Für Stadion-Interessierte (I)
Verfasst: 19.05.2005, 13:23
Tagesanzeiger -- 19.05.2005
Kampf der Arenen: Grösser, besser, schöner
Seit der Erfindung des Sports versuchen sich die Stadionbauergegenseitig zu übertreffen. Neuerdings hat auch die Architektur einen hervorragenden Stellenwert.
Wenn der römische Satiriker Decimus Iunius Iuvenalis, kurz Juvenal, am 30. Mai bei der Eröffnung der Münchner Allianz-Arena dabei sein könnte, käme ihm einiges vertraut vor. Die Verkaufsstände in den Umgängen unter den Tribünen, wo man sich trifft, verköstigt und mit Devotionalien eindeckt. Platzeinweiser und Sicherheitspersonal, die Logen für die bessere Gesellschaft. Und sogar die Schatten spendenden Stoffbahnen über den Tribünen würden ihn ans grösste Stadion der Antike erinnern.
Als Zeitzeuge der Einweihung des flavischen Amphitheaters, später Kolosseum genannt, wüsste Juvenal um die Popularität der Architektur des Massenspektakels. Er würde in München wie damals in Rom Zehntausende Menschen erleben, die kommen, um das Wunderwerk zu sehen und gesehen zu werden, um ihre Helden und sich selbst zu feiern. Und der Spötter käme wohl zu derselben Feststellung wie vor fast 2000 Jahren: Das Volk wünscht sich nur zwei Dinge, Brot und Spiele.
Grössenwahn in Beton
Die Spiele sind seit den Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen und Massenhinrichtungen im Kolosseum zivilisierter geworden, und auch die Architektur der Stadien hat sich weit von den antiken Vorbildern entfernt. Geblieben sind das Prestige dieser Bauten und ihre verführerische Wirkung auf die Massen, um derentwillen sich Nationen, Städte, Sportklubs, Sponsoren und andere Bauherren einen Wettkampf der Stadien liefern, seit sich der Sport im 19. Jahrhundert zum Massenphänomen entwickelte.
Die Anfange des modernen Stadionbaus waren geprägt von der Herausbildung der populären Publikumssportarten Europas und Nordamerikas, der Normierung ihrer Regeln und Spielfelder und der zunächst unbeholfenen Suche nach einer geeigneten Architektur. Bis zum Zweiten Weltkrieg standen dann die Prototypen der Sportstadien, die in der Nachkriegszeit wie Pilze aus dem Boden schiessen sollten.
Die meist zweckmässigen Stahl- und Betonbauten aus den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs zeichneten sich weniger durch ihre Architektur als durch schiere Grösse aus. 1947 baute Madrid das Santiago Bernabéu für 120 000 Zuschauer, weitere berühmte «Hunderttausender» folgten mit dem Umbau des Mailänder San Siro, dem Moskauer Zentralstadion und Barcelonas Camp Nou. Das 1950 vollendete Estadio Mario Filho in Rio de Janeiro, besser bekannt als Maracana, stellt selbst diese riesigen Stadien in den Schatten: In seinen besten Tagen fasste es rund 200u2019000 Zuschauer - von den hinteren Rängen des grössten Stadions der Welt lässt sich das Spielgeschehen mehr erahnen als sehen. Vergleichsweise bescheiden nehmen sich daneben die grössten Schweizer Stadien aus, die vor der WM 1954 in derselben Periode gebaut wurden; in Berns Wankdorf und :Basels St,Jakob fanden rund 60 000 Zuschauer Platz.
Maradona und Madonna
Schwindende Zuschauerzahlen bremsten bald den Grössenwahn der Stadionbauer und leiteten das Ende der Beton-Dinosaurier aus den Nachkriegsjahren ein. Denn während in den Stadien immer mehr Menschen zusammengepfercht wurden, nahmen zugleich der Komfort und die Erlebnisqualität ab. Das Wohnzimmer wurde dank der fortschreitenden TV-Übertragungstechnik für immer mehr Sportfans zu einer attraktiven Alternative zum Stadion, zudem konkurrenzierte die Freizeitindustrie den Sport mit einer breiten Palette von Angeboten. Die Zuschauer waren auch Konsumenten geworden - und die Stadien mussten nun besser werden, um ihre gestiegenen Anspruche zu befriedigen.
