Alfred-Kunze-Sportpark (BSG Chemie Leipzig)
Verfasst: 07.06.2005, 12:48
Ich habe mal im alten Forum gesagt, dass ich aus "das Grosse Buch der Deutschen Fussballstadien" von Werner Skrentny einen Artikel über den Alfred-Kunze-Sportpark und den BSG Chemie Leipzig poste. Es lohnt sich ihn durchzulesen. Viel vergnügen.
Alfred-Kunze-Sportpark Leutzsch
Englische Atmosphäre" und Rest-von-Leipzig"-Legende
Es ist ein beeindruckender Blick von der letzten Stufe des hoch aufragenden Norddamms, einem imposanten Steh¬platzblock, wie man ihn vor dem Taylor-Report auf der britischen Insel oft vor¬fand: Ein enges, reines Fußballstadion ist da in Leipzig-Leutzsch über die Jahr¬zehnte entstanden, ebenso wie beim Lo¬kalrivalen VfB noch mit einer Holz¬tribüne, vor der der sog. Dammsitz (Vor¬tribüne) liegt. Weit geht die Sicht von hier oben über Leipzigs Nordwesten, zu Schloten, den obligatorischen Fabrikrui¬nen und einem Wasserturm.
16 Stehstufen wächst der Nord¬damm empor, ehe ihn ein breiter Weg unterbricht, mit Bande und Mauer. Da¬nach steigen die Anhänger des FC Sach¬sen Leipzig noch höher hinauf, weitere 20 Stufen! Dergleichen hat allenfalls Aa¬chens u201ETivoli" zu bieten. Die Tribüne nimmt die Hauptgerade ein, neben ihr hat ein Freizeit-Künstler in Grün-Weiß u201Eden Rest von Leipzig" lebensgroß als Plastiken aufgestellt, eine Leipziger Fußball-Legende. Nach Bildung des aus of¬fizieller Sicht angestrebten Spitzenklubs SC Leipzig aus Rotation und Lok hatte 1963/64 sensationell nämlich Neuling und Außenseiter Chemie die Meister¬schaft gewonnen und die Herzen der Fußballfreunde in der sächsischen Stadt erobert - Grundlage eines Mythos, der nach wie vor Bestand hat. Wie sonst könnte man ganze Familien nach Heim¬spielen durchs trostlose Leutzscher In¬dustrieviertel zu Fuß unterwegs sehen.
Auf der Gegengerade steht das Ver¬einshaus mit der u201ESachsenstube", da¬vor sind unüberdachte Sitzplätze, wei¬tere fünf Sitzreihen liegen seit der Wende unterm Dach. Das Stadion wirkt architektonisch uneinheitlich, doch kann man sich gut vorstellen, welcher u201EHexenkessel" sich dort bei Heimspie¬len des FC Sachsen durch die Nähe ent¬wickelt. Die Gästefans können das von zwei u201EKäfigen" aus beobachten.
Ein Gedenkstein erinnert an den früheren Namensgeber des Sportparks, Inschrift: u201EDieses Stadion trägt den ver¬pflichtenden Namen Georg Schwarz. 27.3.1896 - 12.1.1945. Einer der führen¬den Leipziger Kommunisten und Wider¬standskämpfer." Georg Schwarz, ein Leutzscher und Betriebsrat der dortigen Gießerei Jahn, hatte eine Widerstands¬gruppe gegen die Nazis u.a. bei Heim¬spielen auf dem Leipziger Tura-Platz or¬ganisiert. Ein Gestapo-Spitzel verriet ihn, er wurde hingerichtet.
Seit dem 27. Mai 1992 heißt die Sportstätte Alfred-Kunze-Sportpark. Kunze, ein 82-jähriger Fußball-Veteran, sah mit 10.300 Sportfreunden das u201EFest¬spiel" FC Sachsen gegen Altstar-Euro¬paauswahl (Rummenigge, Streich, Reinders, Förster-Brüder u.a.m., 2:3). Mit dem Akt ehrte der Verein den u.a. von 1963 bis 1967 amtierenden Trainer von Chemie Leipzig, der den Klub 1963/64 zur DDR-Meisterschaft und 1966 zum Pokalsieg geführt hatte. Kunze kam aus dem Arbeitersportverein VfL Leipzig-Stötteritz und schloss sich nach dem Verbot des Vereins durch die Nazis Wacker Leipzig an.
