Artikel: Gewalt in Fussballstadien
Verfasst: 10.08.2007, 16:19
Sackstark!
Als ich 1978 im Alter von 14 Jahren zum ersten Mal Spiele der Bundesliga besuchte, waren Stadien ungastliche Orte, an denen sich Männer trafen, um einen Kampf zu sehen. Und manchmal, um selbst zu kämpfen. Polizisten kamen, wenn etwas passiert war, vorher nicht. Wer bereit war, für seinen Verein die Faust einzusetzen, zeigte es durch das Tragen von Farben oder Absingen von Schmähliedern. Das Entwenden gegnerischer Fan-Utensilien gegen Androhung von Hieben auf den Wegen vom und zum Stadion (die man auswärts nicht selten rennend zurücklegte) galt noch nicht als erpresserischer Diebstahl, sondern als prestigeträchtiger Volkssport. Irgendwo brachen ständig Schlägereien aus, und das Wort Hooligan war ungebräuchlich, die Presse sprach von Fußballrowdys oder Fußballrockern. Probleme damit hatte man vielleicht in England. Hier interessierten sich nicht einmal die Eltern für solche Bagatellen, und kam man mit dicker Backe nach Hause, war man selber schuld. Kurz: Es war gefährlich, doch irgendwie romantisch. Pirat spielen in echt. Wer sich heute einem Bundesligastadion nähert, dem hallen statt Fangesängen die Fanfaren der Werbung entgegen. Endlos ziehen Prozessionen von bürgerlichen Trikotträgern einem hypermodernen Unterhaltungsdom entgegen, der nach einem Finanzinvestor statt einem toten Fußballer heißt. Keine Faust regt sich, wenn in der Menge ein Dortmunder auf einen Bayern trifft. Sähe ja auch ganz schön blöd aus, zwischen irritierten Freizeitangebotwahrnehmern von blitzartig heranstürmenden SEK-Polizisten in Schildkrötenpanzern und Headset auf den Boden genagelt zu werden, um anschließend eine Anzeige wegen Körperverletzung, eine wegen Landfriedensbruch und eine wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt zu erhalten.
Randale in den Stadien äußert sich heute durch Feuer und Raketen. Das bundesweite Stadionverbot für wenigstens fünf Lenze nicht zu vergessen. Stattdessen ergießt sich die Prozession der Konsumenten andächtig schweigend durch die besser als Flughäfen gesicherten Einlässe, um beobachtet von Kameraaugen Platz zu nehmen in einem umgitterten Block, wo man mit einem alkoholreduzierten Bierchen anstößt und gegen einen Wellenbrecher blickt. Wer außerhalb fest markierter Fanspielplätze das Vereinslied anstimmt, aufsteht, weil er ein Blauer ist, oder gar lautstark Schmähungen kundtut, zieht sich schnell den Unmut des umgebenden, nunmehr zu 30 Prozent weiblichen Publikums zu: »Hören Sie, hier sitzen Kinder!« Und: »Ich kann ja gar nichts sehen!« In den geschrumpften Fankurven haben »Ultras« das Kommando übernommen, eine junge, in den späten 90ern populär gewordene, sangesfreudige Gegenbewegung zu den als spießig empfundenen »Kutten«, die nicht so richtig weiß, ob sie Gewalt ablehnen oder nur, wie die italienischen Namensgeber, in gelegentlichen Fällen anwenden soll. Dafür grenzt man sich dann gern ab, gebärdet sich kritisch gegenüber den Auswüchsen des Kommerz und reagiert auf das Kommando eines Vorturners mit Megaphon. Keine Affenlaute von solchen Herrschaften, außer gegen Kahn, da darf man das.
Zwischen den Vereinsfans und denen der Nationalteams gibt es große Unter-schiede. Letztere sind eindeutig gewaltbereiter. Einst erteilten ehrenwerte Tribünenbesucher Hooligans den Rat: »Geht doch auf die Wiese und schlagt euch da, ihr Idioten.« Mutter Natur aber sagt: »Nicht Idioten – junge Männer.« Die fühlen nun mal den Drang, sich mit anderen zu messen. Klar kann dies auch gewaltlos tun, beim Schachspiel, im Wettsaufen, oder vor der Play-Station. Ein paar von uns aber sind archaischer gestrickt und wollen kämpfen. Das hat nichts mit Brutalität oder krimineller Energie, aber viel mit Abenteuerlust, Grenzerfahrung, Selbstüberwindung zu tun. Fußballgewalt ist mehr als eine Prügelei. Sie ist ein Real-life-Rollenspiel mit hunderten Beteiligter und ebensoviel Unwägbarkeiten. Adrenalin, Angst, Überraschung. Eben ein sehr spezieller Kick. Das mit der Wiese aber nahm man sich zu Herzen. Kämpfe auf Wald und Wiese, W&W-Matches, heißt die Notlösung für Hools, die nicht unbedingt ein Fußballspiel als Kulisse brauchen. In verabredeter Anzahl treffen sie sich auf abgelegener Scholle, die einen tragen Weiß, die anderen vielleicht Schwarz, und nach der Schlacht, bei der es selten ernsthafte Verletzungen gibt, stellt man den Film davon auf die zuständige Internet-Plattform. Die Polizei meint dazu: Landfriedensbruch, Körperverletzung, Stadionverbote. Selbst wenn niemand eine Anzeige erstattet, keiner sich geschädigt nennt, oder alle Teilnehmer vorher einen Vertrag unterschreiben, wonach sie mit allem einverstanden sind.