Tribünen wurden überdacht, mehr und moderne Sanitär- und Verpflegungseinrichtungen eingebaut, dank Grossbildschirmen kamen auch die Zuschauer im Stadion in den Genuss einer Zeitlupenwiederholung der wichtigsten Spielszenen.
Nachhaltig, geprägt hat den Stadionbau auch die Vorschrift reiner Sitzplatzarenen, die in den 90er-Jahren nach den Stadionunglücken von Brüssel und Sheffield für die professionellen Ligen Grossbritanniens und für internationale Spiele von Uefa und Fifa erlassen wurde. Weil hohe Anforderungen an Komfort und Sicherheit aber auch hohe Kosten im Betrieb und Unterhalt verursachen, gibt es immer weniger Stadien, die allein mit einem Sportanlass pro Woche wirtschaftlich betrieben werden können. Die Stadionplaner begegnen diesem Problem mit zwei unterschiedlichen Strategien: Multifunktionalität und Mantelnutzungen. Mit der ersteren soll das Stadion selbst besser ausgelastet werden, die zweite zielt auf eine Querfinanzierung des Sportbetriebs durch integrierte oder angegliederte permanente Nutzungen.
Nach dem Prinzip «Maradona und Madonna» wurden und werden hybride Hightechstadien gebaut, teils kuriose Bauten mit beweglichen Dächern, Böden und Tribünen. Markus Peter vom Zürcher Büro Meili, Peter Architekten stellt. fest, dass auf dem Gebiet der Multifunktionalität eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist. «Die Rechnung geht oft nicht auf, weil der Umbauaufwand enorm ist.» Dieses Umdenken zeigte sich exemplarisch im
Wettbewerb für das neue Stadion Zürich, den Peters Büro mit seinem Projekt «Brot und Spiele» gewonnen hat: Zu Beginn wollte die Stadt ein multifunktionales Stadion mit mobilen Tribünen - in der zweiten Stufe besann man sich auf ein reines Fussballstadion. «Die Querfinanzierung über Mantelnutzungen ist vielleicht die weniger elegante Lösung, aber die
langfristig erfolgreichere», sagt Peter.
Das Stadion für den Reiseführer
Bezüglich Wirtschaftlichkeit, Komfort, Sicherheit oder Medientauglichkeit haben sich die Standards von Sportstadien in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert u2013 die Ästhetik spielte jedoch lange kaum eine Rolle. Stadien, die auch ausserhalb des Sports beachtet. wurden, entstanden fast nur im Zusammenhang mit Olympischen . Spielen, die stets auch ein Schaufenster nationaler Selbstdarstellung waren.
«Die meisten Stadien kommen immer noch aus der Konfektion», sagt Markus Peter, «die Architektur ist aber wichtiger geworden.» Und mit ihr die Architekten. Das Büro Herzog & de Meuron, das die Allianz-Arena entworfen hat, ist selbst eine Weltmarke. Wer seine Arena von den Baslern bauen lässt, erwartet nicht nur ein erstklassiges Stadion, sondern einen Markenartikel, ja eine Architekturikone mit touristischer Ausstrahlung.
Während Jacques Herzog aber sein jüngstes noch als das «schönste Fussballstadion der Welt» bezeichnet, hat sich auch die übrige Elite der Architekturszene längst in die nächste Runde im Wettkampf der Arenen eingeschaltet. Nächstes Jahr schon konkurrenziert Sir Norman Fosters neues Wembley-Stadion Big Ben als Londons Wahrzeichen und in der Wüste Arizonas glänzt das einem Kaktus nachempfundene Football-Stadion von Peter Eisenman. Peking bleibt die Hoffnung, dass sich Herzog & de Meuron mit ihrem Olympiastadion für 2008, das den Übernamen «Vogelnest» trägt, wieder selbst übertreffen werden.
