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«Die EM ist die Antriebsfeder»
Thomas Helbling, Sicherheitschef in der Swiss Football League, nimmt Stellung zum Hooligan-Problem
Im Schweizer Klubfussball ist eine Zunahme der Ausschreitungen festzustellen. Thomas Helbling, Präsident der Sicherheits- und Fan-Kommission in der Swiss Football League, hofft auf baldige Einführung des Anti-Hooligan-Gesetzes.
«BUND»: Beim Spiel GC - Basel haben Fans im Hardturm Feuer gelegt. Was sagen Sie dazu?
Thomas Helbling: Für mich ist es eine Fortsetzung dessen gewesen, was wir die ganze Saison erlebt haben. Es ist bedenklich, dass sich Gruppen gewaltbereiter Zuschauer aus der Anonymität heraus dauernd den Stadionordnungen widersetzen. Diese Leute benutzen den privaten Grund eines Dritten als rechtsfreien Raum. Die Anonymität erlaubt es ihnen, danach wieder unerkannt in die Familie und an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Mich verwundert dabei das Verhalten der richtigen Fans.
Wie meinen Sie das?
Die Vermummten benützen die echten Anhänger als Schutz, sie verstecken sich in der Masse. Ich verstehe nicht, dass man sie tatenlos gewähren lässt, statt sich mit Worten und Aktionen zu wehren.
Das hat wohl mit Angst zu tun.
Das kann sein. Aber mir bleibt es rätselhaft. Natürlich soll nicht mit Gewalt reagiert werden. Aber warum entfernen sich die richtigen Fans nicht von den Gewalttätigen? Dann wären diese entlarvt und viel leichter ausfindig zu machen.
Im Eishockey ist die Videoüberwachung ein erfolgreiches Mittel, um Täter zu finden. Wie sieht es im Schweizer Fussball aus?
In den neuen Stadien gibt es fixe Installationen. Aber wer will schon in einem baufälligen Stadion in teure Elektronik investieren. Im Hardturm beispielsweise wird noch mit mobilen Kameras gearbeitet. Das ist im internationalen Vergleich vorsintflutlich. Nehmen wir Paris: Im Parc des Princes sind 180 Kameras installiert. Im Stade de France findet die Überwachung des Publikums in einem Regieraum statt. Von dort wird der Einsatz der Stewards gesteuert. Unsere Möglichkeiten sind beschränkt.
Inwiefern?
Das ist in erster Linie eine Frage des Geldes. In den fünf Topligen Europas werden über 80 Prozent der Einnahmen des europäischen Fussballs generiert. Zudem können wir wenig durchsetzen. Die Datenschutz-Gesetzgebung schiebt uns einen Riegel bei der Strafverfolgung und bei der Durchsetzung der Stadionverbote. Geht es um Verletzung einer Hausordnung oder um Bagatelldelikte, hat man in der heutigen Zeit wenig Aussicht auf speditive Verfolgung der Täter. Wir sind dringend auf das Anti-Hooligan-Gesetz, das sich in der Vernehmlassung befindet, angewiesen. Gerade auch, um Stadionverbote durchzusetzen.
Blicken wir zum Eishockey: SCB-Geschäftsführer Marc Lüthi sagt, in Bern würden Stadionverbote zu 90 Prozent durchgesetzt. Blufft der SC Bern?
Nein, ganz sicher nicht. Man muss einfach zugestehen, dass wir uns gegenüber dem Eishockey deutlich im Rückstand befinden. Das Eishockey hat im Play-off-Final 2001 zwischen Lugano und den ZSC Lions seine Negativerfahrung gemacht und die entsprechenden Konsequenzen gezogen.
Heisst das, dass man in der Fussball-Nationalliga beziehungsweise in der Swiss Football League geschlafen hat?
Seit 1998 hat die heutige Swiss Football League ein Sicherheitsreglement. Vergessen wurde aber, dazu Ausführungsbestimmungen und flankierende Massnahmen zu erlassen. Wir hatten bis vor kurzem zum Glück keine Vorfälle in der Art zu beklagen, wie sie das Eishockey 2001 erlebt hat. Vielleicht hat man der Problematik im Fussball deshalb voraussehend nicht so grosse Beachtung geschenkt. Jetzt hat für die SFL die Stunde geschlagen. Wir orientieren uns stark am Eishockey, befinden uns auf einer Aufholjagd und arbeiten auf Hochtouren.
Was heisst das konkret?
Wir haben in den letzten sechs Monaten vier Richtlinien in Kraft gesetzt und auch die disziplinarische Kausalhaftung für die Klubs wieder eingeführt. Neu gibt es eine einheitliche Stadionordnung, die Sicherheits- und die Fanverantwortlichen der Klubs werden geschult und die Sicherheitsinspektionen bei den Klubs professionalisiert. Auf die nächste Saison werden auch die Stadionspeaker ausgebildet, und eine Richtlinie zur einheitlichen Praxis der Stadionverbote liegt im Entwurf vor.
Früher gab es das alles nicht, und dennoch ging es in den Schweizer Stadien anständig zu und her. Was hat sich geändert?
