Pro Video-Beweis im Profi-Fussball
Die Haltung von massgebenden Fussballbehörden und Gralshütern ist bekannt: Wann immer in diesem einfachen und doch komplexen Spiel der Ruf nach elektronischen Hilfsmitteln zur endgültigen Situationsbeurteilung ertönt, stellen sie sich taub. Als mehrheitlich im Konservatismus erstarrte Bewahrer der Reinheit der Fussballlehre weichen sie kein Jota ab vom Grundsatz, dass die Faszination des Fussballs gerade in seinen Unwägbarkeiten liege: in Fehlern und im Versagen, hüben wie drüben, unter Spielern wie Spielleitern. Diese Schutzvorkehrung ist für das Spiel per se ehrenwert, weil es ungleich häufiger auf sandigen Kirchenplätzen als in teppichbelegten Grossarenen stattfindet. Aber ist sie auch zeitgemäss? Schadet sie nicht letztlich der Entwicklung und der Glaubwürdigkeit des professionellen Fussballs?
Die Frage kommt zunehmend häufiger und bald schon regelmässig aufs Tapet, auch jetzt wieder im Schlussspurt der europäischen Saison mit häufig strittigen bis falschen Entscheiden - ganz speziell am Beispiel des samstäglichen DFB-Pokalfinals. Die virtuelle Realität mit der am Computer bzw. Bildschirm simulierten Wirklichkeit hat sich längst im Bewusstsein des TV-Konsumenten oder oft auch des Stadionbesuchers verankert. Sie lieferte schlüssige Antworten und Beweise, die in Echtzeit, von blossem Auge, in Normalgeschwindigkeit, beim einmaligen, oft oberflächlichen Hinschauen und ohne die Möglichkeit einer Nahaufnahme nie und nimmer stichfest zu bekommen sind. Mit diesem Argumentarium ziehen vor allem schnelle, wenig reflektierende Medien zunehmend polarisierender ins Feld, leisten damit dem Fehlverhalten auf den Rängen zusätzlich Vorschub und untergraben die Autorität des Schiedsrichtertrios in beängstigender Weise.
Skandalös, haarsträubend, katastrophal, bedenklich schwach: So lauteten ein paar Unfreundlichkeiten von Fernseh- und Boulevard-Reportern an die Adresse des - im Lande angesehenen - Referee-Trios nach dem sehr schwierig zu leitenden deutschen Cup-Final mit Parteien, die sich nichts zu schenken gewillt waren und sich ordentlich mit Händen und Füssen malträtierten. Dass selbst der politische Moderator des «Berichts aus Bonn» noch seinen Senf - «gruselig» - zur adjektivischen Ausschmückung der verheerenden Kritik auszudrücken bereit war, veranschaulicht letztlich nur die bekannt starken Gemütserregungen, die Weinerlichkeit und Aufregung in unserem nördlichen Nachbarland, wenn es um Fussball geht: noch akzentuiert seit der Hoyzer- Schiedsrichter-Affäre.
Natürlich hatte ein Schalker mit beiden Händen ungestraft ein Bayern-Tor im Strafraum verhindert; bestimmt hatte Pizarro die Münchner aus regulärer Situation in Führung gebracht und wurde fälschlicherweise aus dem Abseits gewinkt. Sicherlich war die Intervention gegen Ailton, die zum Ausgleich führte, nicht penaltywürdig - und garantiert kam das Siegestor des nachmaligen Gewinners aus dem Offside zustande. Aber: Der gestrenge und im (Abseits-)Regelwerk nicht gar so sattelfeste ARD-Kommentator wartete - wie die meisten Fernsehzuschauer - stets das wiederholte und verlangsamte Bild seiner Kameramänner ab, ehe er hochnäsig sein Urteil fällte. Es fiel nicht schmeichelhaft aus für das bemitleidenswerte Spielleitertrio, das in der Hektik, dem Wirrwarr oder der Schnelligkeit und ohne Korrektiv handeln musste. Es ist eine unwiderlegbare Tatsache, dass die richtige Beurteilung von vielen Abseitspositionen das menschliche Auge weit überfordert.
Deshalb besteht Handlungsbedarf. So kann es nicht weitergehen. Wenn, wie im Berliner Olympiastadion auf grossen Video- Wänden geschehen, der tobenden Fan-Masse noch die Fehler der Schiedsrichter auf dem Präsentierteller in Slow Motion vorgesetzt werden, dann drohen Teile des Publikums des letzten Rests von Anstand und das Fussballspiel seiner Authentizität gleichwohl verlustig zu gehen. Fifa und Uefa haben dieser Art von «Transparenz der Bilderschau» («FAZ») bisher einen vernünftigen Riegel geschoben. Schliesslich können sie nicht Szenen und damit Video-Beweise öffentlich machen, die sie in der Entscheidungsfindung nicht zulassen. In Berlin waren, wie die «FAZ» schrieb, die Folgen eines «visuellen Zusatzprogramms» zu erahnen.
Rhythmus, Wucht und Athletik des modernen professionellen Spitzenfussballs haben sich derart weiterentwickelt, dass der Video-Beweis, analog zum Eishockey, viele Vorteile verspricht. Vor allem Fairness.
rei.
http://nzz.ch/2005/05/31/sp/kommentarCUX9W.html