Kampf der Arenen: Grösser, besser, schöner
Seit der Erfindung des Sports versuchen sich die Stadionbauergegenseitig zu übertreffen. Neuerdings hat auch die Architektur einen hervorragenden Stellenwert.
Wenn der römische Satiriker Decimus Iunius Iuvenalis, kurz Juvenal, am 30. Mai bei der Eröffnung der Münchner Allianz-Arena dabei sein könnte, käme ihm einiges vertraut vor. Die Verkaufsstände in den Umgängen unter den Tribünen, wo man sich trifft, verköstigt und mit Devotionalien eindeckt. Platzeinweiser und Sicherheitspersonal, die Logen für die bessere Gesellschaft. Und sogar die Schatten spendenden Stoffbahnen über den Tribünen würden ihn ans grösste Stadion der Antike erinnern.
Als Zeitzeuge der Einweihung des flavischen Amphitheaters, später Kolosseum genannt, wüsste Juvenal um die Popularität der Architektur des Massenspektakels. Er würde in München wie damals in Rom Zehntausende Menschen erleben, die kommen, um das Wunderwerk zu sehen und gesehen zu werden, um ihre Helden und sich selbst zu feiern. Und der Spötter käme wohl zu derselben Feststellung wie vor fast 2000 Jahren: Das Volk wünscht sich nur zwei Dinge, Brot und Spiele.
Grössenwahn in Beton
Die Spiele sind seit den Gladiatorenkämpfen, Tierhetzen und Massenhinrichtungen im Kolosseum zivilisierter geworden, und auch die Architektur der Stadien hat sich weit von den antiken Vorbildern entfernt. Geblieben sind das Prestige dieser Bauten und ihre verführerische Wirkung auf die Massen, um derentwillen sich Nationen, Städte, Sportklubs, Sponsoren und andere Bauherren einen Wettkampf der Stadien liefern, seit sich der Sport im 19. Jahrhundert zum Massenphänomen entwickelte.
Die Anfange des modernen Stadionbaus waren geprägt von der Herausbildung der populären Publikumssportarten Europas und Nordamerikas, der Normierung ihrer Regeln und Spielfelder und der zunächst unbeholfenen Suche nach einer geeigneten Architektur. Bis zum Zweiten Weltkrieg standen dann die Prototypen der Sportstadien, die in der Nachkriegszeit wie Pilze aus dem Boden schiessen sollten.
Die meist zweckmässigen Stahl- und Betonbauten aus den Jahren des wirtschaftlichen Aufschwungs zeichneten sich weniger durch ihre Architektur als durch schiere Grösse aus. 1947 baute Madrid das Santiago Bernabéu für 120 000 Zuschauer, weitere berühmte «Hunderttausender» folgten mit dem Umbau des Mailänder San Siro, dem Moskauer Zentralstadion und Barcelonas Camp Nou. Das 1950 vollendete Estadio Mario Filho in Rio de Janeiro, besser bekannt als Maracana, stellt selbst diese riesigen Stadien in den Schatten: In seinen besten Tagen fasste es rund 200u2019000 Zuschauer - von den hinteren Rängen des grössten Stadions der Welt lässt sich das Spielgeschehen mehr erahnen als sehen. Vergleichsweise bescheiden nehmen sich daneben die grössten Schweizer Stadien aus, die vor der WM 1954 in derselben Periode gebaut wurden; in Berns Wankdorf und :Basels St,Jakob fanden rund 60 000 Zuschauer Platz.
Maradona und Madonna
Schwindende Zuschauerzahlen bremsten bald den Grössenwahn der Stadionbauer und leiteten das Ende der Beton-Dinosaurier aus den Nachkriegsjahren ein. Denn während in den Stadien immer mehr Menschen zusammengepfercht wurden, nahmen zugleich der Komfort und die Erlebnisqualität ab. Das Wohnzimmer wurde dank der fortschreitenden TV-Übertragungstechnik für immer mehr Sportfans zu einer attraktiven Alternative zum Stadion, zudem konkurrenzierte die Freizeitindustrie den Sport mit einer breiten Palette von Angeboten. Die Zuschauer waren auch Konsumenten geworden - und die Stadien mussten nun besser werden, um ihre gestiegenen Anspruche zu befriedigen.