Die Gesellschaft hat sich geändert. Schaut man Bilder vom WM-Final 1954 in Bern an, sieht man im Publikum nur Leute mit Hut, Schirm und Stumpen. Heute ist das Publikum als Folge der Individualisierung vielschichtiger. Ausschreitungen gibt es praktisch nur im Fussball und Eishockey. Die Stadien haben die Funktion eines Förderbands: Man lebt sich auf einer medialen Plattform aus.
Sie haben die Anonymität angesprochen, in der man sich an Massenveranstaltungen bewegen kann. Wieso gibt es an Rockkonzerten keine Ausschreitungen?
Dort gehen alle hin, weil sie den gleichen Star hören wollen. Es gibt das Gegeneinander, das Anheizen eines Kampfs nicht. Zudem fehlt die Präsenz der Bildmedien.
Welche Rolle spielen die Bildmedien?
Jenen, die in Stadien ihr Unwesen treiben, geht es auch darum, wahrgenommen zu werden. Sie fragen dann im Kollegenkreis: «Hast du am Fernsehen gesehen, wie ich aufs Feld gestürmt bin?»
Immer häufiger ist festzustellen, dass Hooligans gar kein Interesse am Anlass haben und zum Teil gar nicht in die Stadien gehen, sondern davor warten, um zu provozieren.
Das stimmt. Die Schlimmsten sind diejenigen, die keinen Bezug zum Sport haben. Die reisen beispielsweise zum Spiel Xamax - GC, stellen fest, dass es verschoben ist, und begeben sich dann einfach in ein anderes Stadion. Diese Leute sind jenen zuzuordnen, die am 1. Mai in Zürich eine Nach-Demo veranstalten oder in Bern im Anschluss an den geordneten Antifa-Spaziergang Sachbeschädigungen ausüben.
Wie gross ist der Anteil dieser Hooligans?
In einem vollen Stadion sind wohl nicht mehr als 2 Prozent der Zuschauer gewaltbereit. Diese terrorisieren aber alle andern u2013 so lange, bis uns die 98 Prozent davonlaufen. Es darf nicht sein, dass Leute, die sich nicht einmal für das Geschehen auf dem Spielfeld interessieren, den Schweizer Fussball kaputtmachen.
Welche Massnahmen sind nebst den bereits erwähnten noch in Erwägung zu ziehen, um das Problem besser in den Griff zu bekommen?
Ich habe in diesem Winter mit meinem Sohn ein Eishockeyspiel zwischen dem HC Gottéron und dem SC Bern besucht. Auf der Stehrampe der SCB-Fans wurde in erster Linie Alkohol konsumiert, das Spielgeschehen hatte sekundäre Bedeutung. Ich bin nicht für ein grundsätzliches Alkoholverbot in Sportstadien. Aber auf den Tribünen und Stehrampen müsste der Konsum von Alkohol verboten werden.
Früher gab es in Stadien Zäune. Als Folge einiger Katastrophen, insbesondere in Brüssel und Sheffield, ist man von dieser Art der Abschrankung abgekommen. Müssen Zäune wieder ein Thema werden?
Nein, man hat sie aus Sicherheitsgründen abgeschafft. Die Vorschrift des Weltverbands ist richtig. Ich bin auch mit Fifa-Präsident Joseph Blatter einverstanden, dass man Zuschauer nicht wie Raubtiere im Zoo halten kann. Das bedingt aber, dass man drastische Strafen aussprechen kann, wenn jemand den Rasen betritt. Man benötigt viele Stewards, bauliche Massnahmen wie Gräben, die es in Lissabon gibt. In Dortmund befinden sich die Zuschauer der ersten Reihe zwei Meter über dem Boden. Auch Netze und der Einsatz von Hunden, wie auf dem Berner Neufeld, bieten sich als Abschreckung an.
In England geht es in den Stadien inzwischen gesittet zu und her. Warum hat das Mutterland des Hooliganismus diesen Vorsprung?
Der englische Fussball hing in den schlimmsten Zeiten an einem seidenen Faden. Die englischen Klubs wurden vor noch nicht allzu langer Zeit jahrelang von der Teilnahme an europäischen Klubwettbewerben ausgeschlossen. Wer so bestraft wird, räumt im eigenen Haus radikal auf. Die Gesetzgeber haben sehr schnell Voraussetzungen geschaffen, um durchgreifen zu können. Übeltätern drohen massive Sanktionen wie Revierverbot und Präventivhaft. Wenn heutzutage in einem englischen Stadion ein Zuschauer aufsteht, kommt sofort ein Steward und fragt: «Wollen Sie auf die Toilette? Wenn nicht, setzen Sie sich wieder hin.» Es hat nicht unbedingt ein Kulturwandel stattgefunden. Man hat die Zuschauer zu Disziplin gezwungen.
Liesse sich all das in der Schweiz auch umsetzen?
Das ist nicht einfach. In England stehen, nicht zuletzt dank den erheblich höheren TV-Einnahmen, viel mehr Mittel für Sicherheitsmassnahmen zur Verfügung.
Einerseits bieten Bildmedien die Plattform für Hooligans, anderseits sorgen TV-Einnahmen dafür, dass man in Sicherheit investieren kann. Ist das nicht paradox?
Nein. Wenn der Kameramann seinen Job richtig macht, zeigt er Bilder vom Spiel und nicht von Aktionen, die gegen die Stadionordnung verstossen. Das Fernsehen hat es in der Hand, gewaltbereiten Zuschauern den medialen Teppich unter den Füssen wegzuziehen.