Schnitt auf Lens 1998. Das nationale Trauma: Deutsche Hools treten einen französischen Wachtmeister ins Koma. Das Gedenken liegt nahe, knapp ein Jahr vor Swiss/Austria 08. Aber Nationalmannschaften ziehen andere Leute an als Vereine. Ist anderswo nicht anders. In Holland gehen die Irren nur zu Rotterdam, Eindhoven und Amsterdam, während bei der Nationalelf selbst gegen Deutschland lustige Käsehutträger mit Trompeten auflaufen. Auch in England glänzen die Fans großer Vereine wie Chelsea oder Manchester bei internationalen Begegnungen mit Abwesenheit, statt dessen entglasten 2001 Kneipenrüpel aus Burnley, Wolverhampton und Cardiff Teile der Münchner Innenstadt. Von den gefürchteten Deutschland-Hooligans war da nicht viel zu sehen, denn die fürchteten zu Recht das volle Sanktionspaket, während verhaftete Engländer einfach nur nach Hause geschickt wurden. Und dann gibt es noch die Schaben und Sadisten, Plünderer und Diebe, die sich an einen Mob hängen, um in dessen Windschatten ihr kriminelles Ding durchzuziehen. Nivel, der Flic aus Lens, wurde von der ersten Reihe zu Fall gebracht, beinahe umgebracht aber haben ihn Hinterherläufer, entfesselte Schwächlinge. Den einzigen deutschen Fußballrandale-Toten der letzten Jahrzehnte gab es 1990, als Ostpolizisten nach einem Spiel von Leipzig gegen den FC Berlin angesichts einer tobenden Übermacht von Wüterichen den jungen BFC-Fan Mike Polley mit scharfen Schüssen niederstreckten.
Noch immer steht der Osten im Mittelpunkt,wenn es um Randale geht. Während in den Bundesliga-Arenen eigentlich nur mehr über Rauchbomben und Bengalos geklagt wird (Minimum zwei Jahre Stadionverbot), gehen im Osten die Uhren wie im Westen der 80er. Mehr Männer, mehr Stehplätze, mehr Randale. Dazu ein ungetrübter Lokalpatriotismus verbunden mit diffuser Staatsverdrossenheit. Hier und auf den Rängen der unteren Ligen pulsiert noch die Subkultur der Gewalt.
Rechtsradikale haben die Hools nicht unterwandert, doch vielerorts sind sie einfach stark vertreten, und Nationalisten gehen nun mal lieber zum Fußball als Friedensbewegte oder Drag Queens. Da kann Fußball nichts dafür, und die Hooligans auch nicht. Als Hauptproblemkandidat gilt Dynamo Dresden. Deren Fans sind zwar keineswegs die gefürchtetsten Hooligans des Landes, doch tritt nur bei wenigen anderen Vereinen die breite Masse aus der Kurve vergleichbar gewaltbereit auf. So überrannten Dresdner Busbesatzungen nach dem Gastspiel in München Autobahnraststätten,gelbschwarze Horden lieferten sich im November in Berlin wilde Prügeleien mit der Polizei, und vermummte Dresdner Ultras statteten im März mediengerecht der eigenen Mannschaft einen Trainingsbesuch mit Androhung von Prügel ab. Ähnlich auf Bewährung spielt man bei Rostock, deren Fans in Essen filmreif zündelten und aus Frust über ein abgesagtes Spiel schon mal unbeteiligte Städte angreifen. Bei Lok Leipzig (Sachsenliga, 5. Liga) wurden im Februar nach einem Spiel gegen Aue II 36 Polizisten verletzt, 21 Einsatzwagen waren am Start und fünf Radaubrüder wurden festgenommen, was zu leidenschaftlichen Fernsehdebatten und Fragen nach dem Sinn des Ganzen führte.
Den Ruf, dort die Härtesten zu sein, verteidigen seit fast einem Vierteljahrhundert die Jungs vom alten Stasi-Club Berliner FC, im Osten Bifis genannt. Verbannt in die gegnerlose Welt der Oberliga Nordost sehnt man sich da nach alten Ostturnieren gegen die Feinde aus Sachsen oder von Union Berlin und muss sich doch über Nachwuchs nicht sorgen, der gute Ruf macht’s. Im August 2005 zeigte die Polizei den BFC-Fans, wer der Herr im Hauptstädtchen ist, und veranstaltete in der Berliner Szenedisco Jeton eine Razzia, die Unbeteiligte an die »Chilenische Nacht« von Genua erinnerte. Proteste zuständiger Menschenrechtsfreunde suchte man in der Presse vergeblich. Im Westen gilt die Lage als befriedet, was nicht bedeutet, das nichts passiert. Ultras auf Orientierungssuche sorgen immer wieder für Zwischenfälle. Zu trauriger Berühmtheit kam im Mai die »Münchner Schickeria«, als einige Mitglieder einer Busbesatzung auf einer Autobahnraststätte verfeindete Nürnberger Fans attackierten und die Frau eines Busfahrers durch einen Flaschenwurf ein Auge verlor. Der FC Bayern reagierte mit drakonischen Maßnahmen.Allen Schickeria-Mitgliedern und jedem, der über die Schickeria an eine Karte kam, wurden die Jahreskarten entzogen, insgesamt traf die Kollektivstrafe über 500 Leute. Wer künftig in Uli Hoeneß’ Hexenkessel selbigen befeuern soll, steht in den Sternen. Nicht einmal ihre Feinde würden bestreiten, dass ohne Schickeria in der Südkurve wenig los ist, und die Gäste aus den Business-Logen dürften sich als zwölfter Mann kaum eignen. In Bremen dagegen verläuft eine Frontlinie quer durch die eigene Kurve, seit politisch korrekte Ultras die hartgesottenen Standarte-Bremen-Jungs in ihrer Ehre kitzelten und letztere mit Fäusten antworteten.