Tribünen wurden überdacht, mehr und moderne Sanitär- und Verpflegungseinrichtungen eingebaut, dank Grossbildschirmen kamen auch die Zuschauer im Stadion in den Genuss einer Zeitlupenwiederholung der wichtigsten Spielszenen.
Nachhaltig, geprägt hat den Stadionbau auch die Vorschrift reiner Sitzplatzarenen, die in den 90er-Jahren nach den Stadionunglücken von Brüssel und Sheffield für die professionellen Ligen Grossbritanniens und für internationale Spiele von Uefa und Fifa erlassen wurde. Weil hohe Anforderungen an Komfort und Sicherheit aber auch hohe Kosten im Betrieb und Unterhalt verursachen, gibt es immer weniger Stadien, die allein mit einem Sportanlass pro Woche wirtschaftlich betrieben werden können. Die Stadionplaner begegnen diesem Problem mit zwei unterschiedlichen Strategien: Multifunktionalität und Mantelnutzungen. Mit der ersteren soll das Stadion selbst besser ausgelastet werden, die zweite zielt auf eine Querfinanzierung des Sportbetriebs durch integrierte oder angegliederte permanente Nutzungen.
Nach dem Prinzip «Maradona und Madonna» wurden und werden hybride Hightechstadien gebaut, teils kuriose Bauten mit beweglichen Dächern, Böden und Tribünen. Markus Peter vom Zürcher Büro Meili, Peter Architekten stellt. fest, dass auf dem Gebiet der Multifunktionalität eine gewisse Ernüchterung eingetreten ist. «Die Rechnung geht oft nicht auf, weil der Umbauaufwand enorm ist.» Dieses Umdenken zeigte sich exemplarisch im
Wettbewerb für das neue Stadion Zürich, den Peters Büro mit seinem Projekt «Brot und Spiele» gewonnen hat: Zu Beginn wollte die Stadt ein multifunktionales Stadion mit mobilen Tribünen - in der zweiten Stufe besann man sich auf ein reines Fussballstadion. «Die Querfinanzierung über Mantelnutzungen ist vielleicht die weniger elegante Lösung, aber die
langfristig erfolgreichere», sagt Peter.
Das Stadion für den Reiseführer
Bezüglich Wirtschaftlichkeit, Komfort, Sicherheit oder Medientauglichkeit haben sich die Standards von Sportstadien in den letzten Jahrzehnten stetig verbessert u2013 die Ästhetik spielte jedoch lange kaum eine Rolle. Stadien, die auch ausserhalb des Sports beachtet. wurden, entstanden fast nur im Zusammenhang mit Olympischen . Spielen, die stets auch ein Schaufenster nationaler Selbstdarstellung waren.
«Die meisten Stadien kommen immer noch aus der Konfektion», sagt Markus Peter, «die Architektur ist aber wichtiger geworden.» Und mit ihr die Architekten. Das Büro Herzog & de Meuron, das die Allianz-Arena entworfen hat, ist selbst eine Weltmarke. Wer seine Arena von den Baslern bauen lässt, erwartet nicht nur ein erstklassiges Stadion, sondern einen Markenartikel, ja eine Architekturikone mit touristischer Ausstrahlung.
Während Jacques Herzog aber sein jüngstes noch als das «schönste Fussballstadion der Welt» bezeichnet, hat sich auch die übrige Elite der Architekturszene längst in die nächste Runde im Wettkampf der Arenen eingeschaltet. Nächstes Jahr schon konkurrenziert Sir Norman Fosters neues Wembley-Stadion Big Ben als Londons Wahrzeichen und in der Wüste Arizonas glänzt das einem Kaktus nachempfundene Football-Stadion von Peter Eisenman. Peking bleibt die Hoffnung, dass sich Herzog & de Meuron mit ihrem Olympiastadion für 2008, das den Übernamen «Vogelnest» trägt, wieder selbst übertreffen werden.