Orientierung am Halbprofessionalismus
Verfasst: 19.02.2005, 03:23
Orientierung am Halbprofessionalismus
Die Rückrunde in der A-Liga, von Marketing-Köpfen mit dem Attribut «Super» veredelt, beginnt am Sonntag mit einer Sonderbarkeit, die symptomatisch ist für den Zustand des hiesigen Klubfussballs. Eines von fünf Spielen findet gar nicht statt: Servette - Grasshoppers. Die Classique zwischen den beiden mit zusammen 45 Meistertiteln klar erfolgreichsten Schweizer Vereinen hat - mindestens vorderhand - aufgehört zu existieren. Die Genfer sind bankrott und sinken für den Neubeginn tief. Aber auch die Fussballsektion des polysportiven Zürcher Klubs war vom selben Schicksal so weit nicht entfernt. Vermögende lokale Kreise machten an der Limmat für eine soziale Institution das nötige «Kleingeld» locker, auf das man an der Rhone trotz hier niedergelassener Potenz aus dem Mittleren Osten vergeblich wartete. Der unterschiedlichen Entwicklung der beiden Traditionsklubs lag aber nicht nur pekuniäre Substanz zugrunde. GC schöpfte frische Kraft aus einem personell sowohl intakten als auch breit und prominent abgestützten Umfeld. Servette hatte ein solches schon sehr lange nicht mehr, weshalb dort Ausländer zunehmend zweifelhafter Herkunft mit suspektem Geld Einfluss erlangten.
Bezeichnend ist dieser schliesslich nur einseitig verursachte Ausfall deswegen, weil in beiden Klubetagen über Jahrzehnte dem Grössenwahn gehuldigt wurde. Servettes Lockrufen widerstand fast keiner in Kenntnis des dortigen übersteigerten Lohnniveaus. GC stand nicht viel weiter zurück und glaubte sich eine Administration und eine Nachwuchsausbildung leisten zu können, wie sie Spitzenvereine aus den grossen fünf europäischen Ligen mit unproportional höheren Budgets kennen. Welche Überlegungen hinter dieser Strategie standen und was für Ziele damit ins Auge gefasst wurden, bleibt bis heute angesichts der seit langem bekannten ökonomischen Voraussetzungen schleierhaft. Im GC hing die vorletzte Klubführung dem irrealen Traum einer Europaliga der Mittelklasse nach, mit der sich zusätzliche Mittel hätten generieren lassen sollen. Auch Servette schielte mit seinen früheren Besitzern über die Landesgrenzen hinaus. Und beiden gemeinsam war der neidische Blick zum Rheinknie, wo der FC Basel mit Erfolg an seiner internationalen Beständigkeit feilt, ein überdurchschnittlich grosses Publikum um sich schart und endlich - wenn teilweise auch indirekt - das Gefallen der lange uninteressierten heimischen Chemie fand.
Als massgeblicher Pfeiler auf dem Weg in eine gesicherte Zukunft des Schweizer Profifussballs galt (und gilt) vordergründig die Modernisierung bzw. Erneuerung der mehr als ein halbes Jahrhundert vernachlässigten Stadioninfrastruktur. Basel ging mit dem Beispiel voran und budgetiert seine Rechnung seit dem Einzug in den St.-Jakob-Park mit einem gesunden prozentualen Anteil an Matcheinnahmen.
Selbst mit einem fast immer vollbesetzten Stadion wird die Rechnung eines weiterhin ambitionierten FC Basel jedoch nicht aufgehen. Was in Genf mit dem Stade de Genève geschehen ist, weiss man. In Bern, Zürich, Neuenburg oder St. Gallen existieren erst Vorstellungen der zum Teil sehr zuversichtlichen Art. So rechnen die Betreiber der diesen Sommer vollendeten Berner Arena, die in den letzten Jahren zwei Dutzend Millionen Franken in die Young Boys (die Nummer 3 in der Liga-Geschichte) gebuttert haben, mit durchschnittlich etwa 18 000 Schaulustigen - ob Wunschvorstellung oder Realitätssinn, man darf raten. In St. Gallen scheinen sich ähnliche Formen der auf zukünftig grössere Zuschauerkapazitäten abgestützten Vorfinanzierung anzubahnen, wie ein Beispiel aus der eben abgelaufenen Transferperiode (Callà) zeigt. Das schöne, grosse Stadion wird die einzige Grundlage zur Gesundung jedoch nicht bilden.
