kinder das nicht komisch gefunden hätten, wenn sie ihre Grosseltern nicht mehr besuchen dürfen?
Nächstes schwaches Argument: Wenn schon Fussball und Fasnacht absagen, warum nicht alles? Logisch wäre alles abschotten noch effektiver, das bestreitet ja niemand, aber das wäre doch ein zu starker Eingriff in die Gesellschaft und mit verheerenden Folgeschäden gekoppelt gewesen. Und hätte vielleicht ebenso nichts gebracht wie VIELLEICHT auch das Veranstaltungsverbot nichts gebracht hat.
Und nein, es ist nicht absurd: Der Gottesdienst im Elsass hat es ja gezeigt, das eine Veranstaltung einen Boost an Ansteckungen bringen kann.
Du bringst aber kein Argument, das für sich alleine stehen kann - weil du wohl keine hast. Dich ärgert, dass Fussball oder Fasnacht nicht stattfinden konnte, dich ärgert, dass es viele Mongos gibt, die die Einkaufsläden plündern, dich nervt vielleicht, dass immer noch Italiener in die Schweiz kommen, vielleicht ärgert dich auch, dass es ja viel mehr Tote aufgrund der Grippe gibt als vom Coronavirus. Und ja, das meiste davon ärgert mich auch. Aber meinst du nicht, dass sich die Verantwortlichen sehr gut überlegt haben, wie sie mit dieser Krise umgehen sollen? Meinst du nicht, dass sie deine Option (nur Risikogruppen ansprechen) auch durchgedacht haben? Meinst du nicht, dass es Leute gibt, die von der Sache viel mehr Ahnung haben als du und ich?
Und nein, das heisst nicht, dass man blind gehorchen soll. Man soll und muss dem Staat immer kritisch gegenüberstehen. Aber wenn du das Krisenmanagement angreifst, musst du stichhaltige Argumente liefern - und das hast du meines Erachtens nicht.
Ich klinke mich hier auch mal ein, auch wenn du Mundharmonika fragst.
Ja, die Hysterie war schon vorher da. Der Bund hat diese nicht ausgelöst. Er hat viel unternommen, die Hysterie zu bremsen oder reduzieren, aber es wäre mehr möglich gewesen. Ich beschreibe dir mal, was ich mir unter einer optimalen Reaktion vorstellen würde, ohne eine konkrete Massnahme zu nennen. Dann siehst du vielleicht, welche Prinzipien im Krisenmanagement ich vernachlässigt sah.
Die Kommunikation hätte von Anfang folgendem Narrativ folgen sollen: «Das Virus wird kommen, wir können es nicht aufhalten. Aber es ist nicht schlimm, wenn wir richtig damit umgehen und solidarisch reagieren. Jeder wird sich einschränken und Opfer bringen müssen. Wir werden dies koordinieren, um die entstehenden Folgeschäden für die Schweiz so gering wie möglich zu halten und werden uns solidarisch jenen gegenüber zeigen, die es am Ende härter getroffen hat. Zusammen können wir erreichen, dass die Folgen sich im Rahmen einer Grippeepidemie bewegen.» Dieses Narrativ wäre so in etwa die offenste Kommunikation, die ich mir vorstellen kann, hätte Bürger in die Verantwortung mit einbezogen und gleichzeitig beruhigt, weil es ein zielgerichtetes Handeln, ein Ende der Krise und eine über die Krise hinausreichende Solidarität verheisst. Es wäre ein Narrativ, welches über die gesamte Dauer und sich ändernde Umstände hätte aufrecht gehalten werden können.
Die Massnahmen hätte früher aber in leichterer Form einsetzen sollen und mit gleichmässigerer Lastenverteilung ausgesprochen werden. Massnahmen hätten auch jeweilig graduell hochgefahren werden sollen und immer an mehreren
Fronten gleichzeitig.
Was das hätte bringen sollen? Ohne Wechsel des Narrativs und unter zeitgleicher Veränderung der Massnahmen an verschiedenen Orten, aber in kleinen Schritten, hätte die Schweiz viel flexibler und adäquater reagieren und mehr Vertrauen aufbauen können. Es geht darum, glaubwürdig zu bleiben.
Wie sähe so ein gradueller Anstieg nun an den Grenzen aus? Ich könnte mir sowas vorstellen: Zuerst keine Touristenvisa aus den Risikogebieten > auch Abweisen von Leuten, die für einen touristischen Zweck kein Visum brauchen (Italien) > Zutritt nur für Personen mit Arbeitsnachweis > nur Personen mit Arbeitsnachweis in relevanten Sektoren (Gesundheit, Energie, etc.).
Ähnlich graduell hätte es auch mit der Sicherheit für Alten gehen können, für Veranstaltungen, für den öffentlichen Verkehr, etc. Ein langsames Vorbereiten darauf, dass sich etwas ändert, indem ein Detail geändert wird, ist nicht beunruhigend, solange die Kommunikation passt, es kann auch einfacher angenommen werden. Zu sehen, dass es immer gleichzeitig auch einen anderen Sektor betrifft und nicht nur einem selbst, erzeugt Verständnis und stärkt den Solidaritätsgedanken.
Ich finde es gut, dass die Kinder offen darüber reden. Ich fände es schlecht, wenn sie die Hysterie übernehmen, aber ein offenes und informierendes Gespräch würde ich Kindern jederzeit zumuten, solange man selbst in der Lage ist, ihre Ängste zu beruhigen. Wenn die Kinder die Grosseltern in den ersten Besuchen nicht umarmen und küssen dürfen, danach weniger oft besuchen und zum Peak gar nicht besuchen dürfen, sehe ich keine Probleme, solange man ihnen die Umstände ruhig erklären kann.
Ich hoffe du verstehst nun, warum ich zum Teil einseitige Massnahmen ankreide. Nicht, weil ich die Massnahme für sich alleine betrachtet blöd finde. Sondern weil ich den Kontext, in dem sie ausgesprochen wurde, nicht passend finde. Ich bin fast nie aus Prinzip für oder gegen etwas, es ist immer das Mass, die Zeit, der Kontext, die mich dazu bringen, von etwas mehr oder weniger zu wollen. Weil alles relativ und nicht absolut ist. Ich bin auch der festen Überzeugung, dass ein gleichmässig verteiltes und graduelles Reagieren, die beste Art gewesen wäre, das Bewusstsein für den Umstand zu schaffen, die Massnahmen effizienter gewesen wären, weil sie ernsthafter befolgt würden und am ehesten nur so lange in Kraft geblieben wären, wie sie es sie benötigt hätte.