Regatta-Tribüne fürs Stadion
Der Stammbaum der Platzherrn vom FC Sachsen beginnt mit Britannia 1899, das auf der Lindenauer Schafwiese spielte und sich 1919 mit dem FC Hertha 05 zum Leipziger SV 1899 zusammen-schloss, der an der Merseburger Straße heimisch wurde. 1938 entstand Tura 1889 Leipzig aus LSV und dem SV Tura 1932 Leipzig, der zuvor am Cottaweg spielte, dann aber die Platzanlage im Leutzscher Auewald unweit des Bahn¬hofs übernahm, wo bis zum Verbot 1933 noch TuS Leutzsch von Rotsport ansäs¬sig war; den Platz hatte 1915 ein Arbei¬tersportverein errichtet. Mit Tura, als Gauligist hatte man die meisten Zu¬schauer nach Schalke 04, war ein weite¬rer DFB-Verein Nutznießer der Zerschla¬gung der Arbeitersportbewegung; dank des Sponsors, eines Automatenherstel¬lers, schaffte er es bis in die Gauliga. Nach weiteren Umbenennungen gab es die erwähnte legendäre BSG Chemie Leipzig, Anfang der 50er Jahre eine Spitzenmannschaft, die sich am 30. Mai
1990 in FC Grün-Weiß Leipzig umbe¬nannte und bereits im August dessel¬ben Jahres mit Oberligist FSV Bohlen den FC Sachsen bildete. Der verpasste 1991 die Qualifikation zur 2. Bundesliga und hat 2000 die Drittklassigkeit gesi¬chert.
Nach Kriegsende spielte im heutigen Alfred-Kunze-Sportpark die SG Leutzsch, die 1948 die Regatta-Tribüne vom Elsterflutbecken für ihr Stadion be¬kam. Als 1949 aus diversen Sportge¬meinschaften die ZSG (= Zentralsport¬gemeinschaft) Industrie Leipzig ent¬stand, erhielt die Spielstätte ihre heutige Gestalt: Statt 10.000 fanden nun 25.000 Raum, beim von Tumulten begleiteten Sachsen-Endspiel Dresden - Meerane (3:1) sollen es sogar 27.000 gewesen sein. Erneut turbulent wurde es im Sportpark, als es beim Aufeinandertref¬fen von Chemie und Zwickau am 10. De¬zember 1950 vor 25.000 zu Zuschauer-Ausschreitungen kam, die Wimpel der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft nicht angenommen wurden und Zwickau den Sportgruß verweigerte. Acht Spieler wurden gesperrt, Chemie durfte anderthalb Monate lang nicht mehr im Schwarz-Sportpark antreten.
Tumulte und Platzsperren
In der Spielzeit 1950/51 meldete der Schwarz-Sportpark mit 32.000 gegen Turbine Erfurt (0:1) eine neue Bestmarke und wieder eine Platzsperre, wieder nach einer Begegnung mit Zwickau (2:2). Die nächste Platzsperre war 51/52 fällig, als Chemie ohne Genehmigung ein Trainingslager in Kühlungsborn an der Ostsee veranstaltete. Dennoch wählte man den Verein 1952 aus, die DDR in Albanien zu repräsentieren -vermutlich eine Premiere. Doch schon 1952/53 setzte es wieder eine Heimspiel-Sperre. Die Atmosphäre war aufgeheizt, denn u201EChemiker" waren einen Tag vor Heiligabend zum SV Vorwärts KVP (= Kasernierte Volkspolizei) u201Edelegiert" worden, und die Umstände waren außergewöhnlich. Weil der Schwarz-Sportpark vereist war, wich man auf den Karl-Enders-Sportplatz aus. Chemie un¬terlag 0:1, obwohl zwei Akteure von Ro¬tation Babelsberg des Feldes verwiesen wurden. Nach dem 0:1 gegen die schließlich nur noch mit neun Akteuren anwesende Rotation Babelsberg stürm¬ten einige der 5.000 Fans den Platz und griffen die Babelsberger an, weshalb das nächste Chemie-Heimspiel (vor im¬merhin 18.000!) in Magdeburg ablief.
