Fußballfans -- Dampf im Kessel
Von Christoph Twickel
13. Juni 2005 Anwälte der linken Rechtshilfeorganisation "Rote Hilfe" und HSV-Fans: Es war eine außergewöhnliche Begegnung, die Anfang Juni im Fan-Haus des HSV, einem Backsteinhäuschen an der S-Bahnhaltestelle Holstenstraße, über die Bühne ging. Noch vor ein paar Jahren hätten sich Anhänger des Hamburger Sportvereins nicht an einen Tisch gesetzt mit den Leuten aus der linksalternativen Szene, traditionell ein Tummelplatz der Fans des FC St.Pauli, die bei den HSV-Anhängern nur "Zecken" gerufen werden. Aber die Zeiten zwingen zum Umdenken: Die Fans brauchen Beratung in Sachen Ordnungskräfte, und damit kennen sich die Linken bestens aus.
Eingeladen haben die "Chosen Few", die derzeit stärkste Ultra-Gruppierung der HSV-Fanszene. Ultras - ein Begriff aus der italienische Fankultur - nennen sich die Fans der neuen Generation: eingefleischte und gut organisierte Clubs, die ihren Verein überallhin begleiten und im Stadion vor allem durch telegene "Choreos" mit Blockfahnen und Transparenten auffallen. Zum Ärger von Polizei und Ordnungsdiensten allerdings auch durch das sporadische Abbrennen von Feuerwerkskörpern.
Polizeiübung für den Confed Cup
Jungs mit sauberem Kurzhaarschnitt, Mädels mit gekämmtem Blondhaar, die meisten tragen Markenklamotten von Fred Perry oder dem faneigenen Label "1887": Aufmerksam folgen zwei Dutzend von ihnen den Ausführungen der Anwälte zum neuen Hamburger Polizeigesetz.
Per Muskellähmung außer Gefecht
Statt der bisher üblichen Platzverweise für 24 Stunden soll die Polizei zukünftig "Aufenthaltsverbote" für bis zu zwölf Monate aussprechen können. Und die auf längstens 48 Stunden beschränkten Ingewahrsamnahmen dürften dann auf bis zu 14 Tage ausgedehnt werden. Laut Hamburger CDU soll das neue Polizeigesetz das "schärfste" der Republik werden. Auch die umstrittene Elektro-Distanzwaffe "Taser", die den Getroffenen per Muskellähmung außer Gefecht setzt, soll in der Hansestadt künftig Verwendung finden.
Eine Anwältin liest vor, wie sich die Hamburger Polizei den Umgang mit der neuen Waffe vorstellt: Zwar könne es "beim unkontrollierten Hinfallen des Getroffenen" in "unglücklichen Fällen auch zu schwerwiegenden Verletzungen" kommen. Man wolle jedoch "einüben, daß der Kollege des Schützen den Getroffenen möglichst auffängt oder dessen Aufprall mildert". Allgemeine Heiterkeit im HSV-Fanhaus. Und ein bißchen Entsetzen. Denn die Zielgruppe der Fußballfans ist im Gesetzestext im Hinblick auf die Weltmeisterschaft 2006 ausdrücklich benannt. "Da wird das dann wohl zum ersten Mal auf größerer Ebene erprobt werden", sagt eine Anwältin.
Zweihundert Polizisten in Kampfmontur
Die Fans haben den Eindruck, daß sie schon ein Jahr vor Beginn der WM Opfer einer allgemeinen Sicherheitshysterie werden, die nach den Ausschreitungen deutscher Hooligans beim Länderspiel in Slowenien am 26. März noch zugenommen hat. "Es geht darum, aktive Fans aus den Stadien zu drängen, um möglichst eine klinisch saubere WM zu bekommen", sagt Philipp Markhardt, 25, von den "Chosen Few". Und verweist auf Vorkommnisse zum Ende der abgelaufenen Saison, etwa beim Aufstiegsspiel der Eintracht Frankfurt: Nach einem Gerangel zwischen Fans und einem Ordner hatten zweihundert Polizisten in Kampfmontur den Eintracht-Fanblock gestürmt und Pfefferspray gesprüht.
Erst nachdem Eintracht-Spieler die Polizei persönlich darum ersuchten, die Kurve zu verlassen, konnten Fans und Mannschaft den Aufstieg feiern. Später am Abend riegelte die Polizei mehrere Stunden lang Teile des Stadtviertels Sachsenhausen ab, stürmte Fankneipen und setzte Reizgas ein. Die übertriebener Polizeikritik gemeinhin unverdächtige "Bild"-Zeitung schrieb anderntags: "Liebe Polizei, das war gewaltig überzogen. Behandelt Fans nicht wie Feinde, dann seid ihr auch keine für sie."
