Fußball-WM 2010
Mord erregt kaum Aufsehen
VON HELMUT SCHNEIDER
(RP) Ein Verbrechen wie das am früheren österreichischen Fußballer Peter Burgstaller ist in Südafrika alltäglich. Jede halbe Stunde ein Mord, alle zehn Minuten eine Vergewaltigung, alle zwei Minuten ein Hauseinbruch: Die Kriminalitäts-Uhr im Land tickt unaufhörlich.
Während die Ermordung des ehemaligen österreichischen Profifußballers Peter Burgstaller (43) weltweit Schlagzeilen macht, wurde sie in Südafrika nur wenig beachtet. Da hier jede halbe Stunde ein Mord passiert, ist Burgstaller nur ein weiterer Fall der Statistik.
Und obwohl die Bluttat im unmittelbaren Umfeld der mit Pomp und Gloria veranstalteten Vorrunden-Auslosung für die Fußball-Weltmeisterschaft 2010 in Durban stattfand, stellt sich am Kap weder der lokale Organisationschef noch der zuständige Minister oder der oberste Polizeikommissar vor die Presse.
Niemand versichert, dass dies die Ausnahme sei und alles getan werde, um so etwas künftig zu verhindern. Denn jeder weiß, dass dem nicht so ist. Es wäre schon ein großer Erfolg, wenn überhaupt der Mörder Burgstallers gefasst wird. Denn die meisten Straftaten in Südafrika bleiben ungesühnt, weil die Polizei nicht in der Lage ist, der Verbrechensflut Herr zu werden.
Die Kriminalitäts-Uhr am Kap tickt schneller als anderswo in der Welt - und die Südafrikaner haben gelernt, damit zu leben. Alle halbe Stunde ein Mord, alle zehn Minuten eine Vergewaltigung, alle zwei Minuten ein Hauseinbruch, ebenfalls alle zwei Minuten eine schwere Körperverletzung und jede Minute irgendwo ein Diebstahl.
Die Gangster sind überall. Nicht aber die Polizei. Sie ist trotz einiger Aufstockungen in der letzten Zeit hoffnungslos im Hintertreffen. Zu viele Polizisten sind nicht richtig ausgebildet, tapsen oft am Tatort umher, dass Experten graue Haare bekommen, und müssen oft sogar daran erinnert werden, Fingerabdrücke zu nehmen. Und immer wieder müssen die Opfer den Polizisten beim Schreiben des Protokolls helfen, denn diese haben dabei beträchtliche Schwierigkeiten.
Erst am Montag wurde im Parlament beklagt, dass Polizeistationen schlecht ausgerüstet sind, zu wenige Fahrzeuge und schusssichere Westen haben, die Zellen verschmutzt und die Lagerräume für die Akten in einem chaotischen Zustand sind.
Letzteres kommt den Gangstern zu Gute, denn selbst wenn sie gefasst wurden, können sie oft das Gerichtsgebäude unbestraft verlassen, weil die Akten des Falls verschludert wurden - entweder war es Schlamperei oder Bestechung. Das südafrikanische Fernsehen filmte schon mehrfach mit verdeckter Kamera, wie Polizisten gegen ein Bündel Banknoten die Akten dem Beschuldigten übergaben.
Die Polizei wird ohnehin von den Verbrechern nicht allzu ernst genommen. Seit 1994 wurden mehr als 1200 Beamte getötet. Denn die Gangster schießen sofort. Egal ob bei Überfällen auf Banken, Supermärkte oder in den großen Einkaufszentren, wo sich viele Kunden aufhalten. Oder bei den eskalierenden Angriffen auf Geldtransporter.
Dort wird noch mehr als in den weißen Siedlungsgebieten gemordet, gestohlen und vergewaltigt. Selbst ein paar Monate alte Babys sind nicht vor Vergewaltigern sicher. Und getötet wird hier schon für ein paar Geldscheine oder ein Handy. Südafrika ist ein gewalttätiges Land.
