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Ottmar Hitzfeld

Verfasst: 30.07.2005, 12:59
von Bodesurri
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Sie sind Deutscher, haben aber jahrelang in der Schweiz gearbeitet und wohnen hier. Wo ist für Sie Heimat?
Heimat ist dort, wo man sich geborgen fühlt. Heimat hat aber auch mit Sehnsüchten zu tun, mit Erinnerungen an die Kindheit. Ich wuchs in Lörrach auf, direkt an der Schweizer Grenze. Wir gingen ins Schwimmbad in der Schweiz, spielten Fussball auf einem Platz in der Schweiz.

Mein Vater, der Zahnarzt war, hatte viele Patienten jenseits der Landesgrenze. Als Familie unternahmen wir weit mehr Ausflüge in die Schweizer Berge als in den nahen Schwarzwald. In Engelberg, wo ich heute wohne, war ich schon als Kind in den Ferien. So war und ist die Schweiz für mich ein Stück Heimat.
Sie wurden quasi als halber Schweizer geboren?
Ja. Im Dreiländereck um Basel sind die Landesgrenzen tatsächlich willkürlich. Vom Ursprung her sind wir hier alles Alemannen und gehören zusammen.
Wie würden Sie den typischen Alemannen charakterisieren?
Die Alemannen sind seriöse Leute, in sich gekehrt und von Vorsicht geprägt. Sie sind stark in ihrer Heimat verwurzelt und deshalb nicht sehr weltoffen. Ich bin da keine Ausnahme. Mit 12 Jahren besuchte ich in St. Gallen das Internat, hatte aber Heimweh und kehrte nach Lörrach zurück. Später wollte ich in Mannheim studieren, doch hielt ich es wiederum nicht aus und kehrte heim. Erst als Profifussballer und Trainer lernte ich mich zu öffnen. Ich war gezwungen, in fremden Städten eine neue Heimat zu finden. Anfänglich fiel mir das schwer.
Verlieren die Grenzen im Zeitalter der Globalisierung grundsätzlich an Bedeutung?
Die Landesgrenzen werden weniger wichtig. Auch die Schweiz kommt nicht darum herum, sich zu öffnen. Allerdings erachte ich es als wichtig, dass die Schweiz ihre Neutralität bewahrt. Dank ihr lebt man hier sicherer. Das ist ein grosser Vorteil gegenüber anderen Ländern u2013 etwa Grossbritannien oder Italien, die als Alliierte der USA Truppen in den Irak schickten.
Kann Neutralität nicht auch ein anderes Wort für Feigheit sein?
Nein. Es ist gut, dass ein Land die Rolle des neutralen Diplomaten übernimmt und in Konflikten zu vermitteln versucht. Das ist eine wertvolle Aufgabe, welcher die Schweiz bisher immer gerecht wurde.
Als Grenzgänger kennen Sie die Deutschschweizer und die deutsche Mentalität. Gibt es da Unterschiede?
Wenn wir vom typischen Deutschen sprechen u2013 und nicht vom Süddeutschen, dem Alemannen u2013 , dann gibt es diese Unterschiede durchaus. Der typische Deutsche ist geprägt von einem gewissen Selbstbewusstsein. Das mag von der Geschichte herrühren, der wichtigen Rolle, welche Deutschland in Europa traditionell spielte. Dementsprechend selbstbewusst tritt der typische Deutsche auf, sei es im Wirtschaftsleben, in der Politik oder als Tourist im Ausland. Die Deutschen sind auch aggressiver als die Schweizer.
Sie trainierten deutsche und Schweizer Mannschaften. Machten sich da solche Mentalitätsunterschiede bemerkbar?
Sicherlich, wobei dies auch mit den unterschiedlichen Voraussetzungen in einem kleinen und einem grossen Land zusammenhängt. Zeigt in der Schweiz ein Kind fussballerisches Talent und geht in einen Verein, ist es meist keiner grossen Konkurrenz ausgesetzt. Wer gut ist, wird bereits ein Star. In Deutschland ist die Konkurrenz viel grösser. Nur gut zu spielen, genügt da nicht. Wer ein Star werden will, muss sehr gut werden und sich durchbeissen. Man muss also von allem Anfang an eine andere Mentalität an den Tag legen. Das zeigt sich auf dem Fussballfeld: Es wird mit härteren Bandagen gekämpft.
Ist auch das Umfeld anders, reagieren die Fans anders?
Ja. Der Schweizer ist vorsichtig, im Zweifelsfalle verheimlicht er lieber seine Meinung, als jemanden zu verletzen. In Deutschland geht es härter zur Sache, vor allem im Ruhrgebiet, wo ich Borussia Dortmund trainierte. Die Fans sprechen Klartext. Das kann beleidigend wirken, ist es aber nicht, weil die Kritik ehrlich gemeint ist. Überdies hat solche Kritik stets einen positiven Grundton. Nach einem verlorenen Match sagten die Fans beispielsweise: « Ottmar, das war sehr schlecht, aber im nächsten Match packen wir es wieder. » In der Schweiz nimmt man Niederlagen weniger tragisch, freut sich aber auch weniger über Siege. Man ist mit der Leistung nie ganz zufrieden, auch wenn eine Mannschaft hundert Prozent gekämpft hat. Es heisst dann, ein 1 zu 0 sei mager, man hätte 3 zu 0 gewinnen können. In Deutschland wird allein schon der Einsatz und der Kampfesgeist honoriert.
Was gefällt Ihnen denn an der Schweizer Mentalität?
Das Zurückhaltende u2013 ich bin ja selbst auch nicht der Typ, der offen auf Leute zugeht. Und mir gefällt eine gewisse Verbindlichkeit und Treue, welche die Menschen zeigen, wenn man sich mal ihr Vertrauen erarbeitet hat.
Als Trainer predigten Sie Ihren Spielern Leistungswillen und Disziplin. Wie steht es um diese Werte in der Gesellschaft?
Sie sind leider geschwächt worden. Der Ehrgeiz, etwas zu erreichen, ist heute nicht mehr gleich vorhanden wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Man identifiziert sich weniger mit seiner Aufgabe, nimmt sie weniger ernst. Das hat mit dem heutigen Wohlstand zu tun. Wir sind bequem geworden und vor allem darauf bedacht, uns ein Stück des Wohlstandes zu sichern.