Irgendwie war die Chemie, gefördert vom u201EPaten" VEB Lacke und Farben, die Pechmarie. Beim Heimspiel am 11. Oktober 1953 - diesmal in Probstheida -fiel der Bus aus, so dass beim Anpfiff gegen Stahl Thale nur sieben Akteure präsent waren. 25.000 erlebten nach 2:3-Rückstand eine Aufholjagd zum 6:3-Erfolg, aber die Punkte wurden ebenso abgesprochen wie die sechs (!) Treffer von Rudi Krause. Bei anderer Gelegen¬heit musste der Oberligist gegen Lauter ins Erich-Steinfurth-Stadion im Leipzi¬ger Vorort Paunsdorf ausweichen, wo 22.000 Stadionrekord bedeuteten.
Im Sommer 1954 wurde Chemie von den Fußball-Verantwortlichen der DDR wegen u201Eunzureichender Industriebasis" (= Förderung) u201Eabgesägt". Fußballeri¬sches Aushängeschild der Stadt sollte der SC Lokomotive sein, bei dem der bisherige Chemie-Trainer Alfred Kunze amtierte, der mit seinem neuen Verein von Leutzsch ins Stadion des Friedens umzog. Chemie Leipzig-West war fünft-klassig - und 1963 plötzlich wieder in der Oberliga, weil der aus Lok und Rota¬tion gebildete SC Leipzig u201Ead acta" ge¬legt wurde. Selbst unter dem Aspekt, dass der Chemie-Anhängerschar von der Obrigkeit sehr viel zugemutet wurde, ist kaum nachzuvollziehen, dass es 1963/64 - wieder gegen Zwickau! -erneut zu Ausschreitungen im Schwarz-Sportpark kam. Die Volkspolizei nahm etliche Leute fest, zwei der Radaubrüder erhielten jeweils fünf Monate Gefäng¬nis, zwei weitere je vier Monate Haft we¬gen Haus- und Landfriedensbruch. Die BSG Chemie distanzierte sich, handelte sich aber umgehend die nächste Platz¬sperre ein (und mit dem Zentralstadion den sechsten Heimspiel-Ort ihrer DDR-Oberliga-Geschichte!) - u201Ebis zur Erfül¬lung der erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Organisation und Ge¬währleistung eines ordnungsgemäßen Abgangs des Schiedsrichter-Kollektives und der Spieler nach dem Spiel", wie es offiziell hieß. Im übrigen wurde Chemie in just jener Spielzeit als Neuling 1963/64 DDR-Meister... Danach war ein Transparent zu sehen mit der Aufschrift: u201ESogar der Papst geht in die Knie / Deut¬scher Meister wird Chemie" (Papst war Vorsitzender des Stadtrivalen SC Leip¬zig).
Als in der folgenden Saison der Schwarz-Sportpark nicht bespielbar war, wich man beim 0:0 gegen Aufbau Mag¬deburg wieder einmal ins Stadion des Friedens aus, und man kann sich vor¬stellen, was nun folgt: Chemie-Anhän¬ger stürmten bei Spielende den Platz, attackierten Magdeburger und Schiri und blockierten die Gästekabine. Dies¬mal gab's drei Heimspiele Sperre, u.a. gastierte man in Meerane, die BSG Che¬mie war endgültig gesamtdeutscher Platzsperren-Rekordhalter. Einheimische wenden ein, der DDR-Presse sei Chemie Leipzig u201Eein Dorn im Auge gewesen", im Gegensatz u201Ezum SED-Verein 1. FC Lok Leipzig", weshalb seitens der Medien versucht worden sei, den Anhang von Chemie u201Ezu kriminalisieren".
