solche Helikoptereltern kenne ich auch zuhauf. Echt mühsam, wenn sich unsere Kinder rangeln und diese Mütter dann dazwischengehen und die Moralapostel mimen.
Ein normaler Tag in einem kleinen Dorf der Region Basel. Munter gehen Joel und Linda aus dem Haus. Keine hundert Meter weiter ist die Freude vorbei. Zwei Frauen weisen sie an, sich in die Kindergruppe einzureihen. Von den Mutter-Soldaten bewacht müssen sie in Zweierreihe über den Fussgängerstreifen und den Berg hoch zum Kindergarten marschieren. An anderen Orten werden die Kinder von den Eltern mit dem Wagen vor das Schulhaus gekarrt und verursachen einen riesigen Verkehrsstau, der die zu Fuss gehenden Kinder behindert.
Die Gemeinde Aesch hat auf die Mami-Taxis reagiert. «Mit Plakaten weisen wir darauf hin, dass ein solcher Taxi-dienst unnötig ist», sagt Gemeindepräsidentin Marianne Hollinger. Seither sei das Verkehrschaos rund um das Schulhaus kleiner geworden. So habe man den Kindern den Schulweg und damit viele schöne Erlebnisse zurückgeben können.
Tatsächlich ist in den meisten Städten und Dörfern die Zeit vorbei, als die Kinder auf dem Schulweg Entdeckungen machen und sie Zeit fern vom überwachten Elternhaus oder Schulalltag verbringen konnten. Kontrolliert von medizinischer Technik werden sie aus dem Mutterleib entlassen und fortan mit Hightech-Instrumenten und menschlichem Einsatz rund um die Uhr überwacht. Wie millionenteure Rennpferde, die zum Sieg der Triple-Crown emporgehätschelt werden, stehen sie im Fokus von Erziehern, Betreuern und Therapeuten. Ihr Leben ist durchstrukturiert, das Verharren im Augenblick ist tabu, das glückselige Verweilen auf der Suche nach den alltäglichen kleinen Geheimnissen ebenso.
Ständig um die Kinder kreisend
Vollkommene Kontrolle über die Kinder zu haben, scheint ein neuer *Lebensinhalt von vielen Eltern zu sein – Helikopter-Eltern werden die überbehütenden Mütter und Väter genannt, die sich in alles einmischen und ihren Kindern jegliche Probleme vom Hals halten wollen. Für Lehrer sind sie mittlerweile die grössere Belastung als der Teil, der die Kinder vernachlässigt. «Sie glauben, dass man Unterricht wie im Laden aussuchen kann», sagt eine Lehrerin und eine andere fügt resigniert hinzu: «Ihnen ist weniger wichtig, dass das Kind etwas lernt, als dass es eine gute Note schreibt.» Kommt hinzu, dass in allen Schulen die Rechtsstreitigkeiten zugenommen haben. Immer mehr Eltern rücken mit dem Anwalt an, wenn sie mit einer Note nicht zufrieden sind.
Noch nie haben sich Eltern so sehr um die Zukunft ihrer Sprösslinge gesorgt und noch nie waren die Praxen von Therapeuten so voll mit verhaltensauffälligen Kindern. Die Überwachung geht so weit, dass Väter ihren Kindern Webcams in die Zimmer montieren, wie ein Fall aus dem Baselbiet zeigt. Andere Kinder müssen auf dem Handy dauernd *erreichbar sein.
«Es werden heute immer mehr Kinder von den Erwachsenen überwacht», bestätigt Erziehungswissenschaftler Marco Hüttenmoser den übertriebenen Kontrollwahn. Doch er sieht einen wesentlichen Grund der elterlichen Übervorsorge in der Angst der Eltern vor dem Verkehr. «Die Quartierstrassen müssen mehr für die Kinder da sein.»
«Diese übertriebene Fürsorge tut den Eltern selbst wohl besser als den Kindern», sagt Elsbeth Stern, Professorin für Lern- und Lehrforschung am *Institut für Verhaltenswissenschaft an der ETH in Zürich. Sie schreibt dieses Verhalten jedoch dem gesellschaftlichen Druck zu: «Wenn etwas passiert, so werden die Eltern gnadenlos verurteilt.» Doch natürlich bleibe eine solche Überfürsorge nicht ohne Wirkung. «Die Kinder werden unselbstständig.» Ihr Rat: Ausrechnen, wie hoch ein Risiko ist, und sich dann bewusst entscheiden, dieses einzugehen oder eben nicht. So könnten die Kinder sachte an den Umgang mit Risiken herangeführt werden und seien später vor Gefahren besser geschützt.
Der deutsche Kinderpsychiater Michael Winterhoff spricht in seinem Buch «Lasst Kinder wieder Kinder sein!» denn auch davon, dass Erwachsene besser daran täten, sich selbst zu erziehen und aus dem Hamsterrad der ewigen Sorge über die nächste Katastrophe herauszutreten. Geschädigt durch die stete Nachrichtenflut und die mangelnde Fähigkeit, sich abzugrenzen, kompensiere man das Defizit über die Beziehung zum Kind. Viele fallen in eine ungesunde Symbiose: fühlen, denken und handeln stellvertretend für das Kind.