Wenn zur Fußball-Weltmeisterschaft die ausländischen Schlachtenbummler zu Hunderttausenden nach Südafrika kommen, dann werden sie zwar in den Stadien und wahrscheinlich auch den großen Hotels sicher sein, denn dort wird die Polizei konzentriert. Was aber machen sie in der Freizeit? Wenn sie durch die Straßen laufen, in Bars und Restaurants den Sieg feiern oder die Niederlage im Alkohol ertränken, werden sie für Gangster eine leichte Beute. Hier ist das Sicherheitskonzept der Veranstalter bisher mehr als lückenhaft - und das gibt Anlass zur Sorge.
Südafrika: Das Unbehagen reist mit
Durban an einem Sonntagnachmittag 2003. Die Hafenstadt ist Schauplatz einer Tourismusmesse. Einer der deutschen Journalisten, die sich im Kongresszentrum über das Land und seine attraktiven Sehenswürdigkeiten informieren, schlendert allein auf offener, keineswegs unbelebter Straße.
Plötzlich wird er von fünf Einheimischen festgehalten. Sie packen ihn an Armen und Beinen, rauben Uhr und Rucksack, schlagen ihrem Opfer ins Gesicht, als dieses schreit. Es gelingt ihnen nicht, den Ehering vom Finger zu reißen. Keiner in der Nähe eilt herbei, um dem Bedrängten zu helfen. Die Täter verschwinden in den Straßen.
Ein Überfall ausgerechnet zur Zeit einer Reisemesse, zu der die Sicherheitsvorkehrungen verstärkt worden sein sollen. Die Veranstalter wollten ihr Land ganz anders präsentieren, von seiner schönsten Seite. Und jetzt so etwas.
Der deutsche Gast - in der Einsamkeit der Wild Coast hat die Reisegruppe in Bungalows übernachtet, ohne dass es nötig erschien, zur Nacht die Türen abzuschließen - kommt glimpflich davon. Mit dem Schrecken. Dieses Glück hat der Österreicher Peter Burgstaller vier Jahre später in der Stadt am Indischen Ozean nicht. Er wird ermordet.
Kap der Guten Hoffnung, Tafelberg, das Weinland um Stellenbosch, Krüger-Nationalpark, Gartenroute, Abendspaziergänge unter dem Sternenzelt der Milchstraße: all das gehört zum unvergleichlichen Reichtum des Landes.
Doch auch Kapstadt, dessen Name zu Recht immer wieder fällt, wenn die schönsten Städte der Erde benannt werden sollen, hat eine Kehrseite. Man spürt Unbehagen, wenn im Zentrum die Händler des Nachmittags an einem tagsüber lebhaften Platz damit beginnen, die Stände abzubauen. Eine fast gespenstische Absatzbewegung. Schließlich weiß man, dass auch die Innenstadt der Perle an Afrikas Südspitze nach Geschäftsschluss tunlichst gemieden werden soll.
Aber längst nicht immer und überall empfindet der Reisende am Kap Bedrohung, vor allem nicht, wenn er große Städte hinter sich gelassen hat und sich dem Landesinnern zuwendet wie dem malerischen Stellenbosch mit seinen hübschen kapholländischen Häusern.
Niemand vergisst die freundlichen Menschen der Region - wie jene Frau, die zwei Stunden opfert, als der Reisende aus Europa nach hunderten geglückter Abbiegemanöver im Linksverkehr doch einmal gepatzt und Blechschaden verursacht hat. Zwei Stunden hilft die Frau, bis der neue Leihwagen bereitsteht.
Tage später, auf der Rückfahrt von einem Tierpark mit Elefanten, mahnt der Benzinanzeiger im Cockpit rasches Tanken an. Kein Problem - würde einem die Straße in Richtung der nächsten größeren Siedlung nicht ausgerechnet jetzt unendlich vorkommen.
Der Wagen fährt Kilometer um Kilometer. Keine Spur von einer Zapfsäule, auch nicht, als immer mehr Menschen an der Straße sichtbar werden. Dass der Wagen nur nicht stehenbleibt! Nicht hier in dieser Gegend, die ganz und gar nicht vertrauenerweckend ist. Im Auto herrscht Schweigen. Minutenlang. Bis auf der linken Seite endlich doch eine Tankstelle auftaucht und die Erleichterung mit einem Schlag groß ist.
Quelle: RP Online - http://www.rp-online.de/public/article/ ... elt/504947