Alfred-Kunze-Sportpark Leutzsch
Englische Atmosphäre" und Rest-von-Leipzig"-Legende
Es ist ein beeindruckender Blick von der letzten Stufe des hoch aufragenden Norddamms, einem imposanten Steh¬platzblock, wie man ihn vor dem Taylor-Report auf der britischen Insel oft vor¬fand: Ein enges, reines Fußballstadion ist da in Leipzig-Leutzsch über die Jahr¬zehnte entstanden, ebenso wie beim Lo¬kalrivalen VfB noch mit einer Holz¬tribüne, vor der der sog. Dammsitz (Vor¬tribüne) liegt. Weit geht die Sicht von hier oben über Leipzigs Nordwesten, zu Schloten, den obligatorischen Fabrikrui¬nen und einem Wasserturm.
16 Stehstufen wächst der Nord¬damm empor, ehe ihn ein breiter Weg unterbricht, mit Bande und Mauer. Da¬nach steigen die Anhänger des FC Sach¬sen Leipzig noch höher hinauf, weitere 20 Stufen! Dergleichen hat allenfalls Aa¬chens u201ETivoli" zu bieten. Die Tribüne nimmt die Hauptgerade ein, neben ihr hat ein Freizeit-Künstler in Grün-Weiß u201Eden Rest von Leipzig" lebensgroß als Plastiken aufgestellt, eine Leipziger Fußball-Legende. Nach Bildung des aus of¬fizieller Sicht angestrebten Spitzenklubs SC Leipzig aus Rotation und Lok hatte 1963/64 sensationell nämlich Neuling und Außenseiter Chemie die Meister¬schaft gewonnen und die Herzen der Fußballfreunde in der sächsischen Stadt erobert - Grundlage eines Mythos, der nach wie vor Bestand hat. Wie sonst könnte man ganze Familien nach Heim¬spielen durchs trostlose Leutzscher In¬dustrieviertel zu Fuß unterwegs sehen.
Auf der Gegengerade steht das Ver¬einshaus mit der u201ESachsenstube", da¬vor sind unüberdachte Sitzplätze, wei¬tere fünf Sitzreihen liegen seit der Wende unterm Dach. Das Stadion wirkt architektonisch uneinheitlich, doch kann man sich gut vorstellen, welcher u201EHexenkessel" sich dort bei Heimspie¬len des FC Sachsen durch die Nähe ent¬wickelt. Die Gästefans können das von zwei u201EKäfigen" aus beobachten.
Ein Gedenkstein erinnert an den früheren Namensgeber des Sportparks, Inschrift: u201EDieses Stadion trägt den ver¬pflichtenden Namen Georg Schwarz. 27.3.1896 - 12.1.1945. Einer der führen¬den Leipziger Kommunisten und Wider¬standskämpfer." Georg Schwarz, ein Leutzscher und Betriebsrat der dortigen Gießerei Jahn, hatte eine Widerstands¬gruppe gegen die Nazis u.a. bei Heim¬spielen auf dem Leipziger Tura-Platz or¬ganisiert. Ein Gestapo-Spitzel verriet ihn, er wurde hingerichtet.
Seit dem 27. Mai 1992 heißt die Sportstätte Alfred-Kunze-Sportpark. Kunze, ein 82-jähriger Fußball-Veteran, sah mit 10.300 Sportfreunden das u201EFest¬spiel" FC Sachsen gegen Altstar-Euro¬paauswahl (Rummenigge, Streich, Reinders, Förster-Brüder u.a.m., 2:3). Mit dem Akt ehrte der Verein den u.a. von 1963 bis 1967 amtierenden Trainer von Chemie Leipzig, der den Klub 1963/64 zur DDR-Meisterschaft und 1966 zum Pokalsieg geführt hatte. Kunze kam aus dem Arbeitersportverein VfL Leipzig-Stötteritz und schloss sich nach dem Verbot des Vereins durch die Nazis Wacker Leipzig an.