Mit Ausnahme Basels haushaltet das ganze Establishment der obersten Klasse unvernünftig - auch der FC Zürich, der seit Jahrzehnten am Tropf seines Mäzens und Präsidenten hängt und trotz allen Beteuerungen zum realitätsbezogeneren Wirtschaften andauernd weit über seine Verhältnisse lebt. Ganz zu schweigen von auch hierzulande üblichen verdeckten Zahlungen, die das Lizenzierungsverfahren als einziges Regulativ der Swiss Football League ebenso umgehen wie Investitionen während der laufenden Spielzeit. So wäre heute an den Vereinen aus dem «Zweitklassabteil» der Spitzenliga Mass zu nehmen. Aarau, Thun oder Schaffhausen, oft belächelt und nicht ganz ernst genommen, natürlich auch nicht europakompatibel, haben ihre Personalkosten den Gegebenheiten angepasst. Sie bezahlen heute mit ganz wenigen Ausnahmen (Ausländer) Durchschnittslöhne wie viele KMU, die weit entfernt sind von den Salären leitender Angestellter in der Finanzbranche, nach denen sich die vermeintlichen Fussballstars und ihre Agenten hierzulande gerne richten.
Dass diese Politik des Kleinere-Brötchen- Backens den richtigen Weg aufzeigt, dem werden viele aufs Heftigste widersprechen, die unter Spitzenfussball reinen Egoismus der Klubs, ständiges Übertrumpfen des Gegners und regelmässige Erneuerung bzw. Attraktivierung des Spielerkaders unter Negierung von Altlasten verstehen und deshalb nicht bereit sind, der Wirklichkeit ins Antlitz zu sehen. Die Schweiz ist auch fussballerisch eine Insel, die den Kontakt zu den übergrossen Nachbarn längst verloren hat. Sie ist damit auf dem Kontinent beileibe keine Ausnahme, aber sie tut an ihrer Spitze - etwa im Vergleich mit skandinavischen Ländern - mit erschreckender Naivität weiterhin so, als liessen sich zweistellige Millionenbudgets mit den hier vorhandenen Ressourcen irgendwie schon einspielen.
Allein schon der Blick auf den Etatposten «Fernsehrechte» müsste unsere Klubs zur Vorsicht mahnen. Machen die Einnahmen aus diesem nationalen und internationalen Geschäft in den führenden europäischen Ligen zwischen 30 und 50 Prozent des Gesamtumsatzes oder im Höchstfall bis zu 100 Millionen Franken aus, so liegt der entsprechende Wert im Schweizer Geschäft (SRG/ ISPR) bei durchschnittlich 6 Prozent. Der Grasshopper-Club beispielsweise kalkuliert heuer gemäss seinem neuen Präsidenten, die Wahrung des siebenten Rangs vorausgesetzt, mit einem Anteil von 400 000 Franken; das hätte nicht einmal den Lohn von Richard Nuñez gedeckt. Der langjährige TV-Vertrag läuft noch eine Saison weiter, und es steht in den Sternen, ob danach das Privat- bzw. Bezahlfernsehen - wie Premiere in Österreich - tiefer als die bisherigen Partner in die Schatulle greift.
Es ist eine unumstössliche Tatsache, dass für Schweizer Klubs der obersten Klasse die für einen ökonomischen Professionalbetrieb notwendigen Einnahmeposten wie TV- Rechte, Sponsoring und Merchandising in den entsprechenden Grössenordnungen unerreichbar bleiben. Im Spielerhandel mögen Glückstreffer dank der guten Nachwuchsförderung gelegentlich möglich sein. Erhöhtes Zuschaueraufkommen verspricht mancherorts eine partielle Entspannung an der Finanzfront. Aber ändern tut sich nichts daran, dass die «obere Schicht», will sie sich eines Tages aus der Abhängigkeit von fanatischen Mäzenen lösen, neue Orientierungspunkte suchen muss. Und die könnten durchaus so aussehen, dass verwöhnte, lange überzahlte und im Alltag bestimmt nicht restlos ausgelastete Fussballspieler allmählich nach Nebenbeschäftigungen Ausschau halten müssten, um den jetzigen, hohen Lebensstandard aufrechtzuerhalten.