Mit Fragen von Risiko und Wirkung muss sich Andreas M. Walker, früher Präsident des Elternrats Gellert und heute Schulrat, häufig auseinandersetzen. Dabei stösst der Vater von vier Kindern im Alter zwischen 9 und 19 Jahren öfter auf übertriebene Fürsorge, als ihm lieb ist: «Für mich ist es das Normalste der Welt, wenn sich Buben rangeln», sagt er. Viele Mamis würden das allerdings anders sehen.
Kinder als Lifestyle-Projekt
Doch Walker nervt vor allem, wenn Eltern ihr Kind als Lifestyle-Projekt sehen. Er sieht immer wieder Mütter und Väter, die ständig um ihre Sprösslinge kreisen, sie überwachen, manipulieren oder steuern. «Da gibt es Väter, die als Erstes betonen, dass ihr Freund Anwalt ist», sagt der 48-jährige Basler, der gerne lacht. Das Leben der Kinder sei für solche Eltern schon vorgeplant: Die Matur müssen sie machen, studieren und viel Geld verdienen. «Bei denen geht es nicht um die Freude darüber, ihr Leben mit dem Kind zu verbringen, sondern sie wollen ein Vorzeigeobjekt.» Dann kichert er leise durchs Telefon: «Am meisten amüsiere ich mich, wenn Väter auf Facebook mit den Bildern ihrer Töchter angeben.»
Walker nennt die heutigen Jugendlichen Generation Y: Junge Leute, die *alles serviert bekamen und nie mit den Härten des Lebens konfrontiert worden sind. Wenn diese später im Leben einmal Leistung zeigen sollen und nicht ständig gehätschelt und gelobt werden, so seien sie verloren. «Ich kenne so manchen Arbeitgeber, der nicht weiss, wie er diese jungen Leute integrieren soll», sagt er.
Mutter verharrt in Opferhaltung
Wenn die Eltern wirklich glücklich dabei wären, könnte man es vielleicht noch verstehen. Doch vor allem Mütter begeben sich häufig in eine Opferhaltung: Servieren ihren Halbwüchsigen mit leidender Miene das Essen, ohne zu verlangen, dass sie mit anpacken, streichen ihnen am Morgen das Pausenbrot, fahren sie seufzend zum Ballett oder zum Fussball, spielen Weckdienst, machen mit ihnen Hausaufgaben und überlegen sich kaum je, ob es den Kindern und Jugendlichen nicht besser tun würde, mal auf sich selbst gestellt zu sein.
Der dänische Erziehungswissenschaftler Jesper Juul, der vor einiger Zeit in Basel referierte, nimmt denn auch kein Blatt vor den Mund. Er sagt zu Müttern: «Geht ruhig Kaffee trinken oder macht etwas Vernünftiges mit eurem Leben. Aber seid nicht immer bei den Kindern. Die kriegen viel, viel, viel zu viel Aufmerksamkeit.» Juul spricht auch von Neoromantikern und meint dabei Eltern, die lächelnd «bitte» sagen und Konjunktive benutzen, bis ihre Kinder verwirrt sind. Weil sie Konflikte scheuen und Entscheidungen dem Nachwuchs überlassen, tanzen ihnen die lieben Kleinen auf der Nase herum. «Viele Eltern benehmen sich heute wie Flugbegleiter», sagt Juul. Eine Mutter, die unzufrieden ihre Halbwüchsigen bedient, missachte nicht nur ihre Grenzen. Sie sei auch ihrer Tochter ein schlechtes Vorbild – als hiesse Frau sein, Dinge zu tun, die man nicht will.
Viele Eltern versuchen zudem, mit übertriebenem Lob ihre Kinder zu motivieren, und verfolgen dabei doch nur ein Ziel: Die Kinder so zu beeinflussen, dass sie tun, was sie sollen. Früher oder später jedoch durchschauen diese das Spiel. «Ich habe das Gefühl, ich sei zur Welt gekommen und manipuliert worden», sagt ein junger Mann, der heute mit seinen Eltern nichts mehr zu tun haben will und mit Depressionen zu kämpfen hat. Und ein anderer: «Auch wenn meine Eltern mich gelobt haben, sie wollten stets ein Ziel erreichen: dass ich das tue, was sie wollen. Das war besonders brutal, weil man als Kind auf die Liebe der Eltern angewiesen ist und sie nicht enttäuschen will.»
Jesper Juul sagt zwar, dass Kinder Führung brauchen und Eltern, die einigermassen wissen, was sie wollen. Doch sie sollen die Ansprüche und Erwartungen offen und ehrlich formulieren. So dürfe eine Mutter deutlich sagen: «Nein, ich will dir jetzt keine Geschichte vorlesen. Ich will Zeitung lesen.» Das sorge vielleicht für Konflikte und Frustration. Doch daran, so Juul, wachsen Kinder. Solange ihnen niemand Schuldgefühle macht.
Auch Ausflippen ist erlaubt
Juul macht den Eltern jedoch auch Mut. Es sei nicht schlimm, mal auszuflippen und die Kleinen anzubrüllen. Nur Romantiker würden glauben, dass ihre Gefühle dem Kind schaden. Viel schlimmer sei jedoch die Abwesenheit von Gefühlen.
Fast scheint, dass wir vor einer *Generation von Eltern stehen, die vor lauter Unsicherheit ihr Bauchgefühl verloren haben. Gefragt sind wieder mehr Bodenständigkeit, Spontaneität und Intuition in der Erziehung. (Basler Zeitung)