Regatta-Tribüne fürs Stadion
Der Stammbaum der Platzherrn vom FC Sachsen beginnt mit Britannia 1899, das auf der Lindenauer Schafwiese spielte und sich 1919 mit dem FC Hertha 05 zum Leipziger SV 1899 zusammen-schloss, der an der Merseburger Straße heimisch wurde. 1938 entstand Tura 1889 Leipzig aus LSV und dem SV Tura 1932 Leipzig, der zuvor am Cottaweg spielte, dann aber die Platzanlage im Leutzscher Auewald unweit des Bahn¬hofs übernahm, wo bis zum Verbot 1933 noch TuS Leutzsch von Rotsport ansäs¬sig war; den Platz hatte 1915 ein Arbei¬tersportverein errichtet. Mit Tura, als Gauligist hatte man die meisten Zu¬schauer nach Schalke 04, war ein weite¬rer DFB-Verein Nutznießer der Zerschla¬gung der Arbeitersportbewegung; dank des Sponsors, eines Automatenherstel¬lers, schaffte er es bis in die Gauliga. Nach weiteren Umbenennungen gab es die erwähnte legendäre BSG Chemie Leipzig, Anfang der 50er Jahre eine Spitzenmannschaft, die sich am 30. Mai
1990 in FC Grün-Weiß Leipzig umbe¬nannte und bereits im August dessel¬ben Jahres mit Oberligist FSV Bohlen den FC Sachsen bildete. Der verpasste 1991 die Qualifikation zur 2. Bundesliga und hat 2000 die Drittklassigkeit gesi¬chert.
Nach Kriegsende spielte im heutigen Alfred-Kunze-Sportpark die SG Leutzsch, die 1948 die Regatta-Tribüne vom Elsterflutbecken für ihr Stadion be¬kam. Als 1949 aus diversen Sportge¬meinschaften die ZSG (= Zentralsport¬gemeinschaft) Industrie Leipzig ent¬stand, erhielt die Spielstätte ihre heutige Gestalt: Statt 10.000 fanden nun 25.000 Raum, beim von Tumulten begleiteten Sachsen-Endspiel Dresden - Meerane (3:1) sollen es sogar 27.000 gewesen sein. Erneut turbulent wurde es im Sportpark, als es beim Aufeinandertref¬fen von Chemie und Zwickau am 10. De¬zember 1950 vor 25.000 zu Zuschauer-Ausschreitungen kam, die Wimpel der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft nicht angenommen wurden und Zwickau den Sportgruß verweigerte. Acht Spieler wurden gesperrt, Chemie durfte anderthalb Monate lang nicht mehr im Schwarz-Sportpark antreten.
Tumulte und Platzsperren
In der Spielzeit 1950/51 meldete der Schwarz-Sportpark mit 32.000 gegen Turbine Erfurt (0:1) eine neue Bestmarke und wieder eine Platzsperre, wieder nach einer Begegnung mit Zwickau (2:2). Die nächste Platzsperre war 51/52 fällig, als Chemie ohne Genehmigung ein Trainingslager in Kühlungsborn an der Ostsee veranstaltete. Dennoch wählte man den Verein 1952 aus, die DDR in Albanien zu repräsentieren -vermutlich eine Premiere. Doch schon 1952/53 setzte es wieder eine Heimspiel-Sperre. Die Atmosphäre war aufgeheizt, denn u201EChemiker" waren einen Tag vor Heiligabend zum SV Vorwärts KVP (= Kasernierte Volkspolizei) u201Edelegiert" worden, und die Umstände waren außergewöhnlich. Weil der Schwarz-Sportpark vereist war, wich man auf den Karl-Enders-Sportplatz aus. Chemie un¬terlag 0:1, obwohl zwei Akteure von Ro¬tation Babelsberg des Feldes verwiesen wurden. Nach dem 0:1 gegen die schließlich nur noch mit neun Akteuren anwesende Rotation Babelsberg stürm¬ten einige der 5.000 Fans den Platz und griffen die Babelsberger an, weshalb das nächste Chemie-Heimspiel (vor im¬merhin 18.000!) in Magdeburg ablief.
