«Ich bin doch auch nur ein Mensch». BaZ-Interview mit Philipp Degen
Verfasst: 02.09.2005, 06:43
«Ich bin doch auch nur ein Mensch»
Richtungsweisend. Philipp Degen verliert nur selten den Humor. Foto Lafargue
MARCELROHR, Feusisberg
Nie zuvor hat ein Schweizer Nationalspieler so viel Kritik einstecken müssen wie Philipp Degen in Dortmund. Doch der Lampenberger lässt sich nicht unterkriegen.
Die Anekdote kommt ganz am Ende. «Kürzlich», erzählt Philipp Degen, «habe ich die Fussballschuhe von Jan Koller angezogen. Ich sah aus wie ein Clown.» Zur Erklärung: Koller, der Hüne aus Tschechien im BVB-Sturm, misst 202 Zentimeter Körperlänge - und trägt Schuhgrösse 52. Etwas gar gross für Degen, der schmunzelnd anfügt: «Koller ist mir eine Schuhnummer zu gross. Nicht aber Dortmund!» Das Ausrufezeichen muss sein, es gehört zum Ausdruckstil, den sich der rechte Aussenverteidiger in den letzten zwei Monaten aneignen musste und die der 22-Jährige selbst überspitzt als «Hölle» bezeichnet.
Passiert war Folgendes: Dortmund gewann mit Neuzugang Degen keines seiner ersten, wichtigen Saisonspiele. Der Traditionsverein aus dem Westen Deutschlands purzelte zuerst aus dem UI-Cup, verlor in der Liga das Derby gegen Erzrivalen Schalke - und machte sich dann noch zum Gespött der Nation, als man im DFB-Pokal über den Zweitligisten Braunschweig strauchelte.
Donnerhall. Das Opfer für die unbefriedigenden Auftritte war schnell gefunden: der neue, freche Aussenverteidiger aus der kleinen Schweiz. Degen ist kopfballschwach; Degen steht falsch; Degen spielt falsch ab; Degen verteidigt nicht; Degen ist unbrauchbar: Das war der mediale Donnerhall, der dem einstigen Basler Spieler um die Ohren dröhnte. Und selbst sein Trainer, Bert van Marwijk (53), stauchte ihn vor versammelter Mannschaft zusammen. «Er forderte, ich solle endlich das machen, was er sage, und nichts anderes», erinnert sich Degen.
So viel Schelte geht auch an einem so aufgestellten Zeitgenossen wie Degen nicht spurlos vorbei: «Es hat mich sehr gekratzt. Ich habe schlecht geschlafen. Und ich habe mich immer wieder gefragt, was ich wirklich falsch mache.» Klar ist: Das verlorene Kopfball-Duell gegen Kevin Kuranyi im Schalke-Match ging auf sein Konto. Ebenfalls einen Bock schoss er in Braunschweig, «da hätte ich den Ball wegdreschen sollen». Aber sonst?
Sonst war der Schweizer gar nicht so schlecht. Das bestätigte ihm auch Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc, mit dem er «ein sensationelles» Verhältnis pflegt. Dazu halfen Gespräche mit seinen Eltern sowie seinem Zwillingsbruder David. Denn Philipp hat zwar ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, aber auch eine weiche Seite: «Ich bin doch auch nur ein Mensch.» Mit Christian Wörns, Christoph Metzelder, Sebastian Kehl und Roman Weidenfeller geht er regelmässig essen, sie haben den Single im Kreis der Mannschaft gut aufgenommen.
Haifischbecken. Und nach gut zwei Monaten Bundesliga ist für den Baselbieter klar: «Die Liga ist ein Haifischbecken sondergleichen. Unglaublich, dieser Druck, der herrscht. Die Leute geben ihre letzten Euro her für den Club. Aber wehe, du gewinnst nicht. Kehl und die anderen Spieler haben mir geraten, keine Zeitungen mehr zu lesen. Und das hilft wirklich.» Am letzten Sonntag, beim Remis in Duisburg, erhielt Degen erstmals gute Kritiken, auch der Trainer war zufrieden mit ihm.
Das gibt ihm, der in Dortmund alleine eine 4-Zimmer-Wohnung bezogen hat, noch mehr Zuversicht, trotz allem auf dem richtigen Weg zu sein. Und vorgenommen hat er sich vor allem eines: «Ich konzentriere mich nur auf mich. Und ich höre nur auf das, was Trainer, Spieler und Familie sagen. Alles andere interessiert mich nicht mehr.»
Konzentrieren muss er sich auch morgen, gegen Israel im Basler St.-Jakob-Park. Die Schweizer Nationalmannschaft ist nicht Dortmund; im Kreis von Köbi Kuhn fühlt sich der Ex-FCB-Spieler «total akzeptiert, es ist etwas Harmonisches gewachsen». Dann zeigt Degen auf seine Nase und schiebt den Satz nach: «Wir riechen es alle, wir sind nahe an der WM.» Dafür braucht es einen Sieg. Und einen Degen, der sein ganzes Potenzial abruft. Dann kommt er seinem Ziel, das er sich bis Mittwoch gesetzt hat, näher: «Zwei Siege gegen Israel und Zypern, dann sind wir fast an der WM - und ich komme mit breiter Brust nach Dortmund zurück.»
