NZZ am Sonntag -- 21.08.2005
Gezwungen, eine neue Welt zu entdecken - Schällibaum hat wieder Boden gefunden
Man könnte meinen, Marco Schällibaum habe gerade zwei Monate auf dem Surfbrett in der Karibik verbracht. Die Bräune wird betont vom rosafarbenen Hemd, er ist schmaler geworden. Acht Kilo abgenommen hat der Fussball-Coach in den neun Monaten der Arbeitslosigkeit nach der Kündigung bei Servette im letzten August. Plötzlich hatte er Zeit: zum Joggen, für die Familie, zum Nachdenken.
Das war das Positive an der Arbeitslosigkeit. «Ich habe eine neue Welt entdeckt», sagt Schällibaum, der Ende April seinen neuen Job als Trainer des Challenge-League-Vereins Concordia Basel angetreten hat. Eine Welt, in der man, statt um sieben Uhr morgens aus dem Haus zu rennen, den Schoppen vorbereitet für den Kleinsten. Eine Welt, abgekoppelt vom «Starkstrom», unter dem er fünf Jahre lang stand. Zuerst als Trainer der Young Boys und dann des Servette FC, wo die Hoffnungen in den Himmel wuchsen und in der Auflösung des Traditionsklubs vor dem Richter endeten.
«Naiver» Marc Roger
Plötzlich war die Familie ungewollt einem «Test» ausgesetzt. Doch die leise Angst vor der vielen freien Zeit, die seine Frau und er zusammen hatten, erwies sich als unbegründet; die Beziehung sei noch intensiver geworden, sagt der 43-Jährige. Sie habe ihm geholfen, als nach dem «Schock» der Entlassung und dem «Trancezustand», der ihm folgte, die Fragen kamen. Schällibaum sagt, er wisse, dass er ein guter Trainer sei. Doch auch dieses Wissen hat ihn nicht vor Zweifeln geschützt. Die Erlösung kam mit der Einsicht, dass er keine Chance gehabt habe zu reüssieren mit den 22 neuen Spielern aus aller Welt, die Präsident Marc Roger eilends ohne Konzept zusammengekauft hatte.
Es folgten weitere ungewohnte Herausforderungen: der Gang auf das Arbeitsamt, der Schällibaum als «stolzen Menschen» grosse Überwindung kostete. Dazu quälte ihn das Gefühl, von einem Moment auf den anderen nicht mehr gebraucht zu werden, der Entzug der öffentlichen Aufmerksamkeit, die einen Coach im Fussballzirkus umgibt.
Auch wenn Marco Schällibaum dem ehemaligen Servette-Präsidenten Roger viele bittere Momente «verdankt», mag er nicht schlecht über den Franzosen reden. Als «naiv» bezeichnet er ihn, als einen, «der zu hoch gegriffen» habe, aber auch hereingelegt worden sei von «Leuten im Hintergrund», die ihre Versprechen nicht gehalten hätten. Nur gerade zwei Monatslöhne hat der Zürcher in Genf erhalten, 22 stehen aus, Schällibaum hat zusammen mit den ebenfalls geprellten Spielern einen Anwalt engagiert, um mindestens einen Teil des Geldes zu erkämpfen.
Genau die Bodenhaftung, die am Lac Léman verloren ging, zeichnet seinen neuen Klub Concordia Basel aus. Man wirtschaftet im Schatten des übermächtigen FC Basel bescheiden mit 800 000 Franken für die 1. Mannschaft, bindet vorbildlich den eigenen Nachwuchs ein und strebt ehrgeizig, aber nicht verbissen einen Platz unter den ersten fünf an. Die Arbeit macht Schällibaum Spass, er warte nicht auf den Anruf aus der Super League. Aber klar, käme die Offerte, wer würde es sich nicht ernsthaft überlegen? Die Arbeit abseits der grossen Öffentlichkeit und unter vermindertem Druck hat für den «emotionalen Menschen» auch gute Seiten. Er sei viel ruhiger als früher, versichert Schällibaum. Keine Wutausbrüche mehr an der Linie? Keine Tritte gegen Stühle? «Damit ist Schluss», sagt der Trainer lächelnd, «ich bin gelassener.»