Wir kämpfen wenig und riskieren wenig.
Ihr Plädoyer für Leistung kann zu einer egoistischen Gesellschaft führen u2013 mit einer Entsolidarisierung gegenüber den Schwächeren.

Diese Gefahr besteht. Doch spreche ich nicht nur von Leistung und Disziplin. Toleranz und Solidarität sind mir ebenso wichtig. Ich habe viel Verständnis für Schwächere, für sozial Benachteiligte. Allerdings verlange ich, dass sie sich bemühen, ihre Situation selbst zu verbessern. Wenn Vertrauen nicht gerechtfertigt wird, muss man sehr hart sein.
Sind Sie ein konservativer Mensch?
Leistung oder Disziplin sind keine konservativen Werte, sondern allgemein gültige. Diese Werte sind auch nicht verschwunden, man muss sie nur wieder wecken. Die Politiker sollten die Menschen motivieren, wieder stärker anzupacken.

Der Mensch braucht Ziele, er braucht Richtlinien, braucht Leader. Doch statt voranzugehen, jammern die Politiker lieber. Das stört mich am meisten, vor allem in Deutschland.
In der Schweiz wird ebenfalls geklagt über das fehlende Wachstum oder die Zukunft der AHV. Ist das im Vergleich zu Deutschland ein Jammern auf hohem Niveau?
In gewissem Sinne schon. Die Steuerlast ist in der Schweiz moderater, die Sozialversicherungsbeiträge sind weniger hoch. Deshalb wird mehr investiert, was wiederum mehr Arbeitsplätze schafft und das Land konkurrenzfähiger macht. Überdies wird in der Schweiz vorsichtiger politisiert: Man plant stärker in die Zukunft als in Deutschland, wo vor allem der schnelle Erfolg zwischen zwei Bundestagswahlen zählt. Die Schweizer wollen genau wissen, welche politischen und wirtschaftlichen Probleme in zwanzig, dreissig Jahren auf sie zukommen.
Die Schweiz steht besser da als Deutschland?
Gewiss. Mir persönlich imponiert auch das schweizerische System u2013 mit den regelmässigen Volksabstimmungen und der Beteiligung aller entscheidenden Parteien an der Regierung. In Deutschland besteht eine grössere Blockade- Gefahr: Die eine Volkspartei ist an der Macht, die andere versucht mit allen Mitteln den politischen Betrieb zu blockieren.
Sehen Sie auch Gefahren für die Schweiz?
Heikel mag sein, dass man sich wegen der Neutralität so sicher fühlt. Wenn man nicht angegriffen werden kann, bereitet man sich nicht auf die Abwehr vor und lässt sich eher gehen. Man muss ja nicht besser und stärker sein als andere. Das prägt. Problematisch ist sicherlich auch der fehlende Konkurrenzdruck u2013 nicht nur im Fussball, sondern auch in der Politik. In der Schweiz kann sich eine politische und gesellschaftliche Elite sehr schnell durchsetzen. In einem grösseren Land würde sie es möglicherweise nicht schaffen.
Was wünschen Sie der Schweiz zum Nationalfeiertag?
Dass sie sich auf dem bilateralen Weg weiter öffnet, ohne mit einem EU- Beitritt ihre Unabhängigkeit preiszugeben. Auf diesem Weg hat das Land bereits riesige Fortschritte gemacht, die ich mir vor zehn Jahren nicht hätte vorstellen können. Bürger aus den alten EU- Staaten dürfen heute in der Schweiz arbeiten, letztes Jahr kamen allein 11 000 Deutsche. Das erachte ich als positiv u2013 nicht aus Sympathie zu meinem Land, sondern weil so die Konkurrenz belebt wird. Es ist gut für die Schweiz, wenn sie sich stärker dem internationalen Wettbewerb stellt. Sagen die Stimmbürger auch Ja zur Erweiterung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EUStaaten in Osteuropa, wäre dies ein weiterer positiver und selbstbewusster Schritt.

Quelle TA

Verfasst: 30.07.2005, 13:10
von Heaven Underground
Bitte fassen sie den Text auf 180 Wörter zusammen. Danke :cool: