Zuoberst ist das Eigeninteresse
Verfasst: 17.06.2007, 03:07
17. Juni 2007, NZZ am Sonntag
Zuoberst ist das Eigeninteresse
Das Transfergeschäft legt die Scheinrealität im Fussball offen. Von Peter B. Birrer
Der Fussball bietet unaufhörlich Projektionsflächen für romantische Geschichten und schöne Episoden. Von Freundschaften und enger Verbundenheit zwischen den Protagonisten ist die Rede; von der Treue zum Klub; von der Heimat, die jemand endlich gefunden habe; von der langen Tradition des Vereins, die zu achten, zu ehren und zu respektieren sei. Man wolle «gemeinsam» wachsen und nicht nur Schweizer Meister werden, sondern später auch in die Champions League stürmen. Solches und noch mehr ist jeweils zu hören. Doch das sind meistens nicht mehr als Lippenbekenntnisse und Scheinrealitäten.
Dem FC Zürich widerfährt dieser Tage, was noch jedem Schweizer Meister widerfahren ist. Das Erfolgs-Puzzle zerfällt, wenn auch erst mit einem Jahr Verspätung (Titel bereits 2006). Das ist der Preis des Titels, das Gesetz des Markts, das Schicksal des Kleinen. So verliert der FCZ mit Dzemaili, Margairaz und Inler nicht nur das Mittelfeld, sondern mit Lucien Favre und (womöglich) Harald Gämperle gleich auch noch das Trainerduo. Verträge zählen nichts. Die Spieler haben Ausstiegsklauseln in ihren Kontrakten, der Cheftrainer ebenso. Wollen Favre, Dzemaili, Margairaz und Inler die Qualifikation zur Champions League wahrnehmen? Alle sagen deutlich: Nein. In Deutschland, England, Italien und Spanien ist mehr los, dort gibt's viel mehr Geld. Fällt für die Spieler doch nicht ins Gewicht, ob sie im Jahr vor der Euro 2008 zum Einsatz kommen. Das Eigeninteresse steht über dem Allgemeininteresse.
Das Neue am Fall FCZ ist, dass auch die «Stufe Trainer» vom Transfer-Taifun erfasst worden ist. Favre verwarf in den letzten Monaten oft die Hände, wenn er auf die Transfergeschichten der Spieler angesprochen wurde. Jetzt eiferte er den Spielern nach: Abwesenheiten, Gerüchte, heimliche Verhandlungen in Berlin, Offerte, Zusage, Abreise. Der Favre-Assistent Gämperle verhält sich genau gleich - mit offenem Ausgang. Als der Erfolg seinerzeit in Basel einschlug, nutzte auch der FCB- Trainer Christian Gross die Gunst der erfolgreichen Stunde. Er flirtete mit dem Ausland und pokerte erfolgreich um einen Millionenvertrag. Auch die Trainer packen die Chance, wenn sie sich bietet. Niemand kann's ihnen verargen. Favre saniert sich mit seinem Dreijahresvertrag in Berlin - wie manche Spieler in grossen Ligen - für sein Leben, auch wenn er nach einem halben Jahr entlassen werden sollte.
Die Folge des Aderlasses ist nun die, dass sich die Verantwortlichen des FC Zürich über die Zustände im Transferwesen beklagen, dass sie jammern und darauf hinweisen, von ihren früheren Angestellten unzureichend informiert worden zu sein. Der Sportchef Fredy Bickel hätte von seinem «Freund» Gämperle erwartet, zumindest telefonisch auf dem Laufenden gehalten zu werden. Vergeblich. Dass sich die FCZ- Führungsriege beklagt, ist nachvollziehbar. Nur: Wie würde Bickel handeln, wenn er in Hamburg Sportchef werden könnte? Würde er seinen Freundeskreis umgehend informieren? Kaum. Was würde der FCZ-Präsident Ancillo Canepa tun, wenn ihn Bayern München mit einem Dreijahresvertrag als Präsident lockte? Würde er vor dem Flug nach München Transparenz herstellen? Wohl kaum. Im Grunde reagiert die erst ein halbes Jahr regierende FCZ-Chefetage so, wie dies die FCB- Präsidentin Gisela Oeri in früheren Zeiten tat, als dem FC Basel ein scheinbarer «Sohn» nach dem anderen davonlief, zum Teil Hals über Kopf, ohne Bedenken, irgendwie - Hakan Yakin, Giménez, Degen, Streller, Huggel.
Wie der Transfermarkt funktioniert, zeigt das Beispiel aus einer anderen Sphäre. Der Franzose Franck Ribéry beschwor seine Liebe zu Olympique Marseille. Er sagte, in der nächsten Saison in der Champions League spielen zu wollen und sich an der Ligue 1 oder an südlichen Ländern zu orientieren. Laut «France Football» verdiente Ribéry beim Champions-League-Teilnehmer Marseille monatlich 220 000 Euro brutto. Und was passiert? Ribéry wechselt zu Bayern München in den Norden (und damit in den Uefa-Cup). In München steigert er sein Salär gemäss «France Football» auf 330 000 Euro netto pro Monat. Der Transfer hat ein Volumen von 25 Millionen Euro, das sich im Fall der Champions-League- Qualifikation der Bayern 2008 auf 30 Millionen erhöht. Ribéry wechselt wahrscheinlich nicht wegen der Isar oder der schönen Allianz-Arena nach München. Irgendwie ist Ribéry zu verstehen. Nicht wahr, Herr Canepa?