Irgendwie war die Chemie, gefördert vom u201EPaten" VEB Lacke und Farben, die Pechmarie. Beim Heimspiel am 11. Oktober 1953 - diesmal in Probstheida -fiel der Bus aus, so dass beim Anpfiff gegen Stahl Thale nur sieben Akteure präsent waren. 25.000 erlebten nach 2:3-Rückstand eine Aufholjagd zum 6:3-Erfolg, aber die Punkte wurden ebenso abgesprochen wie die sechs (!) Treffer von Rudi Krause. Bei anderer Gelegen¬heit musste der Oberligist gegen Lauter ins Erich-Steinfurth-Stadion im Leipzi¬ger Vorort Paunsdorf ausweichen, wo 22.000 Stadionrekord bedeuteten.
Im Sommer 1954 wurde Chemie von den Fußball-Verantwortlichen der DDR wegen u201Eunzureichender Industriebasis" (= Förderung) u201Eabgesägt". Fußballeri¬sches Aushängeschild der Stadt sollte der SC Lokomotive sein, bei dem der bisherige Chemie-Trainer Alfred Kunze amtierte, der mit seinem neuen Verein von Leutzsch ins Stadion des Friedens umzog. Chemie Leipzig-West war fünft-klassig - und 1963 plötzlich wieder in der Oberliga, weil der aus Lok und Rota¬tion gebildete SC Leipzig u201Ead acta" ge¬legt wurde. Selbst unter dem Aspekt, dass der Chemie-Anhängerschar von der Obrigkeit sehr viel zugemutet wurde, ist kaum nachzuvollziehen, dass es 1963/64 - wieder gegen Zwickau! -erneut zu Ausschreitungen im Schwarz-Sportpark kam. Die Volkspolizei nahm etliche Leute fest, zwei der Radaubrüder erhielten jeweils fünf Monate Gefäng¬nis, zwei weitere je vier Monate Haft we¬gen Haus- und Landfriedensbruch. Die BSG Chemie distanzierte sich, handelte sich aber umgehend die nächste Platz¬sperre ein (und mit dem Zentralstadion den sechsten Heimspiel-Ort ihrer DDR-Oberliga-Geschichte!) - u201Ebis zur Erfül¬lung der erforderlichen Maßnahmen zur Verbesserung der Organisation und Ge¬währleistung eines ordnungsgemäßen Abgangs des Schiedsrichter-Kollektives und der Spieler nach dem Spiel", wie es offiziell hieß. Im übrigen wurde Chemie in just jener Spielzeit als Neuling 1963/64 DDR-Meister... Danach war ein Transparent zu sehen mit der Aufschrift: u201ESogar der Papst geht in die Knie / Deut¬scher Meister wird Chemie" (Papst war Vorsitzender des Stadtrivalen SC Leip¬zig).
Als in der folgenden Saison der Schwarz-Sportpark nicht bespielbar war, wich man beim 0:0 gegen Aufbau Mag¬deburg wieder einmal ins Stadion des Friedens aus, und man kann sich vor¬stellen, was nun folgt: Chemie-Anhän¬ger stürmten bei Spielende den Platz, attackierten Magdeburger und Schiri und blockierten die Gästekabine. Dies¬mal gab's drei Heimspiele Sperre, u.a. gastierte man in Meerane, die BSG Che¬mie war endgültig gesamtdeutscher Platzsperren-Rekordhalter. Einheimische wenden ein, der DDR-Presse sei Chemie Leipzig u201Eein Dorn im Auge gewesen", im Gegensatz u201Ezum SED-Verein 1. FC Lok Leipzig", weshalb seitens der Medien versucht worden sei, den Anhang von Chemie u201Ezu kriminalisieren".