"Polizeiwillkür, Hooliganhysterie und Repressionen"
Am Mittwoch, dem Eröffnungstag des Confederations Cup, wollen Fans aus ganz Deutschland in Frankfurt gegen "Polizeiwillkür, Hooliganhysterie und Repressionen" demonstrieren. "Es kann nicht sein, daß in Deutschland ein Klima der Angst geschaffen wird, daß ein Szenario skizziert wird, welches gar nicht existiert", heißt es im entsprechenden Aufruf. "Wir alle sind an einer friedlichen und stimmungsvollen WM interessiert, müssen aber feststellen, daß man uns ausschließen will, indem man uns in die kriminelle Ecke drängt."
Dabei gebe es eine klare Abgrenzung zur Hooligan-Szene, wie Philipp Markhardt sagt, der als Vertreter der deutschen Fanorganisation "ProFans" die Demonstration mitorganisiert hat. "Ich wüßte nicht, daß sich Ultras auf der grünen Wiese verabreden" - eine Anspielung auf Praktiken bei Hooligans. Deren Schlägereien sind heute meist abgesprochen und werden auf Autobahnparkplätzen oder abgelegenen Äckern ausgetragen. Kein Außenstehender kommt zu Schaden, die Polizei weiß meist von nichts. Dieter Mundt, der seit 13 Jahren als "szenekundiger Beamter" die Fußballfans im Visier hat, kann bestätigen, daß Hooligan-Auseinandersetzungen kaum mehr, wie noch in den Neunzigern, im Stadionumfeld stattfinden: "In unserer Arena ist es in den letzten Jahren kaum zu gewalttätigen Aktionen gekommen, die von Hooligans ausgingen."
Dennoch könnte das Verhältnis zwischen Fans und Sicherheitskräften sowie DFB kaum angespannter sein. So ist es beispielsweise schon seit längerer Zeit üblich, auswärtige Fans per Wanderkessel zum jeweiligen Stadion zu eskortieren. Auf Schalke wartet gar ein Dutzend Gelenkbusse am Bahnhof, um die Gäste-Fans in einer Art Gefangenentransport zur Arena zu geleiten. Durch einen vergitterten Gang geht es direkt in den Gästeblock. "Bei Freunden zu Gast - fühl dich wie im Knast", lautet der Spruch auf einem unter Fans beliebten Anti-WM-T-Shirt.
Werden aus Ultras nun Hooligans?
Aggressivem Fanverhalten begegnen die Ordnungshüter drakonisch: Wer pöbelt oder renitent wird, kommt in die deutsche "Datei Gewalttäter Sport" mit derzeit 6.200 Einträgen. Diese wiederum ist Grundlage für die Erteilung von Stadionverboten durch den DFB - davon sind momentan rund 2370 Fans betroffen. Ob diese tatsächlich "sicherheitsbeeinträchtigend" aufgefallen sind, muß von keiner gerichtlichen Instanz festgestellt werden, da die Stadionverbote auf Basis des Hausrechts der Vereine ausgesprochen werden. Es reicht ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren. Immerhin ist es Fanvertretern gelungen, für die Neufassung der Stadionverbots-Richtlinien ein Anhörungsrecht durchzusetzen.
"Ein Abgleiten in Gefahrenphantasien und -hysterie hilft uns nicht weiter", so der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU), Ende Mai bei der Präsentation des Nationalen Sicherheitskonzeptes für die WM 2006. Dennoch scheint es, als hätte die zunehmend repressive Gangart gegenüber Fans einen unerwünschten Effekt gehabt. Von einer "Steigerung der Aggressivität von Angehörigen der Ultra-Gruppierungen" berichtet der jüngste Jahresbericht der Zentralen Informationsstelle Sporteinsätze ebenso wie von einer "Solidarisierung gegenüber Mitarbeitern der Ordnungsdienste und Einsatzkräften der Polizei". Der Sportsoziologe Gunter A. Pilz, der zur Zeit im Auftrag des DFB ein Gutachten über die Ultra-Szene erstellt, hat vorsorglich schon mal das Schlagwort vom "Hooltra" in die Diskussion geworfen und gegenüber einer Zeitung erklärt: "Die Ultras bekennen sich auf ihren Internetseiten klar zur Gewalt. Man muß seinen Haß gegen Ultras anderer Vereine 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche leben."
Die Fandemonstration zum Auftakt des Confederations Cup - laut Innenministerkonferenz ein Testfeld für das WM-Sicherheitskonzept - stützt diese These nicht: "Getrennt bei den Farben, vereint in der Sache" lautet das Motto, an der Vorbereitung waren allein 48 unterschiedliche Ultra-Gruppierungen beteiligt. Von der "Ultra-Studie" des Fanexperten Pilz hält man bei den "Chosen Few" ohnehin nicht sehr viel, die HSV-Fans haben eine Beteiligung daran rundweg abgelehnt. Als die Bögen vor zwei Jahren bei ihnen eintrudelten, haben sich viele über die Oberflächlichkeit der Fragen gewundert. "Ich kann ankreuzen, daß mein Verhältnis zu den Sicherheitsorganen schlecht ist", schrieb Philipp Markhardt damals der wissenschaftlichen Assistentin von Pilz. "Wird nach einem Grund gefragt? Nein! Interpretation des Ganzen: Ultras sind gewalttätig und kriminell!"
Text: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.06.2005, Nr. 23 / Seite 60
Bildmaterial: AP
-----------------------------------------------------------
Nette Zukunft, die man als Fan da vor sich hat....
nach "erlebnisorientiert" kommt der "Wanderkessel"..
- Domingo
- Erfahrener Benutzer
- Beiträge: 7114
- Registriert: 07.12.2004, 07:58
- Wohnort: Oberwil BL/C3
- Kontaktdaten:
diesen Wanderkessel gibt/gab es in ZH schon etliche Male
kommt auf die Definition von Kessel an, aber im Prinzip hat Rotblau (nicht der User
) das schon hinter sich

kommt auf die Definition von Kessel an, aber im Prinzip hat Rotblau (nicht der User
Wenn Du redest, muss Deine Rede besser sein, als es Dein Schweigen gewesen wäre
Lizenzierung meiner Beiträge: Alle Rechte vorbehalten - Domingo 2004 bis 2025
Lizenzierung meiner Beiträge: Alle Rechte vorbehalten - Domingo 2004 bis 2025
- Gevatter Rhein
- Erfahrener Benutzer
- Beiträge: 661
- Registriert: 13.12.2004, 07:39
- Kontaktdaten:
Ein "Wanderkessel", sprich die 'Begleitung' des Mobs zum Stadion, ist mE absolut problemlos. Siehe zB Mailand (abgesehen davon, dass einige Cops etwas unnötig nervös waren, gings da eigentlich sehr ruhig und professionell zu).
[CENTER](c) by Gevatter R.- alle Rechte vorbehalten
Dieser Beitrag richtet sich kostenfrei und ausschliesslich an die Leser dieser Webseite. Jegliche Verwendung ausserhalb dieses Forums ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Autors gestattet. Zitate nur mit Quellenangabe.
Dieses Posting ist ungeschützt und könnte während der Übermittlung oder nachträglich
von Dritten verändert werden. Ich schliesse deshalb jede Haftung oder rechtliche
Verbindlichkeit für elektronisch versandte Nachrichten aus.
[/CENTER]
Dieser Beitrag richtet sich kostenfrei und ausschliesslich an die Leser dieser Webseite. Jegliche Verwendung ausserhalb dieses Forums ist nur mit schriftlicher Zustimmung des Autors gestattet. Zitate nur mit Quellenangabe.
Dieses Posting ist ungeschützt und könnte während der Übermittlung oder nachträglich
von Dritten verändert werden. Ich schliesse deshalb jede Haftung oder rechtliche
Verbindlichkeit für elektronisch versandte Nachrichten aus.
[/CENTER]
Ok, gebe dir darin recht.Gevatter Rhein hat geschrieben:Ein "Wanderkessel", sprich die 'Begleitung' des Mobs zum Stadion, ist mE absolut problemlos. Siehe zB Mailand (abgesehen davon, dass einige Cops etwas unnötig nervös waren, gings da eigentlich sehr ruhig und professionell zu).
Ich finde den Artikel aber auch sonst ganz lesenswert.
Der Begriff Wanderkessel war für mich neu, die Bedeutung/Anwendung war schon bekannt. Ich kannte auch das Wort "erlebnisorientiert" bereits vor dem Dezember 04
-
pete boyle
- Erfahrener Benutzer
- Beiträge: 688
- Registriert: 06.12.2004, 22:11
Guter Artikel.
1. Pilz ist ein Vollidiot.
2. Wanderkessel wären der absolute Untergang der letzten noch vorhandenen Autonomität der Fans und der perfekte Schritt Richtung deutsche Verhältnisse - nein Danke.
3. Im Artikel wird wieder einmal klar, wer in Deutschland die Schwerverbrecher sind - nämlich die Bullen.
4. Elektro-Distanzwaffen... verdammt nochmal wo sind wir?
5. Aufzählungen sind scheisse.
1. Pilz ist ein Vollidiot.
2. Wanderkessel wären der absolute Untergang der letzten noch vorhandenen Autonomität der Fans und der perfekte Schritt Richtung deutsche Verhältnisse - nein Danke.
3. Im Artikel wird wieder einmal klar, wer in Deutschland die Schwerverbrecher sind - nämlich die Bullen.
4. Elektro-Distanzwaffen... verdammt nochmal wo sind wir?
5. Aufzählungen sind scheisse.
- Auginho Basel
- Erfahrener Benutzer
- Beiträge: 169
- Registriert: 07.12.2004, 09:30
Stimmt, man musste in Schalke ja nicht vom Wanderkessel gebrauch machen.Man konnte gemütlich am Bahnhof noch ein paar Bierchen schlürfen und dann mit dem Tram ins Stadion....tanner hat geschrieben:Wanderkessel wurde auf Schalke auch angewendet, aber nicht als zwang, sondern als "Dienstleistung"
es gab etliche die nicht in die Buse eingestiegen sind
fand die Fahrte ohne halt bis zu Stadion witzig
PRO Wanderkessel als Dienstleistung