© 2005 National Zeitung und Basler Nachrichten AG
Richtungsweisend. Philipp Degen verliert nur selten den Humor. Foto Lafargue
MARCELROHR, Feusisberg
Nie zuvor hat ein Schweizer Nationalspieler so viel Kritik einstecken müssen wie Philipp Degen in Dortmund. Doch der Lampenberger lässt sich nicht unterkriegen.
Die Anekdote kommt ganz am Ende. «Kürzlich», erzählt Philipp Degen, «habe ich die Fussballschuhe von Jan Koller angezogen. Ich sah aus wie ein Clown.» Zur Erklärung: Koller, der Hüne aus Tschechien im BVB-Sturm, misst 202 Zentimeter Körperlänge - und trägt Schuhgrösse 52. Etwas gar gross für Degen, der schmunzelnd anfügt: «Koller ist mir eine Schuhnummer zu gross. Nicht aber Dortmund!» Das Ausrufezeichen muss sein, es gehört zum Ausdruckstil, den sich der rechte Aussenverteidiger in den letzten zwei Monaten aneignen musste und die der 22-Jährige selbst überspitzt als «Hölle» bezeichnet.
Passiert war Folgendes: Dortmund gewann mit Neuzugang Degen keines seiner ersten, wichtigen Saisonspiele. Der Traditionsverein aus dem Westen Deutschlands purzelte zuerst aus dem UI-Cup, verlor in der Liga das Derby gegen Erzrivalen Schalke - und machte sich dann noch zum Gespött der Nation, als man im DFB-Pokal über den Zweitligisten Braunschweig strauchelte.
Donnerhall. Das Opfer für die unbefriedigenden Auftritte war schnell gefunden: der neue, freche Aussenverteidiger aus der kleinen Schweiz. Degen ist kopfballschwach; Degen steht falsch; Degen spielt falsch ab; Degen verteidigt nicht; Degen ist unbrauchbar: Das war der mediale Donnerhall, der dem einstigen Basler Spieler um die Ohren dröhnte. Und selbst sein Trainer, Bert van Marwijk (53), stauchte ihn vor versammelter Mannschaft zusammen. «Er forderte, ich solle endlich das machen, was er sage, und nichts anderes», erinnert sich Degen.
So viel Schelte geht auch an einem so aufgestellten Zeitgenossen wie Degen nicht spurlos vorbei: «Es hat mich sehr gekratzt. Ich habe schlecht geschlafen. Und ich habe mich immer wieder gefragt, was ich wirklich falsch mache.» Klar ist: Das verlorene Kopfball-Duell gegen Kevin Kuranyi im Schalke-Match ging auf sein Konto. Ebenfalls einen Bock schoss er in Braunschweig, «da hätte ich den Ball wegdreschen sollen». Aber sonst?
Sonst war der Schweizer gar nicht so schlecht. Das bestätigte ihm auch Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc, mit dem er «ein sensationelles» Verhältnis pflegt. Dazu halfen Gespräche mit seinen Eltern sowie seinem Zwillingsbruder David. Denn Philipp hat zwar ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein, aber auch eine weiche Seite: «Ich bin doch auch nur ein Mensch.» Mit Christian Wörns, Christoph Metzelder, Sebastian Kehl und Roman Weidenfeller geht er regelmässig essen, sie haben den Single im Kreis der Mannschaft gut aufgenommen.
Haifischbecken. Und nach gut zwei Monaten Bundesliga ist für den Baselbieter klar: «Die Liga ist ein Haifischbecken sondergleichen. Unglaublich, dieser Druck, der herrscht. Die Leute geben ihre letzten Euro her für den Club. Aber wehe, du gewinnst nicht. Kehl und die anderen Spieler haben mir geraten, keine Zeitungen mehr zu lesen. Und das hilft wirklich.» Am letzten Sonntag, beim Remis in Duisburg, erhielt Degen erstmals gute Kritiken, auch der Trainer war zufrieden mit ihm.
Das gibt ihm, der in Dortmund alleine eine 4-Zimmer-Wohnung bezogen hat, noch mehr Zuversicht, trotz allem auf dem richtigen Weg zu sein. Und vorgenommen hat er sich vor allem eines: «Ich konzentriere mich nur auf mich. Und ich höre nur auf das, was Trainer, Spieler und Familie sagen. Alles andere interessiert mich nicht mehr.»
Konzentrieren muss er sich auch morgen, gegen Israel im Basler St.-Jakob-Park. Die Schweizer Nationalmannschaft ist nicht Dortmund; im Kreis von Köbi Kuhn fühlt sich der Ex-FCB-Spieler «total akzeptiert, es ist etwas Harmonisches gewachsen». Dann zeigt Degen auf seine Nase und schiebt den Satz nach: «Wir riechen es alle, wir sind nahe an der WM.» Dafür braucht es einen Sieg. Und einen Degen, der sein ganzes Potenzial abruft. Dann kommt er seinem Ziel, das er sich bis Mittwoch gesetzt hat, näher: «Zwei Siege gegen Israel und Zypern, dann sind wir fast an der WM - und ich komme mit breiter Brust nach Dortmund zurück.»
© 2005 National Zeitung und Basler Nachrichten AG