quelle: http://www.nzz.ch/2005/02/19/sp/kommentarCLV4Y.html
Die Rückrunde in der A-Liga, von Marketing-Köpfen mit dem Attribut «Super» veredelt, beginnt am Sonntag mit einer Sonderbarkeit, die symptomatisch ist für den Zustand des hiesigen Klubfussballs. Eines von fünf Spielen findet gar nicht statt: Servette - Grasshoppers. Die Classique zwischen den beiden mit zusammen 45 Meistertiteln klar erfolgreichsten Schweizer Vereinen hat - mindestens vorderhand - aufgehört zu existieren. Die Genfer sind bankrott und sinken für den Neubeginn tief. Aber auch die Fussballsektion des polysportiven Zürcher Klubs war vom selben Schicksal so weit nicht entfernt. Vermögende lokale Kreise machten an der Limmat für eine soziale Institution das nötige «Kleingeld» locker, auf das man an der Rhone trotz hier niedergelassener Potenz aus dem Mittleren Osten vergeblich wartete. Der unterschiedlichen Entwicklung der beiden Traditionsklubs lag aber nicht nur pekuniäre Substanz zugrunde. GC schöpfte frische Kraft aus einem personell sowohl intakten als auch breit und prominent abgestützten Umfeld. Servette hatte ein solches schon sehr lange nicht mehr, weshalb dort Ausländer zunehmend zweifelhafter Herkunft mit suspektem Geld Einfluss erlangten.
Bezeichnend ist dieser schliesslich nur einseitig verursachte Ausfall deswegen, weil in beiden Klubetagen über Jahrzehnte dem Grössenwahn gehuldigt wurde. Servettes Lockrufen widerstand fast keiner in Kenntnis des dortigen übersteigerten Lohnniveaus. GC stand nicht viel weiter zurück und glaubte sich eine Administration und eine Nachwuchsausbildung leisten zu können, wie sie Spitzenvereine aus den grossen fünf europäischen Ligen mit unproportional höheren Budgets kennen. Welche Überlegungen hinter dieser Strategie standen und was für Ziele damit ins Auge gefasst wurden, bleibt bis heute angesichts der seit langem bekannten ökonomischen Voraussetzungen schleierhaft. Im GC hing die vorletzte Klubführung dem irrealen Traum einer Europaliga der Mittelklasse nach, mit der sich zusätzliche Mittel hätten generieren lassen sollen. Auch Servette schielte mit seinen früheren Besitzern über die Landesgrenzen hinaus. Und beiden gemeinsam war der neidische Blick zum Rheinknie, wo der FC Basel mit Erfolg an seiner internationalen Beständigkeit feilt, ein überdurchschnittlich grosses Publikum um sich schart und endlich - wenn teilweise auch indirekt - das Gefallen der lange uninteressierten heimischen Chemie fand.
Als massgeblicher Pfeiler auf dem Weg in eine gesicherte Zukunft des Schweizer Profifussballs galt (und gilt) vordergründig die Modernisierung bzw. Erneuerung der mehr als ein halbes Jahrhundert vernachlässigten Stadioninfrastruktur. Basel ging mit dem Beispiel voran und budgetiert seine Rechnung seit dem Einzug in den St.-Jakob-Park mit einem gesunden prozentualen Anteil an Matcheinnahmen.
Selbst mit einem fast immer vollbesetzten Stadion wird die Rechnung eines weiterhin ambitionierten FC Basel jedoch nicht aufgehen. Was in Genf mit dem Stade de Genève geschehen ist, weiss man. In Bern, Zürich, Neuenburg oder St. Gallen existieren erst Vorstellungen der zum Teil sehr zuversichtlichen Art. So rechnen die Betreiber der diesen Sommer vollendeten Berner Arena, die in den letzten Jahren zwei Dutzend Millionen Franken in die Young Boys (die Nummer 3 in der Liga-Geschichte) gebuttert haben, mit durchschnittlich etwa 18 000 Schaulustigen - ob Wunschvorstellung oder Realitätssinn, man darf raten. In St. Gallen scheinen sich ähnliche Formen der auf zukünftig grössere Zuschauerkapazitäten abgestützten Vorfinanzierung anzubahnen, wie ein Beispiel aus der eben abgelaufenen Transferperiode (Callà) zeigt. Das schöne, grosse Stadion wird die einzige Grundlage zur Gesundung jedoch nicht bilden.
Mit Ausnahme Basels haushaltet das ganze Establishment der obersten Klasse unvernünftig - auch der FC Zürich, der seit Jahrzehnten am Tropf seines Mäzens und Präsidenten hängt und trotz allen Beteuerungen zum realitätsbezogeneren Wirtschaften andauernd weit über seine Verhältnisse lebt. Ganz zu schweigen von auch hierzulande üblichen verdeckten Zahlungen, die das Lizenzierungsverfahren als einziges Regulativ der Swiss Football League ebenso umgehen wie Investitionen während der laufenden Spielzeit. So wäre heute an den Vereinen aus dem «Zweitklassabteil» der Spitzenliga Mass zu nehmen. Aarau, Thun oder Schaffhausen, oft belächelt und nicht ganz ernst genommen, natürlich auch nicht europakompatibel, haben ihre Personalkosten den Gegebenheiten angepasst. Sie bezahlen heute mit ganz wenigen Ausnahmen (Ausländer) Durchschnittslöhne wie viele KMU, die weit entfernt sind von den Salären leitender Angestellter in der Finanzbranche, nach denen sich die vermeintlichen Fussballstars und ihre Agenten hierzulande gerne richten.
Dass diese Politik des Kleinere-Brötchen- Backens den richtigen Weg aufzeigt, dem werden viele aufs Heftigste widersprechen, die unter Spitzenfussball reinen Egoismus der Klubs, ständiges Übertrumpfen des Gegners und regelmässige Erneuerung bzw. Attraktivierung des Spielerkaders unter Negierung von Altlasten verstehen und deshalb nicht bereit sind, der Wirklichkeit ins Antlitz zu sehen. Die Schweiz ist auch fussballerisch eine Insel, die den Kontakt zu den übergrossen Nachbarn längst verloren hat. Sie ist damit auf dem Kontinent beileibe keine Ausnahme, aber sie tut an ihrer Spitze - etwa im Vergleich mit skandinavischen Ländern - mit erschreckender Naivität weiterhin so, als liessen sich zweistellige Millionenbudgets mit den hier vorhandenen Ressourcen irgendwie schon einspielen.
Allein schon der Blick auf den Etatposten «Fernsehrechte» müsste unsere Klubs zur Vorsicht mahnen. Machen die Einnahmen aus diesem nationalen und internationalen Geschäft in den führenden europäischen Ligen zwischen 30 und 50 Prozent des Gesamtumsatzes oder im Höchstfall bis zu 100 Millionen Franken aus, so liegt der entsprechende Wert im Schweizer Geschäft (SRG/ ISPR) bei durchschnittlich 6 Prozent. Der Grasshopper-Club beispielsweise kalkuliert heuer gemäss seinem neuen Präsidenten, die Wahrung des siebenten Rangs vorausgesetzt, mit einem Anteil von 400 000 Franken; das hätte nicht einmal den Lohn von Richard Nuñez gedeckt. Der langjährige TV-Vertrag läuft noch eine Saison weiter, und es steht in den Sternen, ob danach das Privat- bzw. Bezahlfernsehen - wie Premiere in Österreich - tiefer als die bisherigen Partner in die Schatulle greift.
Es ist eine unumstössliche Tatsache, dass für Schweizer Klubs der obersten Klasse die für einen ökonomischen Professionalbetrieb notwendigen Einnahmeposten wie TV- Rechte, Sponsoring und Merchandising in den entsprechenden Grössenordnungen unerreichbar bleiben. Im Spielerhandel mögen Glückstreffer dank der guten Nachwuchsförderung gelegentlich möglich sein. Erhöhtes Zuschaueraufkommen verspricht mancherorts eine partielle Entspannung an der Finanzfront. Aber ändern tut sich nichts daran, dass die «obere Schicht», will sie sich eines Tages aus der Abhängigkeit von fanatischen Mäzenen lösen, neue Orientierungspunkte suchen muss. Und die könnten durchaus so aussehen, dass verwöhnte, lange überzahlte und im Alltag bestimmt nicht restlos ausgelastete Fussballspieler allmählich nach Nebenbeschäftigungen Ausschau halten müssten, um den jetzigen, hohen Lebensstandard aufrechtzuerhalten.
quelle: http://www.nzz.ch/2005/02/19/sp/kommentarCLV4Y.html