Quelle: NZZ Online - http://www.nzz.ch/2007/06/17/sp/articleF9ROZ.html
Zuoberst ist das Eigeninteresse
Das Transfergeschäft legt die Scheinrealität im Fussball offen. Von Peter B. Birrer
Der Fussball bietet unaufhörlich Projektionsflächen für romantische Geschichten und schöne Episoden. Von Freundschaften und enger Verbundenheit zwischen den Protagonisten ist die Rede; von der Treue zum Klub; von der Heimat, die jemand endlich gefunden habe; von der langen Tradition des Vereins, die zu achten, zu ehren und zu respektieren sei. Man wolle «gemeinsam» wachsen und nicht nur Schweizer Meister werden, sondern später auch in die Champions League stürmen. Solches und noch mehr ist jeweils zu hören. Doch das sind meistens nicht mehr als Lippenbekenntnisse und Scheinrealitäten.
Dem FC Zürich widerfährt dieser Tage, was noch jedem Schweizer Meister widerfahren ist. Das Erfolgs-Puzzle zerfällt, wenn auch erst mit einem Jahr Verspätung (Titel bereits 2006). Das ist der Preis des Titels, das Gesetz des Markts, das Schicksal des Kleinen. So verliert der FCZ mit Dzemaili, Margairaz und Inler nicht nur das Mittelfeld, sondern mit Lucien Favre und (womöglich) Harald Gämperle gleich auch noch das Trainerduo. Verträge zählen nichts. Die Spieler haben Ausstiegsklauseln in ihren Kontrakten, der Cheftrainer ebenso. Wollen Favre, Dzemaili, Margairaz und Inler die Qualifikation zur Champions League wahrnehmen? Alle sagen deutlich: Nein. In Deutschland, England, Italien und Spanien ist mehr los, dort gibt's viel mehr Geld. Fällt für die Spieler doch nicht ins Gewicht, ob sie im Jahr vor der Euro 2008 zum Einsatz kommen. Das Eigeninteresse steht über dem Allgemeininteresse.
Das Neue am Fall FCZ ist, dass auch die «Stufe Trainer» vom Transfer-Taifun erfasst worden ist. Favre verwarf in den letzten Monaten oft die Hände, wenn er auf die Transfergeschichten der Spieler angesprochen wurde. Jetzt eiferte er den Spielern nach: Abwesenheiten, Gerüchte, heimliche Verhandlungen in Berlin, Offerte, Zusage, Abreise. Der Favre-Assistent Gämperle verhält sich genau gleich - mit offenem Ausgang. Als der Erfolg seinerzeit in Basel einschlug, nutzte auch der FCB- Trainer Christian Gross die Gunst der erfolgreichen Stunde. Er flirtete mit dem Ausland und pokerte erfolgreich um einen Millionenvertrag. Auch die Trainer packen die Chance, wenn sie sich bietet. Niemand kann's ihnen verargen. Favre saniert sich mit seinem Dreijahresvertrag in Berlin - wie manche Spieler in grossen Ligen - für sein Leben, auch wenn er nach einem halben Jahr entlassen werden sollte.
Die Folge des Aderlasses ist nun die, dass sich die Verantwortlichen des FC Zürich über die Zustände im Transferwesen beklagen, dass sie jammern und darauf hinweisen, von ihren früheren Angestellten unzureichend informiert worden zu sein. Der Sportchef Fredy Bickel hätte von seinem «Freund» Gämperle erwartet, zumindest telefonisch auf dem Laufenden gehalten zu werden. Vergeblich. Dass sich die FCZ- Führungsriege beklagt, ist nachvollziehbar. Nur: Wie würde Bickel handeln, wenn er in Hamburg Sportchef werden könnte? Würde er seinen Freundeskreis umgehend informieren? Kaum. Was würde der FCZ-Präsident Ancillo Canepa tun, wenn ihn Bayern München mit einem Dreijahresvertrag als Präsident lockte? Würde er vor dem Flug nach München Transparenz herstellen? Wohl kaum. Im Grunde reagiert die erst ein halbes Jahr regierende FCZ-Chefetage so, wie dies die FCB- Präsidentin Gisela Oeri in früheren Zeiten tat, als dem FC Basel ein scheinbarer «Sohn» nach dem anderen davonlief, zum Teil Hals über Kopf, ohne Bedenken, irgendwie - Hakan Yakin, Giménez, Degen, Streller, Huggel.
Wie der Transfermarkt funktioniert, zeigt das Beispiel aus einer anderen Sphäre. Der Franzose Franck Ribéry beschwor seine Liebe zu Olympique Marseille. Er sagte, in der nächsten Saison in der Champions League spielen zu wollen und sich an der Ligue 1 oder an südlichen Ländern zu orientieren. Laut «France Football» verdiente Ribéry beim Champions-League-Teilnehmer Marseille monatlich 220 000 Euro brutto. Und was passiert? Ribéry wechselt zu Bayern München in den Norden (und damit in den Uefa-Cup). In München steigert er sein Salär gemäss «France Football» auf 330 000 Euro netto pro Monat. Der Transfer hat ein Volumen von 25 Millionen Euro, das sich im Fall der Champions-League- Qualifikation der Bayern 2008 auf 30 Millionen erhöht. Ribéry wechselt wahrscheinlich nicht wegen der Isar oder der schönen Allianz-Arena nach München. Irgendwie ist Ribéry zu verstehen. Nicht wahr, Herr Canepa?
Quelle: NZZ Online - http://www.nzz.ch/2007/06/17/sp/articleF9ROZ.html