Einmal allerdings geht doch ein Ruck durch ihn, er lehnt sich zurück und muss eine Zigarette anzünden, obwohl seine Tochter ihn mit der Frage, warum er rauche, schon nahe ans Aufhören gebracht hat. «Nein», sagt er, «an die Eröffnung des Stade de Suisse war ich nicht eingeladen. Und dann gehe ich auch nicht.» Er kennt das neue Wankdorf nur von Zwischenhalten, die er bei den Fahrten vom Wohnort in Basel zur Arbeitsstelle in Genf eingelegt hat.
«Profilneurotiker» in Bern
Das Engagement bei den Young Boys, von denen sich Schällibaum vor zwei Jahren nach Unstimmigkeiten mit der Führung um Verwaltungsratspräsident Peter Jauch verabschiedete, war für den Zürcher mehr als ein Job. YB war sein «Kind», das er aus der Nationalliga B in die oberste Spielklasse und später in den Uefa-Cup geführt hatte. Er fühlte sich mit den Bernern stark verbunden, was sich im Slogan «YB macht glücklich» ausdrückte. «Sportchef Fredy Bickel und ich waren als Einzige dort, als YB im Dreck war», sagt Schällibaum. Dass man ihn bei der Stadioneröffnung übergangen hat - bewusst, wie er denkt -, ist eine neuerliche Enttäuschung in einer langen Reihe von Dissonanzen zwischen ihm und der Führung. Schällibaum will nicht über die «Profilneurotiker» herziehen, gibt aber zu, dass der demonstrative Ausschluss schmerzt. Häme gegen die Berner, denen der Start in die Saison missglückt ist, kenne er aber ebenso wenig wie Neid auf Trainer Zaugg. Lieber freut er sich, dass die Fans, denen er sich sowieso näher fühlt als der Chefetage, im Eröffnungsspiel seinen Namen gerufen haben.
Und darüber, dass ihm gelungen ist, was er immer wieder versuche: das Schicksal als Chance zu begreifen.
Neuanfang in der Challenge League
Von den 18 Trainern in der Challenge League haben 7 Super-League-Erfahrung. Ihre aktuellen Klubs und die wichtigsten Stationen, die sie dorthin geführt haben:
- Marco Schällibaum, seit 2005 Concordia Basel. Nyon (1993-1999), Basel (1999- 2000, Assistenztrainer), YB (2001-2003), Servette (2004-2005).
- Umberto Barberis, seit 2004 Baulmes. Servette (1983-1986, Assistenztrainer), Lausanne (1987-1993), Sitten (1994-1995), Servette (1996), Lausanne 2001-2002.
- Raimondo Ponte, seit 2005 YF Juventus. FCZ (1990-1991, Sportchef), Baden (1991-1993), FCZ (1993-2000, Sportchef, Trainer), Luzern (2001-2003, Sportchef, Trainer), Carrarese (2003, Serie C2, Italien), Wohlen (2004).
- Gérard Castella, seit 2004 Lausanne. Servette (1993-1999, Assistent, Cheftrainer, Meister), Etoile Carouge (1999-2002), St. Gallen (2002, Entlassung nach acht Monaten).
- Adrian Ursea, seit 2005 Meyrin. 2001- 2005 Servette (Assistent, Cheftrainer a. i.).
- Gianni Dellacasa, seit 2005 Sitten. Bellinzona (1998-2003), Winterthur (2003-2004), Xamax (2004-2005).
- Philippe Perret, seit 2004 La Chaux-de- Fonds. Yverdon (1999-2002), Freiburg (2002-2004).